“Hilde!”, rief er aus seinem Arbeitszimmer.
„Hilde!“
Seine Frau kam aus dem
Wohnzimmer und lehnte sich an den Türrahmen. „Ach, Dieter, jetzt schrei doch
nicht so. Was gibt’s denn?“
„Der Benno hat mich schon wieder
beleidigt. Verschwörungstheoretiker hat er mich genannt. Und der Wodarg wäre
ein Scharlatan. Dabei ist der Arzt.“
„Musst du bei dem schönen Wetter
den ganzen Tag vor deinem Computer sitzen? Komm doch raus auf den Balkon. Oder
mach wenigstens mal das Fenster auf. Man erstickt ja in diesem Mief.“
„Auf den Kommentar muss ich
antworten. Ich habe da ein paar neue YouTube-Videos. Da Leute kapieren es
einfach nicht. Ich bringe hier Fakten, Fakten, Fakten und die ganzen
Schlafschafe können nix außer persönliche Angriffe. Ad hominem, sage
ich nur, ad hominem.“
„Ja, das ist jetzt dein neuer
Lieblingsausdruck. Und die Schutzmaske ist der Gesslerhut. Von wegen Wilhelm
Tell. Das hast du mir schon hundert Mal erzählt. Wie kann man nur sein
ganzes Leben im Internet verbringen? Was ist denn eigentlich mit deiner
Gitarre? Du wolltest doch mal wieder üben?“
Dieter schwieg und fing
verbissen an zu tippen. Benno, Tunix, Gramsci, Fidel und wie sie alle hießen.
Seine Freunde aus dem Netz. Alle Opfer der Medienpropaganda. Staatsfunk und
Internetseiten, die von Bill Gates finanziert waren. Marionetten des Systems. Abtrünnige.
Verräter.
Mit der Gitarre war es auch
vorbei. Er war jetzt siebzig. Gicht, Rheuma, Rücken, Blutdruck. Einfach alles.
An Gitarre war gar nicht zu denken. Sweet Home Alabama, sein Lieblingsstück.
Angeblich rechts, behaupteten irgendwelche jungen Leute. Durfte man nicht mehr
bringen. Er hatte es vierzig Jahre lang gespielt, aber natürlich nie auf den
Text geachtet. Von Lynyrd Skynyrd wusste er auch nichts, außer dass sie einen
merkwürdigen Bandnamen hatten.
Die jungen Leute heutzutage. Die
haben doch keine Ahnung. Er war 1968 dabei gewesen. Wenn auch nur in Gütersloh.
Dann kam der Radikalenerlass. Aber er war nie irgendwo Mitglied gewesen.
Ehrensache als Anarchist. Also entkam er mit knapper Not dem Berufsverbot und
hatte vierzig Jahre im Grünflächenamt gearbeitet. Aktiver Umweltschutz. 1975 der
Summer of Love, als er Hilde kennenlernte. Mit dem Rucksack durch Griechenland.
Wahnsinn! Haste mal ‘ne Drachme, Alter?
Wo war denn jetzt die Datei mit
der URL von dem Video? Er musste hier mal dringend Ordnung machen. Eigentlich
hatte er ja jede Menge Zeit. Kinder aus dem Haus, Schäfchen im Trockenen, Haus
längst abbezahlt und die Rente kam pünktlich. Aber sein Zimmer sah aus, als
wäre er fünfzehn und hätte ADHS plus Messi-Syndrom.
Diesen Kommentar noch, dann
gucke ich nochmal bei den Blogs der Spielplatzrebellen und von Flattermann
Schwammkopf vorbei, dachte er. Und dann gönne ich mir ein Bierchen auf dem
Balkon. Was Hilde wohl zum Abendbrot macht? Wo sind denn meine Pantoffeln?
David Bowie - What in the World. https://www.youtube.com/watch?v=gLTFedtVXdY
Alte Männer, die nicht loslassen können, machen mich traurig. So will ich nicht werden, befürchtete aber eine Kurskorrektur in meinen Sechzigern: Diese Zitrone hat noch Saft, werde ich meinen Enkeln zurufen und zum Bloggerstammtisch radeln, wo ich meine Clique sendungsbedürftiger Hobbyjournalisten treffe. Nur Männer, die Frauen haben Hobbys. Und sind selig, wenn der Gatte mal ein paar Stunden Gassi geht - gern auch ohne Hund, Hauptsache weg.
AntwortenLöschenFrüher hatten die alten weißen Männer ihren Hobbykeller, jetzt haben sie den Kommentarbereich im Internet. Weil sie alle beratungsresistent und im Besitz ewiger Wahrheiten sind, sind ihre Diskussionen auch so fruchtlos. Sie wollen sich nicht überzeugen lassen, sie wollen überzeugen und Recht behalten. Ein ewiges Armdrücken auf intellektuell extrem niedrigem Niveau.
LöschenDie Coronaleugner sind ne Art linke Pegida. Aber sie brüllen halt Systempresse statt Lügenpresse.
AntwortenLöschenJaaa, ich weiß, aber mal ernsthaft.
AntwortenLöschenIch werde fast jedes Jahr mal Krank, Grippe oder so, Großraumbüro und überhaupt Menschen.
Übrigens alle. Fast jeder hat pro Jahr mal was, manche sterben sogar daran. Die Alten dann, aber auch jüngere, die nicht auf Ihren Körper gehört haben. Sportler, die zu früh wieder trainiert haben z.B.. Kenne da einen Fall.
Habe die Jahre dann auch einige Alkohol und/oder Drogenopfer sowie Krebstote zu Grabe getragen.
Verkehrstote hat nachgelassen, waren aber auch einige im Laufe meines Lebens.
Ich kenne aber kein einziges Covid 19 Opfer. Tut mir leid.
Mein Nachbar kennt einen, dem seine Nichte kennt ein Covid Opfer.
Das ist das Ergenbis von bald 6 Monaten Leben mit Covid 19. Es kann nicht so schlimm sein.
Scheint mir, irgendwie............
Klar, wenn Sie niemanden kennen, gibt es gar keine weltweite Seuche. Ich kenne auch niemanden, der im Irakkrieg oder in Syrien gestorben ist.
LöschenEs kann nicht so schlimm sein ... Dieter :o)))
https://xkcd.com/386/
AntwortenLöschenP.S. "Dieter" und "Hilde" sind Namen, die garantiert nie wieder in Mode kommen.
Die Schicht, die niemals endet.
Löschen