Freitag, 23. April 2021

Liebe deinen Vermieter

 

Als ich auf die Welt kam, war ich 48 Jahre alt.

Ich saß an einem Schreibtisch und blickte auf meine Hände. Ich hatte sie nie zuvor gesehen. Vor mir lag ein Stapel Bankauszüge. Kugelschreiber. Ein zugeklapptes Notebook. Aber ich konnte mich nicht an mein Leben erinnern.

Ich stand auf und ging in den Flur. Ich sah fünf Türen. Die Wohnungstür war geschlossen, die anderen vier Türen standen offen. Eine Küche, ein Badezimmer, ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer. Alle leer. Ich war allein.

Im Badezimmerspiegel betrachtete ich mein Gesicht. Kurze, graue Haare, Geheimratsecken. Dunkelblaue Augen, eine schmale Nase, kein Bart. Falten an den Augen, Tränensäcke, dichte Augenbrauen.

Ich sah in meinen Hosentaschen nach. Eine Brieftasche. Mein Name war Burkhard von Gallenstein. Adresse: Schloßallee 23, 13156 Berlin. Geboren am 14. März 1973 in Düsseldorf. Jede Menge Bargeld und zwei Kreditkarten.

Ich ging zurück ins Arbeitszimmer und studierte die Bankauszüge. Woher bekam ich mein Gehalt? Ich stellte fest, dass ich nicht berufstätig war. Offensichtlich besaß ich vier Wohnungen in der Stadt. In Charlottenburg, Lankwitz, Dahlem und Köpenick.

Bruttoeinnahmen von über sechstausend Euro monatlich. Davon gingen etwa zwölfhundert Euro für Nebenkosten, Grundsteuer und Hausverwaltung ab. Für meine eigene Wohnung zahlte ich knapp vierhundert Euro Wohngeld. Kosten für ein Auto tauchten in den Auszügen nicht auf.

Auf der Kommode an der Wohnungstür fand ich ein Schlüsselbund. Ein Schlüssel passte ins Schloss. Ich verließ das Haus und fuhr mit der Tram bis zum U-Bahnhof Osloer Straße. Von dort aus fuhr ich mit der U 9 zum Zoo und mit dem Bus die Kantstraße runter.

Mein Mieter in Charlottenburg hieß Michael Tilkowski. Ich klingelte und es wurde mir geöffnet. Als er mich an der Wohnungstür erblickte, wurde er kreidebleich.

„Herr von Gallenstein. Sie kommen wegen der Mietnachzahlung.“

Ich war verblüfft und sagte nur „Hallo“.

„Bitte, bitte, bitte. Schmeißen Sie mich nicht aus der Wohnung. Ich habe nicht so viel Geld im Haus, aber ich werde alles zurückzahlen. Ich brauche nur mehr Zeit.“

Dann ging er auf die Knie und umklammerte meine Beine. Tränen liefen ihm über sein Gesicht.

„Meine Frau ist im achten Monat schwanger. Ich bin in Kurzarbeit und weiß nicht, ob ich meinen alten Job als Kellner behalten kann. Haben Sie ein Herz, Herr von Gallenstein. Bitte!“

Ich half dem kleinen Mann auf und drückte ihn stumm an meine Vermieterbrust. In welches Leben war ich hineingeraten?   

Genesis - Firth Of Fifth - YouTube

2 Kommentare:

  1. WER möchte tauschen ... ;D ?!?

    Kommt der Patient zum Psychiater und sagt:
    “Haben Sie tausend Dank, Herr Doktor, dass Sie mich von meinem Grössenwahn geheilt haben. Wie viel Milliarden bin ich ihnen schuldig?“

    *hehe*

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  2. Um meinen Sadismus richtig auszuleben, würde ich den Mietern jetzt im Lockdown mit Ausgangssperre fristlos kündigen oder "Sanierungsmaßnahmen" durchführen, bei denen sie aus der Wohnung müssen und ich ihnen auch Strom, Heizung, Wasser und Abwasser abstelle.

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