Sonntag, 1. November 2015

Das Mädchen

„Hello darkness, my old friend, I've come to talk with you again.” (Simon & Garfunkel: The Sound Of Silence)
Ich hatte das Gespräch nur zufällig mitbekommen, als ich auf einer Wiese am Wegesrand lag. Ein Bauer schilderte seiner Frau mit enervierender Genauigkeit, was er von einem anderen Bauern gehört hatte. Lauter Belanglosigkeiten. Bauerngeschwätz eben. Aber es hatte mich doch neugierig gemacht und so war ich den beiden mit einigem Abstand ins Dorf gefolgt.
In einer einfachen Pension nahm ich mir ein Zimmer. Der Gastwirt war auch Bauer. Ich sah es an seinen großen schweren Händen. Er fragte mich ein wenig aus, als er mir den Schlüssel gab. Das Zimmer im Erdgeschoss bestand aus wenig mehr als einem Bett. Als er den Raum verlassen hatte, legte ich mich aufs Bett. Ich sah den Mann, dessen Silhouette sich hinter der Milchglasscheibe abhob, noch einige Minuten im Gang. Er schien mich zu belauschen.
Als er endlich gegangen war, öffnete ich behutsam das Fenster. Und tatsächlich hörte ich, wie der Gastwirt telefonierte. Natürlich ging es um meine Ankunft. Aber es wurde noch viel interessanter. Er bestellte tatsächlich ein halbes Dutzend Überwachungskameras, die er an seinem Haus und in einem Steinbruch aufstellen wollte. Von einem Steinbruch hatte ich gar nichts bemerkt.
Nach einer halben Stunde verließ ich die Pension und trieb mich ein wenig im Dorf herum. Die Straßen waren leer, nur ein junger Mann besserte einen Seitenweg aus. Mit einer Eisenstange lockerte er Steine und warf sie beiseite. Dann fügte er neue Steine in den Weg ein. Trotz seines plumpen Aussehens war er sehr geschickt bei seiner Arbeit und ich sah ihm eine Weile fasziniert zu. Als er mich bemerkte, ging ich zu ihm hinüber und fing ein Gespräch an. Bald kamen wir auf den Mord zu sprechen.
Ein junges Mädchen war im Steinbruch tot aufgefunden worden. Die Sonne ihrer Eltern. Niemand wusste, wer der Mörder war. Keiner kannte den Grund. Es konnte jeder aus dem Dorf sein, aber auch ein fremder Wanderer oder einer der Ausflugsgäste, die sonntags immer in die Gegend kamen. Im Scherz oder um mich wichtig zu machen, erzählte ich ihm, ich sei als Privatdetektiv hinter dem Mörder her. Aber er lachte nicht.
Plötzlich sprang er zur Seite und ich tat es ihm instinktiv nach. Ein riesiger Traktor raste den Weg entlang, im Führerhaus konnte man schemenhaft die unbewegte Gestalt eines Mannes sehen. Das sei der Einödbauer, sagte mir der junge Mann und arbeitete weiter. Ich ging zurück in mein Zimmer.
Abends besuchte ich die Dorfschänke. Neugierig sahen mich die Gäste an, als ich mich allein an einen Tisch setzte. Eine junge Frau lächelte scheu zu mir herüber und drehte sich dann wieder um. Das Wirtshaus war recht voll und ich beobachtete zwei junge Mädchen im Dirndl, vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt, die mit dem stillen Ernst von Erwachsenen Limonade und Wein in Gläser gossen, die von der alten Wirtin an die Tische gebracht wurden.
Teddy Stauffer and his Original-Teddies – Jeepers Creepers. https://www.youtube.com/watch?v=NoKGu1-OglE

2 Kommentare:

  1. Ein schöner Filmanfang (oder der Beginn eines schwarz-weiß Comics?)

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    1. Genau so habe ich es geträumt. Nicht mehr, nicht weniger. Aber die Geschichte könnte man sicher ausbauen.

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