Dieser unvergessliche Abend gehörte einem Mann allein: Martin Seebauer. Er nennt sich selbst bescheiden Moderator, in Wirklichkeit ist er eine Mischung aus Dompteur und Magier, ein Entertainer der alten Schule, ein Peter Frankenfeld der Stadtentwicklung. Gleich zu Anfang zauberte er zwei Highlights aus dem Hut, die schon zu Beginn für richtig Stimmung im vollbesetzten Saal sorgten. Für die zahlreich angereisten Pressevertreter hatte er den guten alten Maulkorb der preußischen Zensur mitgebracht, das Fotografieren war verboten. Herr Seebauer ließ zu dieser Frage das Publikum abstimmen, eine Mehrheit fand sich für die Pressefreiheit. Das passte dem Moderator aber nicht, also ließ er noch einmal abstimmen. Diesmal nur die Mitglieder der Bürgerwerkstatt, die den Maulkorberlass auch prompt bestätigten. Die Presse knipste dennoch und einige Spaßvögel holten ihre Handys und Fotoapparate heraus, knipsten ebenfalls und riefen lachend “Beweisfoto, Beweisfoto!” Alsdann wandte sich der Moderator mit einem schalkhaften Lächeln den gewählten Volksvertretern zu. Mitglieder der BVV Mitte und der BVV Pankow, andere Politiker - sie alle hatten eine schriftliche Einladung zur öffentlichen Präsentation des abgeschlossenen städtebaulichen Wettbewerbs erhalten. Nun sollte einzeln von der Bürgerwerkstatt darüber abgestimmt werden, ob sie im Saal geduldet wurden. Ein beschämendes, unwürdiges Spektakel, dass die Politik vehement und zu Recht abbrach. Sieht so die Gastfreundschaft der Bürgerwerkstatt aus? Man sollte doch froh sein, dass sich Politik und Presse, dass sich die Öffentlichkeit für den Mauerpark interessiert. Wer auf diese Weise seine Gäste behandelt, wird bald sehr einsam sein. Und diese Umgangsformen zogen sich nahtlos durch die ganze Veranstaltung durch. Zu Wortbeiträgen der Gäste gab es von Seiten der Werkstattmitglieder Kommentare wie “Halt’s Maul!” und “Halt die Fresse!” Offenbar beginnt nun die jakobinische Schlussphase der Werkstattfraktion. Am Ende kam es zu tumultartigen Szenen. Die Beteiligten brüllten sich in einem Tonfall und einer Lautstärke gegenseitig nieder, die selbst für die bisweilen rauen Umgangsformen in der Bürgerwerkstatt einmalig waren. O-Ton eines “Dialogs” zwischen einer etwa fünfzigjährigen Frau und einem gleichaltrigen Mann: “Heul doch!” - “Heul du doch!” Der Verfasser dieser Zeilen hat lange überlegt, wann er zuletzt einer Auseinandersetzung auf diesem argumentativen Niveau und mit diesem Erlebniswert beiwohnen durfte, und erinnerte sich dabei zurück an seine Grundschultage. Es war einfach groß, es hatte die expressionistische Wucht eines frühen Stummfilms. Momente, eines Dostojewski würdig, wenn Menschen schreiend durch den Saal laufen, sich die Haare raufen oder sich mit beiden Händen das Gesicht halten wie auf Edvard Munchs Bild "Der Schrei".
Die gesamte Bürgerwerkstatt war übrigens laut Vorstellung des Verfahrens vom 15.9.2010 auf sieben Veranstaltungen ausgelegt. Die Präsentation des Jury-Entscheids zum städtebaulichen Wettbewerb am 21.2.2011 war die siebte Veranstaltung und damit der Abschluss des Werkstattzyklus. Auf Wunsch einer Mehrheit der Bürgerwerkstatt soll die Arbeit jedoch fortgesetzt werden, Bezirksbaustadtrat Gothe wird vermutlich weitere Gelder zur Verfügung stellen. Das ist nicht selbstverständlich, schließlich muss er das ja nicht. Es zeigt aber, dass Herr Gothe mit der Arbeit der Werkstatt zufrieden ist. Offensichtlich wird hier ganz in seinem Sinne gearbeitet. So spielen die Großen mit den Kleinen.
Wie geht es weiter? Nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im September wird es eine Entscheidung der BVV Mitte zur Bebauung des Mauerparks geben. Der Senat hat es abgelehnt, über die Änderung des Flächennutzungsplans Einfluss auf das Verfahren zu nehmen und überlässt die Entscheidung dem Bezirk. Herr Gothe hat auf einer BVV-Sitzung gesagt, er rechne in Sachen Baubeginn mit 2012. Was gebaut wird, wissen wir seit der denkwürdigen Sitzung vom 21. Februar. Sämtliche gezeigten Entwürfe, die prämierten und die nicht-prämierten, sehen eine massive Bebauung der westlichen Parkhälfte mit Hochhäusern vor. P.S.: Sehr aufschlussreich war das Verhalten der Vivico-Gesandten, die in diesem Showprogramm den Grundstückseigentümer aus dem fernen Wien vertraten. Sie schwiegen während der vier Stunden eisern, auf die Bitte zu einem Kommentar ließen sie sich noch nicht einmal zu einem “Nein” herab, sondern schüttelten nur stumm die Köpfe. Erst als der talentierte Mr. Seebauer dem Publikum den Tipp gab, eine konkrete Frage an die Herren von der Zeitsparkasse zu formulieren, gab es einen dürren Hinweis. Man sei Immobilienhändler und könne sich jederzeit auch einen Verkauf des Geländes oder einen Gebietstausch vorstellen. Ein Interesse am Dialog mit den Bürgern sieht anders aus.
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