Freitag, 14. Dezember 2018

Steine, Spuren

Am 24. November wurden vor dem Haus, in dem ich in Berlin wohne, sechzehn „Stolpersteine“ verlegt. Seit 1992 verlegt Gunter Demnig diese Betonwürfel, die auf einer Messingplatte die Namen der Opfer des NS-Terrors tragen. Etwa 70.000 gibt es in ganz Deutschland und in anderen europäischen Ländern.
Sechzehn Menschen in diesem Haus. Vierzehn wurden ermordet, ein Ehepaar konnte 1939 noch über Genua nach Shanghai fliehen. Zu diesem Ehepaar habe ich im Anhang die Biographien angefügt, sie waren damals bekannte Musiker. Deswegen kamen zu der Zeremonie, bei der etwa dreißig Leute anwesend waren, auch der Direktor der nahen Musikhochschule und eine Geigerin, die einige klassische Stücke spielte.
Der Künstler hat leider kein einziges Wort gesagt. Er kam wie ein Handwerker, verlegte die Steine und fuhr vor Ablauf der Zeremonie wieder davon. Ein engagierter Bewohner unseres Hauses, der die Verlegung der Stolpersteine initiiert hatte, hielt eine Rede und stellte uns die einzelnen ehemaligen Bewohner unseres Hauses vor.
Besonders perfide war ein Briefwechsel, den er recherchieren konnte. Eine Versicherungsgesellschaft schrieb mehrfach an die Gestapo und fragte, ob die Versicherungskunden schon verstorben seien, damit man die fällige Lebensversicherung an die Reichskasse auszahlen könne. Das Wissen über den Holocaust war also weiter verbreitet als mancher vermutet. Die Geldgier der Nazis war ein weiterer Grund für die Ermordung vieler Juden und anderer Opfer.
Leider waren einzelne Mitglieder unserer Eigentümergemeinschaft dagegen, die Kosten von 120 Euro pro Stein aus der Gemeinschaftskasse zu bezahlen, aber es fanden sich Paten für alle sechzehn Steine. Während der Zeremonie legte eine Passantin spontan den ersten kleinen Stein auf einen der Namen. Der einzige jüdische Bewohner des Hauses konnte nicht anwesend sein, da er aus beruflichen Gründen in Asien unterwegs war. Allein in Wilmersdorf gab es 13.200 Opfer des Nazi-Regimes.
Mein herzlicher Dank geht an alle, die sich für das Gedenken an den Holocaust engagiert haben.
Henry Margolinski: https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002053
Irene Margolinski: https://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00005297

4 Kommentare:

  1. Danke, Matthias, auch für die links.

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  2. …."Der Künstler hat leider kein einziges Wort gesagt. Er kam wie ein Handwerker, verlegte die St...".....naja....bei 70.000 Stück bisher hat er ja Routine und einen Gesamtumsatz von über 8 Millionen.…..was soll er da noch gross sagen?....

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  3. Er musste vermutlich weiter - er verlegt ja nach wie vor beinahe alle Steine selber, mittlerweile in vielen europäischen Ländern. In Berlin war er jetzt ein paar Tage und hat quasi im Halbstundentakt Steine verlegt. Ich war am 26.11. ebenfalls bei zwei Zeremonien dabei. Ich finde es auch ganz angenehm, dass er sich zurückhält und den Angehörigen und Initiatoren überlässt, ob und wie die Verlegung durch eine Zeremonie begleitet wird.

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    1. Sicher, der Mann und sein Gehilfe haben viel zu tun. Aber ein kleiner Dialog wäre schön gewesen, dann hätte man ihm auch für seine Arbeit und grundsätzlich für seine Idee danken können. So wirkte es etwas, als hätte man einen Handwerker bestellt - und selbst die reden, wenn man sie eine halbe Stunde im Haus hat.

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