Samstag, 29. Februar 2020

Im Land der Kreidefresser


„Mit der Demokratie gegen den Faschismus oder mit dem Faschismus gegen die Demokratie.“ (Georg Seeßlen: Ein weiterer Schritt zur politischen Unkultur)
Der Deutsche Bundestag funktioniert wie ein englischer Club: Erstens gibt es hohe Hürden, um aufgenommen zu werden, und zweitens wird man erst nach einer langen Anpassungsphase von den Mitgliedern akzeptiert.
Beispiel Grüne: Als die Partei 1980 gegründet wurde, war sie das Schmuddelkind der Republik. Niemand wollte etwas mit ihr zu tun haben. Rebellen, Müslifresser, Hausbesetzer, Autonome, Linksalternative. Manche sahen in ihr sogar den politischen Arm der RAF. Als sie 1983 in den Bundestag einzogen, war man ratlos, wo man die Abgeordneten platzieren sollte. Niemand wollte neben ihnen sitzen. 1985 in Hessen der erste Versuchsballon einer Regierungsbeteiligung. 1998 waren die Grünen sogar in der Bundesregierung. Hier konnten sie zeigen, dass sie Ecken und Kanten abgeschliffen hatten. Ihren Pazifismus begruben sie 1999 im Kosovo, ihre ablehnende Haltung zur Kernkraft 2000 bis 2002 im Atomkonsens, der den endgültigen Ausstieg im Jahr 2022 vorsah, ihr soziales Gewissen in der Hartz-Gesetzgebung 2003 bis 2005. Inzwischen sind sie anerkanntes Mitglied im Club und Teil des Establishments. Sie sind anschlussfähig für Union, SPD, FDP und Linke.
Beispiel Linke: Mit der Wiedervereinigung wurden sie 1990 ins bundesdeutsche Parteiensystem gespült. Sie waren Jahrzehnte die Parias im Parlament. Sozialisten, Stasi-Spitzel, Mauermörder, Systemgegner. Auch sie haben sich angepasst, akzeptieren den Kapitalismus und sind inzwischen in den Ländern und vermutlich auch im Bund anschlussfähig für SPD und Grüne.
Das neueste Mitglied im Club heißt AfD. Niemand will etwas mit den Faschisten zu tun haben, die der deutschen Demokratie den Kampf angesagt haben. Sie existieren hinter einer Brandmauer, die in Thüringen am 5. Februar jedoch einen Riss bekommen hat, als erstmals Abgeordnete von CDU, FDP und AfD ein parlamentarisches Wahlbündnis schlossen, um Thomas Kemmerich von der FDP zum Ministerpräsidenten zu küren. Eilig wurde von den Parteizentralen in Berlin die Unvereinbarkeit der politischen Ziele beschworen, in den ostdeutschen Bundesländern ist das Meinungsbild jedoch weniger eindeutig.
Damit stellt sich für die AfD die entscheidende Frage. Fresse ich so viel Kreide wie zuvor Grüne und Linke, um von den alteingesessenen Clubmitgliedern akzeptiert und an Regierungen beteiligt zu werden? Dann muss ich Ecken und Kanten, also denn ganzen völkisch-nationalistischen Flügel, abschleifen und mich von Leuten wie Höcke oder Gauland trennen wie einst die Grünen von Jutta Ditfurth. Oder die Partei sieht sich weiterhin im Wortsinn als Alternative zum politischen System der Bundesrepublik und zum Grundgesetz. Dann wird sie nie in Regierungsverantwortung kommen, denn von absoluten Mehrheiten ist sie im Bund und den westdeutschen Ländern sehr weit und in den ostdeutschen Ländern immer noch weit entfernt.
Das sind die beiden Wege. Die AfD muss sich entscheiden: Anpassung oder ewige Opposition. Ich hoffe, sie folgt Höcke in die Radikalisierung und ins Abseits. Bei einer Pegida-Veranstaltung hat er seine fanatischen Zuhörer offen zum Umsturz aufgerufen. Seiner permanenten Anstiftung zum Mord folgten die Fanatiker von Kassel, Halle und Hanau. Sie bilden Banden wie Teutonico. Wäre die Bundesrepublik eine wehrhafte Demokratie, böte sich hier an Ansatzpunkt, um sich von der faschistischen Bedrohung zu befreien. Leider sieht es im Augenblick nicht danach aus, als könnte die Demokratie die Kraft zu ihrer Verteidigung aufbringen.
Rare Earth - I Know I'm Losing You. https://www.youtube.com/watch?v=F28X8--2dFU
„Wenn die beiden Parteien, die derzeit am stärksten profitieren, die Grünen und die AfD sind, dann bedeutet das vor allem, dass der Kapitalismus sich in vielem durchgesetzt hat: Die Grünen kümmern sich um die ökologischen Folgen. Die AfD bedient die kulturellen und auch ökonomischen Entfremdungsgefühle. Es ist eine Art Arbeitsteilung, an die Substanz des immer demokratiefeindlicheren Wirtschaftssystems wagt sich keine der beiden Parteien heran.“ (Georg Diez)

6 Kommentare:

  1. Korrektur: ".. von Leuten wie Höcke oder Gauland trennen wie einst die Grünen von Jutta Ditfurth..."
    Richtiges und passendes Beispiel wäre der rechte Baldur Springmann. Die Grünen haben sich nicht von Jutta D. getrennt, sondern sie sich konsequenterweise von ihnen 1990.

    https://konkret-magazin.de/aktuell/435-40-jahre-gruene

    Dass die LINKE den Weg der Grünen ins System geht, hatte ich bereits vor rd. 20 Jahren prophezeit. Damals kamen die ersten Koalitionsbegehren mit dem Klassenfeind SPD auf. Bei denen geht es nur schneller.

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  2. Macht euch keine Illusionen.
    Es würden noch viel mehr AfD wählen, wenn Sie sich trauen würden.
    Im Gespräch mit "ganz normalen Leuten" kommt so einiges an die Oberfläche, das einen erschaudern lässt.
    Am schlimmsten ist diese "Halbbildung".
    Da faseln die Leute was von den Gründen des ersten Weltkrieges oder andere hanebüchene Geschichtssplitter das es einem graust. Viel aus dem Netz von fragwürdigen Seiten.
    Bei der Gelegenheit, Bücher sind eben immer noch nicht zu ersetzen.
    Wenn man dann versucht das eine oder andere zurecht zu rücken ist man der Besserwisser.
    Man hat also in jedem Fall verschissen, schon beim Zuhören, nur durch die Existenz, ohne auch nur einen Augenzwinker zu machen. Das ist Faschismus.

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  3. Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen:
    Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus.
    Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig.
    Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent.
    Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.


    Gerhard Bronner

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  4. Ich bin kein Nazi. Ich wähle weiter AfD. Ob ich anständig und intelligent bin, ich weiss es nicht.

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  5. Ok. Also gut. Dann werde ich jetzt lieber Monarchist.

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