Montag, 13. April 2009

Zwanzig Jahre Mauerfall


Es gibt Bilder, die gehen um die ganze Welt. Es gibt Orte, auf die für einen Augenblick der Geschichte alle Scheinwerfer gerichtet sind. Das Brunnenviertel ist so ein Ort.

Eigentlich klingt es surreal wie eine Märchengeschichte: Da wird quer durch Berlin und durch den heutigen Stadtteil Mitte eine hohe Mauer gebaut, die Tag und Nacht bewacht wird, als seien beide Hälften der Stadt im Kriegszustand. Man kann es eigentlich gar nicht glauben, wenn man heute die Bernauer Straße entlang geht. Aber hier sah es vor zwanzig Jahren noch völlig anders aus und vor einem knappen halben Jahrhundert spielten sich an diesem Ort dramatische Szenen ab, die weltpolitische Konsequenzen haben sollten. An der Bernauer Straße sprangen Menschen aus den Fenstern, um die letzte Gelegenheit zur Flucht zu nutzen. Staatsoberhäupter legten in der Folgezeit Kränze und Blumen an diesem Ort nieder, um ihre Verbundenheit mit der geteilten Stadt zu dokumentieren.

Als am 13. August 1961 die Grenzen zwischen den Sektoren der Westalliierten und der DDR abgeriegelt wurde, war das Brunnenviertel auf einen Schlag von seinen Nachbarbezirken im Süden und Osten abgeschnitten. Das letzte Schlupfloch des "Eisernen Vorhangs", der kapitalistische und kommunistische Gesellschaften quer durch Europa und Deutschland trennte, war geschlossen, der Flüchtlingsstrom in den Westen versiegte. Familien wurden getrennt, Arbeitsplätze waren plötzlich unerreichbar und Geschäfte schlossen. Bis zum Bau der Mauer arbeiteten viele Menschen aus dem Prenzlauer Berg in den Fabriken des Wedding. Sie gingen in der belebten Gegend um Bad- und Brunnenstraße, damals im Volksmund noch "Sachsendamm" genannt, einkaufen. Zahlreiche Geschäfte, Gasthäuser und Kinos profitierten von den Besuchern aus Ost-Berlin und der DDR, die hier auch mit ihrer eigenen Währung zahlen konnten. Nur zwei Jahre nach dem Mauerfall hatte bereits die Hälfte der Betriebe im Kiez geschlossen – ein wirtschaftlicher Aderlass, von dem sich das Viertel bis heute nicht erholt hat. Wer nun in den anderen Teil der Stadt wollte, musste zu den Grenzübergängen an der Bornholmer Straße oder der Chausseestraße. Im Brunnenviertel selbst gab es nur die kahle Wand der "Berliner Mauer", wie sie in aller Welt genannt wurde, und dahinter den militärisch gesicherten "Todesstreifen". Zu allem Überfluss wurde das isolierte Viertel am "neuen Stadtrand" West-Berlins in den Folgejahren Opfer städtebaulicher Experimente, in erster Linie der sogenannten "Kahlschlagsanierung".

In den Jahrzehnten nach dem Mauerbau veränderte sich das Viertel und seine Menschen. Die Isolation West-Berlins führte zum wirtschaftlichen Niedergang, viele Menschen folgten den Arbeitsplätzen und wanderten in die Bundesrepublik ab. Neue Gesichter prägten das Straßenbild: Die einfachen Malocher und Hausfrauen verschwanden, ebenso die Kriegsversehrten, deren zerstörte Körper an die Schrecken des Weltkriegs erinnerten, Migrantenfamilien und junge Westdeutsche siedelten sich in Vierteln wie Kreuzberg oder dem Wedding an. Die Migranten kamen wegen der damals noch vorhandenen Industriearbeitsplätze, die mit einer "Berlinzulage" subventioniert wurden, die Jugend wollte der schwäbischen oder westfälischen Einöde entfliehen, wahlweise auch dem Kreiswehrersatzamt, und das Leben in der Großstadt entdecken. Ost-Berlin erschien den Neubürgern als bizarres Ausflugsziel, das geographisch zwar nicht weit entfernt lag, aber nur mühselig, nach langem Schlangestehen an den Passierscheinstellen, dem Ausfüllen eines Visumantragsformulars (drei Tage im Voraus), der Zahlung des "Mindestumtauschs" von 25 D-Mark, peniblen Taschenkontrollen und strengen Befragungen durch die "Grenztruppen" zu erreichen war.

28 Jahre lang war die Mauer ein Abenteuerspielplatz für Kinder und Graffiti-Künstler, ein Ort der politischen Provokation und Propaganda der konkurrierenden Systeme, Schicksalsort für Flüchtlinge, die den Todesstreifen in Tunneln und mit Fesselballons überwinden wollten – dann wurde sie durch eine einzige Pressekonferenz des SED-Regimes atomisiert. In der Nacht vom 9. auf den 10. November strömten die Menschen nach West-Berlin. In den Tagen nach der Maueröffnung waren der Ku’damm und andere Straßen eine einzige Partymeile: überall knatternde Trabbies, Sekt und Stone-washed Jeans. Zwanzig Jahre sind seitdem vergangen, die Narben der Teilung sind für Bewohner und Besucher praktisch unsichtbar geworden. Nur an der Bernauer Straße erinnert der einzige komplett erhaltene Grenzabschnitt noch an die unglaubliche Geschichte, als quer durch Berlin eine Mauer gebaut wurde.

Info: http://www.berlin.de/special/20_jahre_mauerfall/

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