Mittwoch, 16. Januar 2019

Auermanns Ende

Patrick Auermann war ein junger, hoffnungsvoller Kabarettist, doch die Schneemassen dieses Winters wurden ihm zum Verhängnis. Und das kam so:
Nach seinem Sieg bei einem Poetry Slam in Augsburg beschloss Auermann, Kabarettist zu werden. Er schrieb fleißig Texte und bald hatte er ein beachtliches Programm von etwa einer Stunde beisammen, das er auswendig vortragen konnte. Er schrieb diverse Veranstaltungsorte an und bat um die Möglichkeit, auftreten zu dürfen. Es hagelte Absagen, bis auf die Schwammbichlerhütte in Tirol. Sie buchte ihn für einen Auftritt, immerhin. Essen, Übernachtung und Reisekosten. Bahnfahrt zweiter Klasse, der Hüttenwirt würde ihn am Bahnhof abholen.
So kam der Auermann also auf die Schwammbichlerhütte in zweitausend Meter Höhe. Am Abend waren im Gastraum der Hütte etwa fünfzig Gäste beisammen, die ordentlich Bier und Schnaps tranken, Schweinebraten und diverse Jausenbrettl auffahren ließen und guter Stimmung waren. Nachdem der Wirt einige Stücke auf seiner Ziehharmonika gespielt und dazu gejodelt hatte, war er an der Reihe. Ein wenig nervös war er schon, aber nach einigen Minuten lachten die Hüttenbesucher gutmütig über seine harmlosen Späße. Über die Berliner Politik und Smartphone-Süchtige kann man immer lachen.
Nach dem Applaus setzte er sich an die Theke, trank drei Bier, aß ein paar Wiener Würstchen mit guten Appetit und ging zu Bett. Sonst wäre eigentlich nichts zu berichten gewesen, aber in der Nacht begann es zu schneien. Es schneite und schneite und am Morgen lagen drei Meter Schnee. Keiner konnte die Hütte verlassen, keiner konnte die Hütte erreichen. Beim Frühstück beruhigte der Wirt alle Gäste. Es seien genug Vorräte für einige Tage vorhanden.
Die Hüttenbesucher saßen im Gastraum, spielten mit ihren Smartphones und Tablets, aßen und tranken nach dem Frühstück einfach weiter und schwatzten und lachten bis in den Nachmittag. Dann machte der Wirt den Vorschlag, der Kabarettist könnte doch einfach noch einmal auftreten. Fernsehen und Radio gab es in der Schwammbichlerhütte nicht und so fand der Vorschlag allgemeine Zustimmung.
Patrick Auermann trug sein Programm also ein zweites Mal vor. Diesmal lachte kaum einer und der Beifall am Ende war doch sehr matt. Er zog sich direkt in sein Zimmer zurück und hoffte, am nächsten Tag abreisen zu können. Auf den Nachrichtenseiten im Netz hieß es, überall seien Rettungskräfte am Werk, die eingeschlossene Dörfer und abgelegene Berghütten erreichten. Aus dem Gastraum hörte er die Menschen singen, der Gastwirt spielte auf seiner Ziehharmonika und jodelte aus Leibeskräften.
Am dritten Tag war die Stimmung gedrückt. Die Leute besoffen sich direkt nach dem Frühstück und so dauerte er nicht lange, bis nach Auermann verlangt wurde. Der junge Mann weigerte sich zunächst, sein Zimmer zu verlassen, aber der Wirt erklärte ihm, dass die Menge wütend werden könnte, falls er nicht erschiene.
Als er vor den Gästen stand, hatte Auermann kein gutes Gefühl. Er konnte unmöglich noch einmal dieselben Texte vortragen. Er versuchte es zunächst mit ein paar Improvisationen über die Qualität der Flugzeugmahlzeiten. Er blickte in steinerne Gesichter, das erste Murren wurde laut. Dann probierte er es mit Witzen über Veganer. Keiner lachte. Dann begann er einfach mit seinem üblichen Programm. Die ersten Gläser flogen. Er sprach unbeirrt weiter.
Dann stand ein großer, rotgesichtiger Mann vom Tisch auf, torkelte auf ihn zu und versuchte, ihm ins Gesicht zu schlagen. Jetzt lachten die Menschen, aber es war ein furchteinflößendes Lachen. Sie beschimpften und bewarfen ihn mit Brotresten und Brezeln. Der Wirt zog ihn weg, aber die wütende Menge folgte ihnen. Er schob den armen Auermann zur Tür hinaus in den Schnee und versprach den Gästen Freibier. Die ganze Meute heulte beifällig und ging zurück in den Schankraum.
Patrick Auermann aber fand man erst im Frühling, als die Schneeschmelze einsetzte. Er lag in embryonaler Haltung etwa zehn Meter von der Hütte entfernt. Das wäre ihm in München nicht passiert.
Principe Valiente - Strangers In The Night. https://www.youtube.com/watch?v=fo4TRnk9wCA

7 Kommentare:

  1. Oh Oh Oh ... und David Hasselhoff ist jetzt auch - in Österreich - eingschneit
    und hätte - morgen - einen Auftritt auf der Saalbach Hinterglemm !!!

    *müssenWIRunsSORGENmachen*

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    1. Da bekommt seine Liedzeile "I've been looking for freedom" ja eine ganz neue Bedeutung.

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  2. Aaaach Ihr habt doch alle keine Ahnung.
    Ich war schon mal eingeschneit. Herrlich !
    Da kam aber kein Katastrophenschutz oder Rot Kreuz. 1979. In Vorarlberg.
    Oh Gott oh Gott.
    Meine Eltern und die meiner Freunde haben sich nicht einmal Sorgen gemacht.
    Da hieß es dann nur zuhause : Ach, ihr ward eingeschneit ?
    Was ist denn heutzutage bloß los ? Muss denn aus allem ein Hype gemacht werden ?
    4 Idioten sind in Lech in einer Lawine verreckt.
    Ja mein Gott, bei solchen Bedingungen geht man halt auch nicht Skitouren, hallo !
    Daß jeden Tag 8-11 Leute im Straßenverkehr sterben, jeden Tag, heute, morgen und übermorgen schon wieder, das juckt keine Sau.
    Diese ganze Sonderberichterstattung, Sondersendungen, Schneecaos, ich muß bald kotzen.

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    1. Niemand berichtet über die positiven Seiten: Kinder, die nicht in die Schule müssen, oder die Niederschlagsmenge, die nach dem trockenen Sommer wieder die Grundwasserbestände auffüllt.

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    2. Gerade in den Nachdenkseiten gelesen. Wunderbar.
      Quelle: Informationsstelle Militarisierung e.V.
      Während die Verantwortlichen in einigen Gemeinden in Österreich, wie z.B. in Lech am Arlberg noch am Wochenende feststellen, dass es sich trotz Lawinenabgängen mit Todesfolge um keine ungewöhnliche Lage handele, herrschte in den deutschen Medien bereits Katastrophenstimmung.

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  3. Wäre der viele Schnee als Regen vom Himmel gefallen, wie bei uns im Westen, Auermann wäre mit dem Leben davongekommen.

    Vorerst.

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    1. Mir tut der junge Mann auch leid. Er hätte es vielleicht bis in die heute-show oder die Anstalt geschafft.

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