„Abends früh ins Bett
Suppe ohne Fett
Morgens Arsch warm
Fliegeralarm“
(in einer Duisburger Kneipe am Nachbartisch gehört)
Wir trafen uns im Apartment von Bubka Rettich, drei alte Freunde aus Schultagen. Bubka lebte wie ein Waschbär auf der Müllkippe, in seiner Wohnung konnte man alles fallenlassen – es war längst egal.
Seine roten Speckbacken zitterten vor Aufregung. „Zeigt mal, was ihr bekommen habt.“
Ich holte das Ergebnis meiner Bemühungen aus einer zerknitterten Papiertüte.
„Och“, sagte Mortimer Hastings. „Das sind ja nur Endsieg-Kekse und Endsieg-Zigaretten.“
„Es ist Monatsende. Ich habe nur noch Marken für Lebensmittel und Zigaretten übrig.“
„Verdammter Krieg“, maulte Bubka in weinerlichem Tonfall.
„Die verfluchte Regierung hat einen Deal mit Aldi gemacht. Auf meine ganzen Lebensmittelmarken bekomme ich nur Sachen der Hausmarke Endsieg. Wie soll man von zweihundert Gramm Brot am Tag und fünf Kilo Kartoffeln im Monat überhaupt leben?“ Ich war genauso frustriert wie meine Freunde.
„Seht mal, was ich hier habe.“ Hastings zog eine Flasche Gin aus seiner zerschlissenen Jacke.
„Alter Finne!“ Bubka schrie fast.
„Wie hast du das gemacht?“ fragte ich ihn.
„Fünf-Finger-Discount“, sagte Hastings lässig und schraubte den Verschluss auf. Er mochte seinen Vornamen nicht, deswegen nannten wir ihn Hastings.
„Darauf steht Arbeitslager“, bemerkte Bubka bewundernd, dann ließ er mit einem leisen Gluckern den ersten Schluck die Kehle hinunterrinnen.
„Ist das Arbeitslager schlimmer als das siebte Kriegsjahr?“ gab ich zu bedenken.
Wir rauchten eine Zigarette und schwiegen.
Ich hatte noch Glück gehabt. Ich arbeitete für Bonetti Media. Vor dem Krieg hatte ich Kriminalgeschichten geschrieben. Billige Verbrechen auf billigem Papier. Sechzig Seiten pro Heft. Ein Heft im Monat. Jetzt musste ich Landser-Geschichten schreiben. Die Kollegen aus der Zeitungsredaktion mussten die Hurra-Meldungen des Verteidigungsministeriums in seriös klingende Berichte umformulieren. Der ganze Verlag war auf Kriegsproduktion umgestellt worden.
Bubka arbeitete in einer Fabrik, die vor dem Krieg Spielzeugautos hergestellt hatte. Jetzt produzierten sie Spielzeugpanzer. Hastings war Kellner in einem Weinlokal, in dem der Riesling inzwischen in einem Verhältnis von eins zu drei mit Wasser gemischt war.
Alles war inzwischen auf Kriegsproduktion umgestellt und rationiert. Das Benzin, das Brot, die Margarine, Wurstersatz und Käsesurrogat. Richtiges Fleisch gab es schon lange nicht mehr. Ein Paar neue Schuhe pro Jahr. Im Fernsehen kamen nur noch Wiederholungen und Nachrichten vom angeblich bevorstehenden Endsieg. Das Militär kontrollierte das Internet und alle anderen Kommunikationskanäle. Die Kriegsregierung nannte sich „Die Erneuerung“, der Kriegskanzler hieß Neumann.
Alle hassten den Krieg, alle hassten die Regierung. Wie war es überhaupt so weit gekommen?