Eine der großen Mythen unserer
Zeit ist die permanente Verfügbarkeit und Erreichbarkeit. Technisch ist es kein
Problem, Handy und Internet machen es möglich, immer und überall erreicht
werden zu können. Diese Vorstellung hat sich so tief in unser Bewusstsein
eingeprägt, dass wir glauben, permanent reagieren zu müssen. Wenn man eine
WhatsApp nicht innerhalb von fünfzehn Minuten beantwortet, kommt die nächste. Was
ist los? Möglicherweise wurde auch schon ein Notarzt gerufen.
Aber stimmt das wirklich? Es
gibt eine Korrelation zwischen Status und Erreichbarkeit. Je tiefer man in der
beruflichen Hierarchie steht, desto höher ist die Erwartung an die persönliche
Erreichbarkeit. Mit jeder Hierarchiestufe nach oben nimmt die Erreichbarkeit
ab. Die Bosse sind durch eine Phalanx von Sekretärinnen, Assistenten und
Pressesprechern hermetisch abgeschirmt. Es gehört zu ihren Privilegien, über
ihre Erreichbarkeit selbständig entscheiden zu können.
Der Befehlsempfänger muss auch
nach Feierabend und am Wochenende verfügbar sein. Aber versuchen Sie mal, ihren
Haus- oder Facharzt außerhalb der Sprechzeiten zu erreichen. Oder versuchen Sie
mal, nachts einen Notartermin zu bekommen. Professoren legen Ort, Zeitpunkt und
Dauer ihrer Ansprechbarkeit fest. Stellen Sie sich vor, es wäre
Sonntagnachmittag und es klingelt an der Haustür. Der Prof öffnet und vor ihm
steht ein Student. „Herr Müller, warum haben Sie mir für meine Hausarbeit nur
eine 3 gegeben? Das verstehe ich nicht. Können wir jetzt darüber sprechen?“ Wie
reagiert der Prof? Variante 1: „Herein, herein, werter Herr Student. Wir können
die Hausarbeit gerne in Ruhe durchsprechen. Hermine! Machst du uns Kaffee und
Schnittchen, das könnte länger dauern.“ Variante 2: „Woher haben Sie meine
Privatadresse? Verlassen Sie sofort mein Grundstück oder ich hole die Polizei.“
Es geht nicht um technische
Möglichkeiten, es geht um Höflichkeit, Respekt und ganz allgemein um
angemessene Umgangsformen. Wer am Samstag seinen Vorgesetzten unter der Privatnummer
anruft, weil er gerade eine zündende Geschäftsidee hat, die unbedingt jetzt
gleich aus dem Plärrloch herausmuss, bekommt folgendes zu hören: „Kommen Sie am
Montag in mein Büro und holen Sie sich Ihre Papiere ab. Sie sind
fristlos entlassen.“ Wer um Mitternacht seinen Kunden anruft, hat einen Kunden
weniger.
Warum hatte die Generation
meiner Eltern keinen Burn-Out? Weil sie klar zwischen Berufs- und Privatleben,
zwischen Arbeit und Familie trennen konnte. Dienst ist Dienst und Schnaps ist
Schnaps, so sagte man damals. Heute ist Burn-Out ein Massenphänomen, weil viele
glauben, diese Grenzen nicht mehr respektieren zu müssen.
Schöner Beitrag. Literatur zu diesem Thema gibt es zur Genüge. Ändern wird sich nix.
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