Donnerstag, 6. Oktober 2016

I have become comfortably numb

„Man will mit allem connected sein, nur nicht mit dem Stuhl, auf dem man gerade sitzt. Das ist eine permanente Gegenwartsflucht. Im Dialog mit anderen Menschen zu sein, ist eine Herausforderung. Dem entfliehen die Leute. Diese blöde Maschine Smartphone saugt alles ab.“ (Dieter Meier, Yello)
Ich sitze mit einer Freundin in einem Eiscafé, als eine Lehrerin mit ihrer Klasse hereinkommt. Offensichtlich ist heute Wandertag. Die Kinder dürfen sich ein Eis kaufen. Mancher holt sich eine Kugel Eis, andere zwei. Die einen nehmen eine Waffel, die anderen bevorzugen Becher und Löffel. Aber nicht alle Kinder haben Geld dabei. Einige Kinder können sich kein Eis kaufen. Sie schauen die Kinder, die an ihrem Eis schlecken, mit großen Augen an. Die sehnsüchtigen Blicke dieser Kinder werde ich nie vergessen. Wie gerne hätten sie jetzt auch ein Eis!
Mir hat diese Szene den ganzen Tag versaut. Ich war wütend. Warum ist diese Welt so ungerecht? Alle Kinder dieser Schulklasse sollten eine Kugel Eis bekommen, nicht die einen Kinder zwei Kugeln, die anderen gar keine. Jeder von uns hätte in diesem Augenblick so gedacht. Man schämt sich für diese Gesellschaft, wenn man so etwas sehen muss. Am liebsten hätte ich den armen Kindern ein Eis spendiert, aber ich wollte mich nicht mit der Lehrerin anlegen und mich einmischen. Ich war feige. Vielleicht auch geizig. Jedenfalls fühlte ich mich schlecht.
Ein anderes Beispiel: Meine Nachbarin hier in Schweppenhausen arbeitet als Krankenschwester in der Mainzer Uni-Klinik. Ich bin Schriftsteller. Sie hat einen harten Job, Schichtbetrieb, dazu die nervige Anfahrt von einer Stunde. Sollten wir beide das gleiche verdienen? Ich bleibe morgens im Bett liegen (wo ich natürlich erste Bonmots entwickle), sie muss raus. Wäre ein gleiches Einkommen nicht ungerecht?
Natürlich verdient sie mehr als ich – wir empfinden an diesem Punkt Ungleichheit als gerecht, so wie wir die Ungleichheit der Kinder in der Eisdiele als ungerecht empfinden. Aber ist es andererseits nicht ein schreiendes Unrecht, dass Investmentbanker der Deutschen Bank bis zu achtzig Millionen Euro Jahresbonus zu ihrem üppigen Gehalt bekommen haben? Diese Ungleichheit ist in unseren Augen ungerecht.
Je abstrakter wir über Gleichheit sprechen, desto schwieriger wird das Thema. Nur am konkreten Beispiel können wir erkennen, ob wir uns mehr oder weniger Gleichheit wünschen sollten. Die Debatte ist erst am Anfang, wenn ich mir in den Medien Fragen auf Grundschulniveau anschauen muss: „Brauchen wir mehr oder weniger Gleichheit?“ Oder die These aus dem Elfenbeinturm, wonach Freiheit und Gleichheit nicht kompatibel wären. Ganz so einfach wird es nicht werden.
Nächste Woche: Was ist Freiheit – wenn Sie Angestellter oder alleinerziehende Mutter sind?
Übernächste Woche: Warum finden wir Pinguine sympathisch? Warum helfen wir einer Katze in Not, aber nicht einer Spinne? Was unterscheidet Kraut von Unkraut? Gibt es auch einen Rassismus, der sich auf Flora und Fauna bezieht? Werden wir den Hominismus jemals überwinden?
Yello - Vicious Games. https://www.youtube.com/watch?v=Qis9XC7emHY

5 Kommentare:

  1. - Ich habe den Kinder in einer solchen Situation eine Kugel Eis gezahlt- für kleines Geld waren sie und ich froh, die Lehrer waren mir egal.
    - Nicht Gleichheit, sondern Gerechtigkeit ist wichtig, wir sind nicht gleich, weder in unseren Bedürfnissen, noch in unseren Fähigkeiten.
    - Unterscheidung Kraut-Unkraut: Unkraut ist Spontanvegetation! Anarchisch? Wählt den Ort selbst, an dem es wachsen will.

