Ich
hatte Sigismund Roski schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Vermutlich während
des Studiums der Germanistik in Heidelberg. Nun stand er plötzlich im
Supermarkt vor mir. Immer noch der gleiche Seitenscheitel, der gleiche schwarze
Pullover, nur um die Hüften war er etwas fülliger geworden. Kein Wunder, er war
schließlich der erstgeborene Sohn von Feinkost-Roski in der Schillerstraße.
„Menschenskind,
Andy. Wie lange ist das her? Ich kaufe gerade für eine kleine Party ein. Hast
du nicht Lust zu kommen? So gegen acht Uhr? Es gibt ein kaltes Buffet und für
Getränke ist auch gesorgt.“
Warum
nicht? Feinkost-Roski hatte einen Ruf wie Donnerhall, wenn es um belegte
Schnittchen, Buletten, Lachs, italienischen Schinken, russische Eier und
Nudelsalat ging. Die besten italienischen und französischen Weine, Champagner,
Cognac. Er gab mir seine Adresse und pünktlich um acht klingelte ich an seiner
Tür.
Nach
und nach trudelten sechs weitere Männer ein und Sigismund drückte jedem von uns
eine Flasche Bier in die Hand. Ich war enttäuscht. Grottinger Export. Billige
Plörre. Der Kasten für fünf Euro ohne Pfand. Auch ein Buffet war nirgends zu
sehen.
Wir
setzten uns an den leeren Esstisch und plauderten eine Weile, als ein junger
Mann den Vorschlag machte, jemand solle doch eine Geschichte vortragen. Ich
fühlte mich geschmeichelt. Schließlich war meine langjährige Arbeit als
Schriftsteller in unserer kleinen Stadt nicht verborgen geblieben. Aber ich
hatte keinen Text dabei und war unvorbereitet.
Ein
anderer Mann rief: „Sigismund. Du bist doch Deutschlehrer. Hast du was da?“
Sigismund
lächelte verlegen und stand auf. Kurz darauf kam er mit einem Notizbuch und
seiner Lesebrille wieder. Er wolle mit einem Kapitel aus seinem Romanmanuskript
beginnen. Und so nahm der Abend seinen Lauf.
Es
folgte „Die Ballade vom defekten Heizkörper“ und der Gedichtzyklus „Herbst in
Montabaur“. Die harten Holzstühle waren mörderisch. Ich saß wie auf einem
Stein. Der Hintern tat mir weh und das Bier war auch alle. Roski las und las
und es nahm kein Ende. Das Notizbuch war armdick und ich fürchtete, er würde an
diesem Tag nichts auslassen.
Ich
stand auf und bewegte mich langsam und geräuschlos über den Teppich in die
angrenzende Küche. Im Kühlschrank fand ich nur ein halbes Päckchen Butter, eine
fast leere Tube Senf und ein paar schweißüberströmte Käsescheiben in bizarrer
Verrenkung. Kein Bier, keine Schnittchen. Nichts.
Ich
ging wieder zurück. Um mich herum leere Gesichter ohne Hoffnung. Wie zum Hohn trug
Roski gerade „Lob der Fleischwurst“ in fünffüßigen Jamben vor.
Eine
weitere Stunde verging. Ich war verzweifelt und setzte alles auf eine Karte.
Ich stand auf und trat in den Wohnungsflur.
Nur
noch wenige Meter bis zur Tür. Ich betete, dass mich keine knarrende Diele
verraten würde.
Endlich.
Mit angehaltenem Atem drückte ich lautlos die Klinke.
Abgeschlossen.
Der Schlüssel abgezogen.
Hier
komme ich nicht mehr raus.
„Krawehl, Krawehl!“
Basement
Jaxx - Where's Your Head At ( Official Video ) Rooty - YouTube
"Es gibt kein Entkommen für Deinesgleichen! Ihr seid verdammt!"
AntwortenLöschenFilmzitat - NOAH mit Russell Crowe - thx Vincent Coccotti
Wär' Dir mit Ulrich Roski nicht passiert, obwohl „Die Ballade vom defekten Heizkörper“ durchaus auch bei ihm dringewesen wäre.
AntwortenLöschen... und immer noch keine Erinnerung von Angelnette!
AntwortenLöschenIch bin zutiefst enttäuscht 😢