Montag, 31. Dezember 2018
Der letzte Traum des Jahres
Gibt es etwas Schöneres, als von Literatur zu träumen? Ja. Es ist der Traum, im Mittelpunkt eines handfesten Literaturskandals zu stehen. Mir ist es in der vergangenen Nacht gelungen.
Ich bin, zusammen mit etwa zehn anderen Kolleginnen und Kollegen, auf Einladung eines Brüderpaars in einer fremden Kleinstadt. Die beiden Brüder, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe, haben einen kleinen Literaturverlag. Vielleicht ist es eine Weihnachtsfeier, vielleicht ein Jubiläum. Jedenfalls sind wir in einem Gasthaus versammelt. Weite Teile des Traums handeln vom Verzehr und vom Trinkgenuss. Es gibt verschiedene Biere vom Fass, Schnäpse, Schweinebraten und Würste – kurz, alle Dinge, auf die ich wegen meiner Gicht verzichten muss und die genau darum umso hartnäckiger in meinen Träumen auftauchen.
In unserer Runde ist auch ein russischer Dissident, ein Regimekrititker, der eine regimekritische Veröffentlichung im Verlag der Brüder plant. Am späten Abend, ich bin bereits satt und müde, bekommen wir mitgeteilt, dass der russische Geheimdienst Agenten in diesem Lokal hatte. Es sind Fotos, unter anderem auch von mir, im Netz oder sonstwo aufgetaucht. Auch habe man einen Mann beobachtet, der mich gezeichnet hätte. Ich kann mich an den blassen, glatzköpfigen Mittvierziger erinnern, der immer zu mir hinübergeschaut hat. Ich hatte gedacht, er schriebe etwas auf. Schließlich waren ja Literaten anwesend.
Der russische Dissident wird ab jetzt von riesigen ukrainischen Muskelmännern beschützt, die mit ihm in einem schwarzen SUV davonfahren. Ich stelle mir vor, wie ich die Geschichte zu Papier bringe und sie mindestens der ZEIT, vielleicht auch dem New Yorker oder so anbiete und damit schlagartig weltberühmt werde, weil in der Kleinverlagsszene schließlich nur selten etwas Aufregendes passiert.
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