Samstag, 27. März 2021

Wut

 

Erwin Manteuffel war ein Mann mit festen Gewohnheiten und unerschütterlichen Überzeugungen. Als er, wie jeden Morgen, mit seiner Zeitung in den Park ging, lag auf seiner Bank ein junger Mann und schlief. Er konnte es gar nicht fassen. So eine Unverschämtheit. Aber wer weiß, was geschehen wäre, wenn er den Mann geweckt hätte? Bei jungen Leuten ist schließlich mit allem zu rechnen. Manteuffel war mit seinen 73 Jahren noch recht rüstig, aber er ging einer möglichen Auseinandersetzung aus dem Weg, und setzte sich auf eine andere Bank.

Arbeitslager, dachte er. Der Junge gehört ins Arbeitslager. Dem würde ich die Flötentöne beibringen. Morgens um sechs raus. In Reih und Glied antreten und dann ab in den Steinbruch. Da vergehen dir die Flausen, du Rotzbengel. Schläft am helllichten Tag auf der Parkbank, wo anständige Menschen längst an ihrem Arbeitsplatz sind.

Seine Fäuste zerknüllten die Zeitungsränder und er atmete schwer. Manteuffel sah sich in Uniform, wie er über den Lagerplatz brüllte. Wenn man auf Leute wie ihn hören würde, wäre die Welt endlich ein schöner Ort. Zucht und Ordnung. Er betrachtete die Überschriften auf der ersten Seite. Unruhen im Kongo. Hätte es mit Manteuffel nicht gegeben. Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Bei ihm gäbe es nur Wasser und Brot. Und Arbeitslager.

Volker Höhn wachte auf und setzte sich. Mit beiden Händen rieb er seine Schläfen. Wie war er auf diese Parkbank gekommen? Er konnte sich an nichts mehr erinnern. Traumblöde blickte er über die Wiese, die sich vor ihm bis zu einem kleinen Teich erstreckte. Er hatte noch nicht mal eine Jacke an. Seine Hosentaschen waren bis auf etwas Münzgeld leer. Neben der Bank standen zwei leere Bierflaschen und ein umgekipptes Jägermeister-Fläschchen. Wo war er gestern Abend gewesen? Es dauerte ein paar Minuten, bis die Erinnerungen wieder kamen. Auf der Bank neben ihm saß ein alter Mann mit einem ungesund wirkenden knallroten Schädel.

Er war mit seiner Freundin bei seinem Chef zum Grillen gewesen. Der alte Osthofen war frisch geschieden und lebte mit seinem Hund allein in einem Haus am Stadtrand. Sie hatten erst einen Aperol-Spritz getrunken, dann waren sie zu Sekt und Bier übergegangen. Die Steaks waren köstlich. Danach einen Schnaps. Höhn bemerkte zu spät, dass er schon völlig betrunken war. Die Stimmung war ausgelassen. Der Chef hatte einen Ghettoblaster auf die Terrasse gestellt und tanzte mit seiner Freundin. Er hatte den Arm um sie gelegt und sie lachten beide ausgelassen.

Dann brannten seine Sicherungen durch. Höhn ging zu ihnen hinüber und schlug seinem Chef eine Bierflasche über den Schädel. Seine Freundin gab ihm eine Ohrfeige. Er rannte durch den Garten davon, trat dem völlig überraschten Köter noch in den Arsch und verließ das Grundstück. Seine Jacke mit dem Hausschlüssel, dem Handy und der Brieftasche hing noch an der Garderobe. Er hatte alles verloren. Seine Freundin. Seinen Job. Seine Schlüssel. Seine Papiere. Seine Hoffnung. Seine Zukunft. Er konnte sich genauso gut wieder hinlegen.

REO Speedwagon - Can't Fight This Feeling (Official HD Video) - YouTube

 

5 Kommentare:

  1. GENAU ... SO ... kann´s einem gehen ... GENAU ... SO ... !!!

    Giltet das auch für eine Frau, oder ... wie anders, hättest DU es geschrieben ... gibbel ?!?

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    1. Mit Männerwut kenne ich mich besser aus ;o)

      Ich weiß nicht, wie oft Frauen sich ihren Gewaltphantasien hingeben. Erzähl mal!

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  2. ... Frauen lassen den Mann stehen, nehmen seine Bankkarte und gehen shoppen 💳 🛍️🛍️🛍️ 🥂🍾 💃

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  3. Schätze, viele können mit Manteuffel nichts mehr anfangen.
    Panzergeneral, später FDP Politiker.
    Also einer von den Guten.
    Hö Hö....

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    1. Ich denke da eher an eine Kneipe in Berlin: Intertank. Manteuffelstraße in SO 36. Gehörte in den 90ern zu meinen bevorzugten Anlaufpunkten ;o)

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