Ich kannte dieses Fleckchen Erde
fast mein ganzes Leben lang. 1975 kaufte mein Vater ein Stück Land im Hunsrück
und wir bauten ein Gartenhäuschen darauf. 1977 begannen wir mit dem Bau des
Hauses. Am Wochenende und nach Feierabend. Damit sich die beiden Maurer auf
ihre Arbeit konzentrieren konnten, brachten wir ihnen die Hohlblocksteine mit
der Schubkarre. Ich habe wahrscheinlich jeden dritten Stein in der Hand gehabt,
aus dem dieses Haus gebaut wurde. Ich habe Fensterrahmen gestrichen, den
Handwerkern geholfen, mit meinem Vater tapeziert und gestrichen, Spießbraten
gegrillt und den Campingtisch für alle gedeckt. Dann war es so weit: Die erste
Nacht im neuen Haus verbrachten mein Vater und ich in Schlafsäcken im völlig
leeren Wohnzimmer.
Die Jahre gingen ins Land. Meine
Schwester zog ein, mein Vater heiratete noch einmal und seine Frau zog ein. Ich
fand Freunde im Dorf und spielte im Fußballverein. Samstagabend saßen wir in
der Dorfkneipe. Es ging um Musik, Bier und die Mädchen, die wir nie ansprechen
würden. Nachdem ich 1991 nach Berlin gezogen bin, war das Haus meine Basis bei
Besuchen in der alten Heimat. Bis auf zwei Freunde, die es 1990 auch nach
Berlin gezogen hatte, traf ich regelmäßig meine alten Kumpels. Volker, aus dem
Haus gegenüber, hatte es in ein besetztes Haus im Prenzlauer Berg gezogen;
heute lebt er in Amsterdam. Von 2013 bis heute habe ich schließlich allein in
diesem Haus gewohnt. Mein Vater war mit seiner Frau nach Bingen gezogen. Ein
großes Haus und ein großer Garten – so opulent habe ich noch nie gelebt.
Stille, Zeit zum Denken und Schreiben.
***
Ich sehe beim Rundgang mit dem
Makler fast alle Zimmer des Hauses zum letzten Mal. Dann übergebe ich ihm die
Schlüssel. Die letzte Nacht, der letzte Morgen, der letzte Blick. Dann verlasse
ich das Haus, wie ich es immer wollte: mit einer kleinen Reisetasche in der
Hand, alles Materielle, also alles Unwichtige hinter mir lassend. Ich werde
dieses Haus, dieses Dorf, dieses Stück Heimat nie mehr wiedersehen.
Die Geschichte ist zu Ende und
ich schließe das Buch.
Moin, es ist in dieser Zeit des noch vorhandenen Schmerzes, der Erinnerns an Deinen Vater, an längst vergangene Zeiten, ein großer Vorteil, wenn Du all dieses für Dich, für andere Leser und für immer ( ? ) in Deinem Blog festhalten kannst. Dieses hilft Dir auch über den Verlust hinweg zu kommen. Eine Möglichkeit, die nicht jeden Trauernden gegeben ist. Du hast sie hiermit in sehr eindrucksvoller Weise genutzt. Einen sonnigen Restsommertag noch für Dich.
AntwortenLöschenDanke für deinen Kommentar. Es kommen sicher noch mehr Erinnerungen.
LöschenBerührt mich, Herr Bonetti. Selbst in einer kleinen Reisetasche nimmt mehr mehr mit, als man manchmal denkt. Für Sie alles Gute.
AntwortenLöschenDanke, Herr MiM. Leider gibt es auch negative Erinnerungen. Die Frau meines Vaters und ihre Familie haben direkt nach dem Tod den Kontakt zu mir abgebrochen. Zum Tod gab es nur eine dürre SMS, bei der Beerdigung sprachen sie kein Wort mit mir.
LöschenSolche Geschichten kenne ich von unverheirateten Paaren und ihren (Ursprungs)familien. Zu allem Überfluss kommt noch Streit ums Erbe dazu , trotz vorhandenem Testament.
LöschenCiao, mach's gut!
AntwortenLöschenDu auch.
LöschenMir kommen irgendwie zwei Bücher von Espedal in den Sinn. Gehen und Lieben.
AntwortenLöschenViel Kraft.
Vielen Dank.
Löschen"Die Frau meines Vaters" lässt tief blicken, aber man kann sich die Stiefmutter nicht aussuchen...
AntwortenLöschentut mir leid was passiert ist, besonders aber, dass dein vater nicht besser vorgesorgt hat. ich hoffe, du kannst alles für dich gut abschließen und einen anderen lebensraum finden. lieben gruß, roswitha
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