Freitag, 28. Juli 2023

Birkenthal

 

Als ich von der Arbeit nach Hause kam, saß er in meinem Wohnzimmer. Mit einer kurzen Handbewegung bot er mir einen Platz auf meinem Sofa an. Ich musste ihm keine Fragen stellen. Diesen Blick, dem man nicht lange standhalten kann, diese hochnäsige Selbstgerechtigkeit, lernt man nur in langen Jahren im Komitee für Aufklärung und Information, kurz KAI genannt.

„Sie arbeiten mit Birkenthal zusammen?“

„Ja, er sitzt mir direkt gegenüber.“

„Ab jetzt werden Sie jede Woche einen Bericht schreiben, den Sie an die Firma Möbel-Paul in der Rosenstraße 12 schicken. Wiederholen Sie meine Angaben!“

Ich tat es, er nickte und stand auf.

Am nächsten Montag saß ich mit Birkenthal im Büro. Ich war nervös, sprach über Fußball und das Wochenende. Unsere Plauderei war nur von kurzer Dauer. Offenbar hatten wir beide nichts unternommen. Sofa, Fernbedienung. In der Kantine setzte ich mich in Hörweite. Nichts als Büroklatsch und Belanglosigkeiten.

Als ich am Samstag meinen ersten Bericht schrieb, fiel mir nichts ein. Er war nur eine halbe Seite lang. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als ich den Briefumschlag in den Briefkasten warf.

Drei Tage später traf ich meinen Führungsoffizier auf dem Weg zur Bushaltestelle. Er sei enttäuscht, sagte er. Birkenthal sei ein Arbeitskraftzersetzer, ein Humanist unter Terrorismusverdacht, ein heimatloser Patriot. Jetzt wusste ich wenigstens, welche Auskünfte erwünscht waren.

Euphorisch schrieb ich meinen nächsten Bericht. Es gab so viel zu kritisieren, so viel, das mich selbst seit Jahren störte. Birkenthal habe über Ausbeutung gesprochen, über parasitäre Eliten, über die Unerträglichkeit der herrschenden Verhältnisse. Kurz darauf fand ich einen Gutschein über hundert Euro für Getränke-Meyer in meinem Briefkasten.

Der Wodka befeuerte meine proletarische Seele. Nun schrieb ich von bewaffnetem Kampf, von konspirativen Treffen, zu denen mich Birkenthal eingeladen habe. Eine Organisation namens „Die Bruderschaft“ sei in dezentralen Gruppen landesweit aktiv. Tausend Euro mit dem Vermerk „Bankirrtum zu Ihren Gunsten“ landeten auf meinem Konto.

Als ich über Waffenverstecke und einen konkreten Termin für den Sturz der Regierung schrieb, glaubte ich in meiner Begeisterung fast selbst daran.

In der folgenden Woche erschien Birkenthal nicht mehr an seinem Arbeitsplatz. Es hieß, man habe ihn verhaftet. Mir gegenüber sitzt nun ein Mann namens Kalahari. Ein Araber. Todsicher ein Islamist. Selbstmordattentäter. Ich werde einen Bericht über ihn schreiben.  

 

1 Kommentar:

  1. Wisst ihr noch, als Nina Tabai alias Tasha Davis fast ganz Klein-Bloggersdorf in Entzückung versetzte...
    #alteweisseBlogger

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