Sonntag, 2. November 2025

Die heilige Madonna von Wismar

 

Es hätte sein Tag sein können. Eine spektakuläre Aktion. Der Tipp stammte von einem langjährigen Informanten und hatte ihn ein Pfund Kokain aus der Asservatenkammer gekostet. Er wollte es vor der versammelten Presse inszenieren. Danach wären sie im Polizeipräsidium gar nicht um seine Beförderung zum Kriminalrat herumgekommen. Der Innenminister hätte ihm persönlich die Hand geschüttelt, vielleicht wäre sogar ein Orden drin gewesen.

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„Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich, dass Sie heute so zahlreich erschienen sind, und begrüße auch die Vertreter der regionalen und überregionalen Medien.“ Der Bürgermeister stand im milden Licht der Herbstsonne, seine Amtskette glänzte und er strahlte seine Zuhörer an. „Vor achtzig Jahren hat die Rote Armee unsere Madonna als Kriegsbeute mitgenommen und in einer Kirche in Kiew aufgestellt, das damals noch zur Sowjetunion gehörte. Als Zeichen der Verbundenheit mit den freiheitsliebenden Ukrainerinnen und Ukrainern, die so tapfer gegen die Schergen des russischen Diktators Putin kämpfen, erhalten wir heute die heilige Madonna von Wismar zurück.“

Applaus. Der Pastor zieht am Tuch und enthüllt die Statue. Sie ist etwa einen Meter groß und frisch restauriert. Der Bürgermeister stellt sich neben den Sockel, auf die man die Madonna gestellt hat. Fotoapparate klicken, Kameras surren und Dutzende Handys werden in die Höhe gehalten.

Das ist das Stichwort für Kommissar Buntschuh, der mit seinem Assistenten Krämer etwas abseits in einem Wagen gewartet hat. Sie stürmen auf die Menschenmenge und die Bühne zu. Der Kommissar ruft: „Hier spricht die Polizei. Alles auf den Boden. In der Madonna ist Plutonium.“ Er hat sich den Text lange überlegt. Das Plutonium würde für eine schmutzige Bombe reichen und er bewahrt in wenigen Sekunden Deutschland vor einer nuklearen Katastrophe.   

Bis auf die Kameramänner legen sich tatsächlich alle auf den Boden, einschließlich dem Bürgermeister und dem Pastor. Buntschuh reißt die Madonna zu Boden und sein Assistent trennt mit einer Kettensäge erst die Bodenplatte und dann den Kopf ab, der von der Bühne rollt. Dann öffnet er den Torso der Länge nach. Im Innern ist ein verchromter Behälter, den der Kommissar triumphierend in den Himmel reckt.

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Buntschuh wird sechs Monate suspendiert und findet sich anschließend als Knöllchenaugust beim Ordnungsamt wieder. Der Behälter erwies sich als Cocktail-Shaker, der mit Dinkelmehl gefüllt war. Bei seinen privaten Nachforschungen stößt er auf ein Labyrinth aus Lügen, Intrigen und Geheimnissen. Sein Informant war von seinem größten Konkurrenten, Kommissar Reitmeier, gekauft worden. Am Boden hatte die Statue eine Klappe, sodass ein geschmierter Zollbeamter den Shaker im Inneren platzieren konnte. Die ganze Nummer ging selbstverständlich viral und die gesamte Landespolizei hat sich bis auf die Knochen blamiert. Um den Ruhm ganz für sich allein zu haben, hatte Buntschuh natürlich keinen Vorgesetzten informiert und selbst seinen Assistenten bis zum letzten Augenblick im Unklaren gelassen.

 

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