Dienstag, 19. August 2014
Dankesrede für den Literaturnobelpreis, die Bonetti bereits in der Schublade hat
Hast du deine Zigaretten eingesteckt, fragte die Mutter jeden Morgen am Haustor, bevor ich auf die Straße ging. Ich hatte keine Zigaretten einstecken. Und weil ich keine hatte, ging ich noch mal ins Zimmer zurück und nahm mir ein Päckchen. Ich hatte jeden Morgen keine, weil ich jeden Morgen auf die Frage wartete. Die Zigaretten waren der Beweis, dass die Mutter mich am Morgen behütet. In den späteren Stunden und Dingen des Tages war ich auf mich selbst gestellt. Die Frage „Hast du deine Zigaretten eingesteckt?“ war eine indirekte Zärtlichkeit. Eine direkte wäre peinlich gewesen, so etwas gab es in Bad Nauheim nicht. Die Liebe hat sich als Frage verkleidet. Nur so ließ sie sich trocken sagen, im Befehlston wie die Handgriffe der Arbeit.
Und zwanzig Jahre später war ich längst für mich allein in der Stadt, Aushilfspraktikant in der Redaktion des Medienfabrikanten Barry Niemann, der später mit dem „Bad Nauheimer Morgen“ zu Weltruhm gelangen sollte. Fünf Uhr morgens stand ich auf, halb sieben Uhr fing die Arbeit an. Morgens schallte aus dem Lautsprecher die Hymne über den Fabrikhof. In der Mittagspause die Arbeiterchöre. Aber die Arbeiter, die beim Essen saßen, hatten leere Augen wie Weißblech, ölverschmierte Hände, ihr Essen war in Zeitungspapier gewickelt. Bevor sie ihr Stückchen Speck aßen, kratzten sie mit dem Messer die Druckerschwärze von ihrem Speck.
Dort habe ich gelernt, mich gegen den Imperialismus und das Ausbeutersystem zu wehren. Der amerikanische Neoliberalismus ist eine Seuche, die unseren Planeten vergiftet. Ich verweise auf Indonesien, Griechenland, Uruguay, Brasilien, Paraguay, Haiti, die Türkei, die Philippinen, Guatemala, El Salvador und natürlich Chile. Man hat das Herz des Landes infiziert, eine bösartige Wucherung in Gang gesetzt und schaut zu wie der Faulbrand erblüht. Ist die Bevölkerung unterjocht worden oder totgeprügelt - es läuft auf dasselbe hinaus - und sitzen die eigenen Freunde, das Militär und die großen Kapitalgesellschaften bequem am Schalthebel, tritt man vor die Kamera und sagt, die Demokratie habe sich behauptet. Die US-Invasion des Irak war ein Banditenakt, ein Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus, der die absolute Verachtung des Prinzips von internationalem Recht demonstrierte. Die Invasion war ein willkürlicher Militäreinsatz, ausgelöst durch einen ganzen Berg von Lügen und die üble Manipulation der Medien und somit der Öffentlichkeit.
Ich bin ein Geschichtenerzähler. Weil ich ein Geschichtenerzähler bin, wird mir der Nobelpreis für Literatur verliehen. Ich werde auch weiterhin meine Geschichten erzählen. Wie hätte ein verhältnismäßig junger Mann, dessen einziger Reichtum in seinen Zweifeln und seinem noch im Werden begriffenen Werk besteht, der gewohnt ist, in der Einsamkeit der Arbeit oder der Zurückgezogenheit der Freundschaft zu leben, wie hätte er nicht mit einer Art Panik den Spruch vernehmen sollen, der ihn, allein und nur auf sich gestellt, mit einem Schlag in den Brennpunkt eines grellen Lichtes rückt?
Schreiben bedeutet, dass man die innere Einkehr in Worte fasst, dass man aus sich heraus voller Geduld, Hartnäckigkeit und Freude an einer neuen Welt arbeitet. Wenn ich am Tisch sitze und auf eine leere Seite nach und nach Wort um Wort schreibe und darüber Tage, Monate, Jahre vergehen, dann fühle ich, dass ich eine neue Welt erstehen lasse und einen anderen Mensch aus mir heraushole, so wie man Stein auf Stein eine Brücke oder eine Kuppel baut. Der Stein des Schriftstellers ist das Wort. Wir nehmen das Wort in die Hand, befühlen es, setzen es mit anderen Wörtern in Zusammenhang, betrachten es manchmal aus der Ferne, fahren mit dem Finger oder dem Stift gleichsam streichelnd oder abwägend darüber, dann setzen wir es an seinen Platz, zäh, geduldig, hoffnungsfroh, über Jahre hinweg, neue Sphären erschaffend.
Flaubert lehrte mich die Notwendigkeit der eisernen Disziplin, Sartre, dass Worte Taten sind, Orwell, dass die Literatur der Humanität verpflichtet sein muss, Cervantes, Dickens, Balzac, Thomas Mann, dass Fülle und Ambition für den Romanautor genauso viel Gewicht besitzen wie Stil und Erzählgeschick. Von Jörg Fauser habe ich gelernt, dass man als Schriftsteller authentisch bleiben muss, von Franz Kafka und Robert Walser, dass man erst im Scheitern Größe beweisen kann, und von Thomas Bernhard, dass man aus der Verachtung der Gesellschaft seine Kraft schöpfen kann.
Und nun trinke ich darauf, dass das Ideal, das der Stiftung zugrunde liegt, seiner Verwirklichung immer näher geführt werden möge, ich meine das Ideal des Weltfriedens, das ja das höchste Ideal der Wissenschaft und der Kunst in sich schließt. Die Kunst und die Wissenschaft, die dem Kriege dient, ist nicht die höchste und echte, die ist es, die der Friede erzeugt und die den Frieden erzeugt. Und ich trinke auf den großen letzten und rein idealen Nobelpreis, den die Menschheit dann sich wird zuerkennen dürfen, wenn die rohe Kraft unter den Völkern ebenso verhasst geworden ist, wie die rohe Kraft es bereits unter den menschlichen Individuen der zivilisierten Gesellschaft ist.
P.S.: Danke an Herta Müller, Harold Pinter, Mo Yan, Albert Camus, Orhan Pamuk, Mario Vargas Llosa und Gerhart Hauptmann, deren Nobelpreisreden hier verwurstet wurden.
Jay Z & Alicia Keys – Empire State of Mind. http://www.youtube.com/watch?v=0UjsXo9l6I8
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Cheers, l'chaim, skol!
AntwortenLöschenWusste ich doch, dass Fauser und der Weltfrieden dich auf mein Honigbrötchen locken ;o)))
AntwortenLöschenHehe, ganz falsch liegst du da natürlich nicht. Aber eigentlich war ich nie weg, nur etwas stummer als sonst manchmal. Ist halt nicht immer alles Zuckerschlecken, trotz Honigbrötchen. Zu Bad Nauheim und Herrn Gelb hätte ich noch ein paar Fragen an den Fachkundigen, aber später erst.
AntwortenLöschenDie Geschichte von Herrn Gelb habe ich bei meiner Berlin-Reise gerade wieder komplett gelesen, sie ist quasi mein Rohstoff ... daher freue ich mich auf deine Fragen ;o)
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