Sarah
Stein lebte in einem winzigen Apartment in Moabit. Ein Sofa vor einer Kommode
mit ihren Klamotten, auf dem ein Fernseher stand – zugleich ihr Schlafplatz.
Daneben ein Kühlschrank, auf den sie eine Mikrowelle gestellt hatte. Gegenüber stand
ein schmales Regal mit Papptellern, Plastikbesteck, ein paar Kriminalromanen
und einem Radio. Am Ende des Raums eine Toilette ohne Trennwand und ein
Waschbecken. Ein Fenster mit Blick auf eine Backsteinwand. Acht Quadratmeter für
600 Euro im Monat. Sie hatte Glück gehabt. Jeden Abend, wenn sie von ihrem Job
als Kellnerin in einer Kneipe zurückkam, stieg sie im Treppenhaus über schlafende
Junkies und Obdachlose, während sie selbst wegen des Lärms aus dem Club im
Erdgeschoss kein Auge zumachte.
Carmen
La Biel lebte in einem Loft mit Blick auf die Spree. Der Hauptraum, den man
durch eine Stahltür betrat, war etwa zweihundert Quadratmeter groß. Man hätte
von einem Möbelstück zum nächsten auch einen E-Roller nehmen können. Sie saß
auf einem sinnlos teuren Designersofa aus gegerbtem Zebraleder und blickte auf
einen vier Quadratmeter großen Bildschirm, auf dem gerade eine Reality-Soap
lief. Sie hatte keine Ahnung, wie hoch die Miete für das Loft war. Goldman
Sachs bezahlte alles. Sie arbeitete als Fondmanagerin und in der Tiefgarage
stand ihr Maserati, den sie nur einmal im Monat benutzte, um ihre Mutter im
Altersheim am Stadtrand zu besuchen. Auf ihrem Notebook klickte sie sich durch
die neuesten Handtaschenkreationen von Hermès, alle im Wert eines Kleinwagens.
Beide
Frauen verband eine Tatsache. Sie hatten B gesehen, einen russischen
Medienoligarchen. Eine der vielen tausend Kameras in der Stadt hatte sie
aufgenommen, als sie gemeinsam an einer Ampel standen und sich unterhielten. B
wurde von zwei kahlgeschorenen Gorillas begleitet, die vom BND eindeutig als
Heinz & Holgi identifiziert wurden. B war von Moskau über Istanbul
eingereist und wurde seit der Landung auf dem BER beschattet.
Die
beiden Frauen wurden anhand der Bilder sofort überprüft. Sie hatten gültige
Personalausweise, aber die Daten zu ihren Geburtsorten und Geburtstagen stimmten
nicht mit den örtlichen Melderegistern überein. Offenbar waren es
Tarnidentitäten. Auch die Tatsache, dass beide kein Handy bei sich trugen, das
geortet werden konnte, machte sie verdächtig. Also beschloss der Geheimdienst,
sie zu beschatten. Sie gingen zusammen zum Loft der elegant gekleideten Frau.
Kurze Zeit später fuhren sie mit dem Maserati davon.
Sie
fuhren nach Jüterbog, einer AfD-Hochburg im Berliner Umland. Sie betraten die
Geschäftsstelle, die vom Verfassungsschutz verwanzt war. Die Agenten riefen
beim Bundesamt an, landeten aber in der Warteschleife. „The Girl From Ipanema“
in der Fahrstuhlversion. Eine halbe Stunde später kamen sie wieder heraus. Ein
junger Mann mit Bürstenhaarschnitt trug einen großen Karton und lud ihn ins
Auto. Dann fuhren die Frauen zurück nach Berlin. Ein paar andere Agenten hatten
sich inzwischen Zutritt zu ihren Wohnungen verschafft, aber nichts Verdächtiges
gefunden. Auch die Kontakte auf ihren Handys ergaben keine Spur. Weder B, noch
eine andere Moskauer Nummer. Auch kein AfD-Mitglied war kontaktiert worden.
Die
Drohne startete von Carmen La Biels Wohnung, flog durch das offene Fenster und dann
auf das nur einen Kilometer entfernte Kanzleramt zu. Dort prallte sie gegen die
gepanzerte Scheibe des Kanzlerbüros, stürzte ab, explodierte und setzte einen
Rhododendron in Brand.
Berlin
hatte sein 9/11.
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