Dienstag, 4. August 2020

Meine extrem schwere Kindheit


Ich war sechzehn, als ich von zuhause abgehauen bin. Ich habe den verdammten Reichtum einfach nicht mehr ausgehalten. In der Schule wurde ich gemobbt, weil ich jeden Morgen mit dem Maybach gebracht wurde. Bei der Klassenfahrt nach Berlin hatte ich eine Suite im Adlon, während alle anderen Schüler in einer heruntergekommenen Jugendherberge in Neukölln gehaust haben. Wie oft habe ich in der großen Pause meinen Kaviar allein gelöffelt, weil keiner mit mir sprechen wollte. Ich weiß bis heute nicht, wie die Salami von Aldi schmeckt.

Also habe ich eines Nachts ein dickes Bündel Bargeld aus dem Tresor genommen und bin ausgerissen. Das Taxi hatte ich sicherheitshalber ein paar Straßen weiter parken lassen. Endlich war ich frei. Nun würde ich das wahre Leben kennenlernen, nicht nur den öden Luxus in unserem Palast. Zunächst bin ich bei meiner Cousine in Monte Carlo untergekommen. Ich konnte mich auf sie verlassen, sie würde mich nicht verpfeifen.

Das neue Leben war nicht einfach. Ich musste lernen, mit dem Nötigsten auszukommen. Jede Woche neue Klamotten – das war vorbei. Damals hatte ich noch nicht mal eine Kreditkarte. Es hat Jahre gedauert, bis die Überweisungen meiner Eltern aufgehört haben, weil sie merkten, dass kein Geld abgehoben wurde. Aber ich habe das Leben auf der Straße geliebt, ohne Limousine, ohne Bodyguard. Es gab Zeiten, die waren so hart, dass ich im Restaurant auf die Vorspeise verzichtet habe. Ich musste mir mein Geld mit Roulette und Baccara im Casino verdienen.

Das alles ist jetzt zwanzig Jahre her. Heute leide ich unter meinem Erbe. Ich kann nicht offen über meinen Reichtum sprechen, denn ich habe Angst vor dem Hass meiner Mitmenschen. Reiche haben kein gutes Image. Wir verstecken uns hinter hohen Mauern. Niemand kennt das Elend eines wohlhabenden Mannes. Habgierige Mieter, niederträchtige Vermögensberater, die mich nicht auf Cum-Ex hingewiesen haben, aufsässiges Dienstpersonal, steigende Champagnerpreise. Viel Geld bedeutet viele Sorgen. Es gibt Tage, da bin ich so niedergeschlagen, dass ich kein einziges Wachtelbrüstchen hinunterbringe. Aber meine wilde Jugend kann mir keiner mehr nehmen.

Peter Gabriel – Dressing the Wound. https://www.youtube.com/watch?v=BKyQ1-z8GOU


4 Kommentare:

  1. Sie Armer! Aber die Story klingt toll! ;-)

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    1. Wenn es nur so gewesen wäre ;o)

      Habe ein wenig in Ihrem Blog gelesen. Herzliches Beileid. Schreiben Sie bitte weiter.

      Da gibt es einige Parallelen, wenn ich Ihre Selbstbeschreibung lese. Unterschiede: Ich bin als Rheinhesse dem Wein verpflichtet, einer Pflicht, der ich mit äußerster Ernsthaftigkeit nachkomme, und gichtbedingter Bierverweigerer (hier schwächele ich gelegentlich), bartlos + Haupthaar wie Unkraut wuchernd, Brille nur beim Autofahren und im Kino (beides habe ich aufgegeben).

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  2. Goggle sagt:

    Zu haben was man will ist Reichtum, es aber ohne Reichtum tun, ist Kraft.
    Armut ist keine Schande - Reichtum auch nicht.
    Zum Reichtum führen viele Wege, und die meisten von ihnen sind schmutzig.
    Ruhm und Reichtum ohne Verstand sind ein unsicherer Besitz.

    DU weißt JA, wo mein Haus wohnt ... nahme DIR gerne Deine GELD - Sorgen ab !!! *zwinker*

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    1. Wenn die Geschichte doch nur wahr wäre ...

      Echte Kindheit: Von einer alleinerziehenden Putzfrau in einer Mietskaserne großgezogen, als Schmuddelkind auf dem bürgerlichen Gymnasium ein Außenseiter, kein Erbe, keine Familie, keine Karriere.

      Aber den Kopf voller Blödsinn und Geschichten ;o)

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