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    1. Du hast gehandelt, ich habe beobachtet. Es war allerdings nicht anders machbar, denn ich habe die Geschichte nur erzählt bekommen und sie hier aus dramaturgischen Gründen als meine eigene ausgegeben. Als ob es im Hunsrück Eissalons gäbe ...

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  2. Ich will keine Gleichheit.
    Ich will Gerechtigkeit, juristische Gerechtigkeit, Chancengerechtigkeit.

    Wie das verzogene Gör aus reichem Haus, das bereits am Ziel ist, während die Kinder aus armen Verhältnissen noch nicht einmal gestartet sind, weil der Startschuss gar nicht mehr fällt.

    Wenn eine Krankenschwester an der UNI-Klinik Köln (ÖD)angeblich mit 2355 Euro anfängt, natürlich bedeutend weniger in nicht tariflich organisierten privaten Firmen, ist das nicht ok, denn sie leistet gesellschaftlich wesentlich mehr als jeder Banker, Wirtschafts und Steueranwalt, Berater, Politiker.

    Lassen wir der Schwester ihre € 2.355 Einstiegsgehalt, den Schichtdienst, Wochenendddienste, unerträgliche Belastungen durch zu wenig Personal, durch verschissene Controller, die jeden Handschlag als zu teuer bewerten und nörgelnden Patienten. Von arroganten Ärzten ganz zu schweigen.

    Und begrenzen wir stattdessen die Gehälter von Angestellten und Beamten grundsätzlich auf 20.000 Euro pro Monat. Keine Boni, kein Dienstwagen, keine Dienstvilla, keine weiteren geldwerten Vorteile, 45% Lohnsteuer ab 12.000 Euro pro Monat, weiter gestaffelt bis 54% bei 20 Tsd/Monat. Teilnahme an der gesetzlichen Sozialversicherung ist Pflicht, ohne Ausnahme, keine Beitragsbemessungsgrenze Eine Arbeitstelle pro Person. Eine Person pro Arbeitstelle. Und keine Nebeneinkünfte als "Berater" etc. Wer glaubt beraten zu müssen, kann sich selbständig machen.

    Niedriglohnsektor in die Tonne, Leih- und Zeitarbeit in die Tonne, befristete Arbeitsverträge in die Tonne.

    Wenn das den Vorständen, den Investmentheinis nicht passt, können sie sich ja selbständig machen. Eine eigene Firma aufbauen, ans Laufen bringen. Oder am besten direkt auswandern, ins gelobte Land.

    Übrigens: Dieter Meier ist Millionär, durch Aktiengeschäfte, seit langer Zeit schon. Nur eine Feststellung, keine Anklage, auch nicht als solche gemeint.

    Ein(e) Lehrer(in), der/die sich heutzutage nicht der sozialen Unterschiede, die die Kinder in ihrer Klasse mit sich herum tragen, bewusst ist, sollte besser keine Eisdiele besuchen lassen, wenn die Eisportionen für alle Kinder nicht aus der Klassenkasse finanziert werden können.

    Aber es handelt sich vermutlich um ein Stilmittel, das Du benutzt hast um in dein wichtiges Thema einzusteigen.

    Und dann: Roswitha, sie haben 3 tolle Statements abgegeben.

    Und ich tippe und tippe, werd's wohl nie lernen, das kurz und knackig, und treffend.

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    1. Ein sehr gutes Programm. Aber ich sehe weit und breit keine Partei, die dieses Programm umsetzen möchte. Die Parteien haben den ganzen Staat in ihrer Gewalt und innerhalb der Parteien ist es ein kleiner Zirkel, der entscheidet. Die Königin des Parteienstaats feiert den 60. Geburtstag des Zockerkönigs Ackermann in ihrem Schloss. Die Träume werden Träume bleiben.

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  3. Mann, die Unkraut-Vorlage habe ich beinahe übersehen. Und jetzt wollte ich etwas schlaues schreiben, aber Roswitha hat ja schon die richtige Definition gegeben. Mist.

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