Dienstag, 18. August 2020

Das erste Interview

Sauberkeit. Das ist wichtig. Diese Fernsehmenschen sind so oberflächlich. Ich habe sogar die Unterseite der Klobrille auf Hochglanz poliert. Die leeren Weinflaschen habe ich zum Altglas-Container gebracht. Oder hätte ich eine leere Flasche in der Küche stehenlassen sollen, um mit meiner Rolle als Künstler zu kokettieren?

Sauberkeit, gut. Aber Ordnung? Wie ordentlich darf das Arbeitszimmer eines Schriftstellers sein? Perfekte Ordnung wirkt steril, sie ist eine Lüge, denn ein Schreibtisch, an dem tatsächlich gearbeitet wird, muss ein notwendiges Maß an Unordnung vorweisen können. Am schwierigsten war der Bücherschrank. Nachdem ich die ganze Schundliteratur in die Abstellkammer geräumt hatte, waren die Regale halb leer. Oder hätte ich die Biographie von Dieter Bohlen stehen lassen sollen? Schließlich kommt ein Kamerateam von RTL, um eine Homestory zu drehen. Ich räume die untere Regalreihe komplett leer, die sieht ohnehin keiner, und stelle Nippes in die verbliebenen Lücken. Sogar eine Motivtasse, in die ich ein paar Buntstifte stecke.

Vielleicht lege ich ein Buch neben den Computer. Goethe? Ich sollte nicht zu dick auftragen. Paul Auster? Das wäre eine gute Mischung aus seriöser Literatur und Verkaufserfolg. Noch eine Stunde. Wo ist meine Hose? Jeder weiß, dass wir Autoren in Unterwäsche schreiben, aber ohne Hose geht es nicht. Soll ich die Hose von meinem dunklen Anzug anziehen? Das wäre übertrieben. Eine Jeans? In meinem Alter? Aber es ist RTL, also entscheide ich mich für die Jeans. Natürlich keine mit industriell zerstörter Kniepartie, das wäre unglaubwürdig. Dazu ein Hemd. Ein weißes Hemd, die oberen zwei Knöpfe lasse ich offen. Herrgott! Ich muss mir noch die Fingernägel schneiden.

In einer halben Stunde steht die Meute vor der Tür. Die Nervensäge Frauke Ludowig, ein Kameramann, ein Tontechniker und die Maskenbildnerin. Ich gehe besser noch mal aufs Klo. Auch ein wenig Rasierwasser kann nicht schaden. Gut, dass ich den Bravo-Starschnitt von den Bay City Rollers von der Wand genommen habe. Van Goghs Sternennacht gibt dem Zimmer einen intellektuellen Touch. Soll ich noch ein japanisches Schriftzeichen ausdrucken? Nein, keine Zeit mehr.

Was wird mich die Fernsehtrulla fragen? Natürlich nach meinem neuen Buch. „Die Farben der Nacht“. Klingt gut, aber welche Bedeutung hat der Titel? Vielleicht hätte ich den Lektor fragen sollen, der die Idee hatte. Ursprünglich lautete der Titel „Emotion als Gravitation im phallisch-vaginalen Raum-Zeit-Kontinuum“. Hoffentlich hat sie es nicht gelesen. Ich muss ein Exemplar in die Kamera halten. Ich lege es am besten neben den Computer, auf Austers „Musik des Zufalls“.

Was gibt es über mein Leben zu sagen? Schüler, Student, Angestellter. Jetzt Frührentner mit Überraschungserfolg. Lobende Rezension im Feuilleton der FAZ, Platz 5 der Spiegel-Bestsellerliste. Vielleicht erzähle ich ein paar Anekdoten von meinen Reisen nach Österreich und Dänemark? Kein Kind, keine Katze, noch nicht einmal ein Kaktus. Hobbys? Ich lese gern und verbringe den Abend vor dem Fernseher. Allerdings sehe ich nie RTL. Muss man da eine Sendung kennen? Ach ja: „Exclusiv – Das Starmagazin“.

Es klingelt.

Foo Fighters – Everlong. https://www.youtube.com/watch?v=eBG7P-K-r1Y

 

4 Kommentare:

  1. Also wer die Bay City Rollers kennt zeigt ganz deutlich
    ( ich wollte outet schreiben, aber wie schreibt man das auf Deutsch ? Himmel....)
    welcher Generation, ja sogar welcher Kohorte, er angehört.
    Weil die waren ja nur max. 2 Jahre auf dem Markt.
    Habe in der Zeit Zeitschriften ausgetragen, neben Quick, St. Pauli Nachrichten oder Praline auch die Bravo, und habe die Band über diese Periode medial begleitet.
    (Bravo gelesen, schön vorsichtig, keine Eselohren, dann zum Kunden gebracht.)

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    1. Aber man kennt sie noch :o)

      Was man von David Cassidy oder Mott the Hoople nicht unbedingt sagen kann.

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    2. Kenn ich beide - die Gnade der frühen Geburt😉

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