Montag, 11. September 2017

Der Nachbar

„Die Welt schien mir nun vertraut bis ins kleinste, so wie die Klotür von innen.“ (Wiktor Pelewin: Omon hinterm Mond)
Die Häuser sehen alle gleich aus. Die Möbel, die Bilder an den Wänden. Es ist so deprimierend. Man geht hinein und da steht die unvermeidliche Kommode im Flur. An der Wand gegenüber sind die Haken der Garderobe. Es gibt nichts, das ich mitnehmen würde. Nichts, das mir gefällt. Nichts, das ich nicht selbst hätte. Ich gieße die Blumen und gehe wieder.
Drei Tage später bin ich wieder hier. Meine Nachbarn sind im Urlaub. Ich weiß nicht, warum ich das überhaupt mache. Ich selbst habe keine Blumen und ich würde auch niemanden in mein Haus lassen, wenn ich verreist wäre. Wem kann man heutzutage noch trauen?
Im Wohnzimmer stehen ein Sofa aus weißem Leder und ein Fernsehsessel. Ich setze mich hinein. Mit einem Schalter kann man sich in eine liegende Position bringen. Ich probiere es eine Weile aus. Lehne rauf, Lehne runter, Lehne rauf, Lehne runter.
Es ist so still hier. Im Regal, das eine ganze Wand einnimmt, ist eine Stereoanlage. Was hören denn die Meiers so? Ich schaue mir die CDs an. Classic Rock. Wie erbärmlich. Wolfgang Petry. Immerhin auch eine Platte von AC/DC. Soll ich Musik hören? Nein. Ich gieße die Blumen und gehe wieder.
Beim nächsten Mal werfe ich einen Blick in den Kühlschrank. Sie haben vor dem Urlaub wirklich klar Schiff gemacht. Da stehen nur Ketchup und Marmelade. Eine Flasche Wein mit Schraubverschluss. Eine Tube Senf, die fast leer ist.
Im Schlafzimmer steht ein Schrank, der zu drei Vierteln mit Röcken, Blusen und Mänteln der Ehefrau gefüllt ist. Was für ein langweiliger Mist. Faltenröcke von Frau Meier und Cordhosen von Herrn Meier. Wie kann man nur so ein ödes Leben führen? Ich gieße die Blumen und gehe wieder.
Einige Tage vor ihrer Rückkehr sitze ich am Schreibtisch von Herrn Meier. In den Schubladen alte Rechnungen und Ansichtskarten. Der Wagen ist nur geleast und offenbar kennen die Meiers ausschließlich Leute, die auf den Kanarischen Inseln Urlaub machen. Im Augenblick sind sie gerade an der Costa Brava. Nicht gerade originell.
Im Keller gibt es tatsächlich so etwas wie einen Gymnastikraum. Eine Bank und ein paar Hanteln. Ein Heimtrainer. Überall ist Staub auf den Geräten. Keine Disziplin, diese Leute. Kein Wunder, dass beide so dick geworden sind. Sie sollten sich mehr bewegen. Ob ich Herrn Meier nach seiner Rückkehr mal auf das Thema anspreche?
In einer Abstellkammer finde ich auf dem obersten Regal einen Karton mit Fotografien. Herr Meier hat seine Nachbarin fotografiert, die im Garten oben ohne ein Sonnenbad nimmt. Du kleine, miese Drecksau! Meier, du Spanner. Schnüffelt gerne hinter den Leuten her. Hätte ich mir ja denken können. Ich gieße die Blumen und gehe wieder.
Bryan Ferry - Let's Stick Together. https://www.youtube.com/watch?v=Z9EbR0ckb40

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