„Und alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte.“ (Apostelgeschichte 2, 44-45)
Als er aufwachte, war es noch dunkel. Er blieb liegen und hörte den Geräuschen der Stadt zu. Das helle Wispern der Autos, das dumpfe Brummen der Lastwagen, der Hornissengesang der Motorroller.
Dann sah er durch die Mattglasscheibe der Wohnzimmertür Licht. Jonas war aufgestanden. Er wollte ihn nicht stören. Außerdem hatten sie sich gestern Abend gestritten. Irgendwas mit Politik. Irgendwo im Ausland. Irgendwie im Fernsehen.
Er hörte, wie Jonas duschte. Er hörte, wie in der Küche der Toast aus der Maschine sprang. Er hörte, wie die Tür geschlossen wurde. Schritte im Treppenhaus. Jonas war zur Arbeit gegangen. Immer wieder Schritte im Treppenhaus. Alle gingen zur Arbeit. Dann war es endlich still im Haus.
Er lag immer noch auf dem Sofa. Seit drei Monaten lag er auf dem Sofa, immer mit derselben Decke und demselben Kopfkissen. Er machte den Fernseher an. Die aufgekratzte Fröhlichkeit und deprimierende Oberflächlichkeit des Frühstücksfernsehens. Er ging auf die Toilette.
Als er am Fenster stand, sah er die Frau im Haus gegenüber. Sie kam an jedem Vormittag mit ihrem Baby und setzte sich auf den Balkon. Ob es ein Junge oder ein Mädchen war? Der Säugling trug einen weißen Strampelanzug. Auch die Mutter war in hellen Farben gekleidet. Er hätte die Farben gar nicht benennen können. Das Fenster war sicherlich seit einem Jahr nicht mehr geputzt worden.
Drei Monate hatte er jetzt keine eigene Wohnung mehr. Vor drei Monaten war er bei Jonas eingezogen. Seit einem Jahr hatte er keinen Job mehr. Beim Job-Center hatten sie ihm eine Umschulung angeboten. Aber er wollte nicht in einer Gärtnerei arbeiten. Er wollte einen Büro-Job. Notfalls auch eine Stelle als Pförtner.
Er zog einen Roman aus dem Bücherregal im Wohnzimmer und las ein paar Seiten. Aber er kam einfach nicht in die Geschichte rein. Er legte das Buch wieder weg und saß stumm auf dem Sofa. Er versuchte, den Moment noch ein wenig heraus zu zögern, aber um zwei Uhr nahm er die Flasche Wein aus dem Kühlschrank.
***
Als ich nach Hause kam, war Peter schon betrunken. Im Wohnzimmer roch die Luft abgestanden und nach Schweiß. Er hatte auch wieder geraucht, ohne wenigstens einmal die Fenster zu öffnen.
Ich trug die Einkaufstüte in die Küche und begann, alles in den Kühlschrank und das Küchenregal zu legen. Im Kühlschrank war kein Wein mehr, nur noch eine angebrochene Flasche Mineralwasser. Auf dem Küchentisch lagen ein kleines Holzbrett und ein benutztes Messer. Ich nahm die Butter vom Tisch und stellte sie in den Kühlschrank.
Ich ging ins Wohnzimmer. Er lag auf dem Sofa. Ich sah nur seinen Haarschopf, die Decke und am anderen Ende seine nackten Füße, die auf der Sofalehne lagen.
„Wir müssen reden.“
„Was ist denn los? Wegen gestern?“ Er lachte.
„Ich möchte, dass du gehst.“
„Wohin soll ich denn gehen?“
Der Fernseher lief. Wann hatte ich zuletzt auf meinem Sofa gesessen? Die Abende verbrachte ich auf dem alten Sessel oder gleich in meinem Schlafzimmer.
„Ich möchte, dass du gehst.“
Dann schloss ich die Tür.
10cc – I’m Not In Love. https://www.youtube.com/watch?v=2rgepWg4rzw
Müssen Wir uns Sorgen machen ?
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