Donnerstag, 16. Juni 2011
Werbewahnwitz
Soll ich es „Fundstück der Woche“ nennen? Oder ist es schlicht ein winziges Puzzlestück des Wahnsinns, in dem wir uns längst behaglich eingerichtet haben? Zu danken habe ich aber zunächst den Initiatoren der Internetseite „Schlaglochpate.de“, die wunderbarerweise den Berliner Finanzsenator Nussbaum im Winter 2010 inspiriert haben, zahlungskräftige Paten für tausende Schlaglöcher in der Hauptstadt zu finden. Warum, so fragen wir uns seitdem alle, können wir nicht einfach eine Patenschaft für ein Schlagloch übernehmen? Der Lohn ist uns gewiss: die tiefempfundene und immerwährende Anerkennung der Verkehrsteilnehmer. Außerdem dürfen wir ein Werbelogo unseres Unternehmens auf dem selbstfinanzierten Asphalt anbringen, mit dem das Loch gestopft wird. Kurz und gut: Es handelt sich bei jedem Schlagloch dieser Republik um eine „perfekte Werbeplattform“, wie man uns auf der oben genannten Internetseite vollmundig verspricht. Zudem entlasten wir auf diese Weise den Staat, der mit unseren Steuergeldern gerade in Athen die gröbsten Löcher stopfen muss. Es erinnert mich ein bisschen an Tom Sawyer, der von einem anderen Kind (namens Ben Rogers) einen Apfel will, damit es auch mal den Zaun anstreichen darf. Für wie blöd hält uns die Reklameindustrie eigentlich? Mein alter Freund und Kupferstecher Dirk Bockius hat neulich folgende Werbung für Rasensprenger entdeckt: "Verbraucht 30 Prozent weniger Wasser!" Denken die Werbefuzzis wirklich, dass ihre Verblödungsstrategie inzwischen aufgegangen ist? Sind wir so bescheuert? Eine Bank wirbt mit zweistelligenTraumrenditen für ihre Fonds, im Kleingedruckten wird als Referenzrahmen der Zeitraum „1975 bis 2000“ angegeben. Auf der Seite von „Schlaglochpate.de“ hat sich übrigens bisher noch kein einziger Pate eingefunden. Es besteht also noch Hoffnung.
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