Mittwoch, 5. März 2014
Gute Reise!
Wir haben uns ans Fliegen schon so gewöhnt, dass wir eine Reise über den Wolken als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen. Aber eigentlich befinden wir uns im Flugzeug in einer ungewöhnlichen Situation: Wir sind knapp zehntausend Meter über der Erde, draußen herrschen Minustemperaturen und wir bewegen uns mit neunhundert Stundenkilometern durch das Nichts. Während wir uns einen Film anschauen und die Kinder ihr Smartphone bearbeiten, vergessen wir völlig, wie künstlich unsere Situation ist. Die Druckkabine schützt unseren Körper, die Klimaanlage wärmt uns, ein Computerprogramm steuert die Maschine und kennt den Weg. Wir vergessen nicht nur, wie zerbrechlich wir in dieser fremden Umgebung eigentlich sind, wir vergessen auch, wie abhängig wir sind. Auf dieser Flughöhe würden wir nicht nur erfrieren und wie ein Stein zur Erde zurückstürzen, wenn wir das Flugzeug verließen, wir würden auch verhungern, denn hier wächst nichts Essbares und es gibt kein Wasser. Wir sind abhängig vom Personal, das uns füttert, wir leben von den Vorräten, die das Flugzeug mitführt. Wir können das Flugzeug während der Reise auch nicht mehr verlassen. Für die Möglichkeit, mit rasender Geschwindigkeit an einen anderen Ort zu gelangen, haben wir uns in die Abhängigkeit einer Organisation begeben, die uns zugleich beschützt und beherrscht.
Auf dem Erdboden angekommen ist die Situation nicht anders. Wir haben uns so an die moderne Zivilisation gewöhnt, dass wir sie als eine Selbstverständlichkeit hinnehmen. Wir vergessen unsere Abhängigkeit und unsere Zerbrechlichkeit. Zuhause ist der Kühlschrank gefüllt, weil die Supermarktregale gefüllt sind. Unsere Autos und die Lastwagen fahren unaufhörlich, weil es genug Benzin an den Tankstellen gibt. Wasser kommt in jeder gewünschten Temperatur aus dem Hahn, elektrisches Licht brennt auf unseren Wunsch in jedem Zimmer. Geld fließt durch unsere Konten und Brieftaschen und erhält den Kreislauf von Bedürfnis und Befriedigung in Bewegung. Wir schauen auf unsere Monitore und Displays, als würden wir aus einem Flugzeugfenster schauen. Was passiert, wenn die dünne Wand der Druckkabine zerbricht? Wenn die Technik zusammenbricht, wenn die Ordnung zerfällt? Wenn das Gehalt nicht mehr überwiesen und das Supermarktregal nicht mehr gefüllt wird? Die Berichte aus Syrien und inzwischen auch aus der Ukraine vermitteln uns ein Bild von dieser Abhängigkeit und Zerbrechlichkeit, in die wir uns hineinbegeben haben. Wir sind nur noch Passagier. Wir haben uns in die Hände einer Organisation begeben, die für unseren Schutz ihren Preis verlangt. Am Flughafen werden wir durchleuchtet, in unseren Häusern werden wir durchleuchtet. Und zum Aussteigen ist es längst zu spät.
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Hallo und guten Tag.
AntwortenLöschenIch würde Ihr Post gerne ins brasilianische Portugiesisch übersetzen
und in meinem eigenen Weblog veröffentlichen - natürlich mit einem
eindeutigen Verweis auf den Originaltext und dessen Autor, das
versteht sich von selbst.
Auf Ihre Zustimmung würde ich mich freuen.
Meine Zustimmung haben Sie. Ihr Blog gefällt mir sehr gut.
LöschenVielen Dank für die Zusage - und "für die Blumen". Im Ernst.
LöschenSobald der Text online ist, lasse ich es Sie es hier wissen.
Obrigado!
So, fertig.
AntwortenLöschenhttp://philgeland.com/2014/05/03/boa-viagem/
P. S.
Konnte mir nicht verkneifen, den letzten Satz ein wenig abzuändern.
P. S. 2:
AntwortenLöschenDen vorletzten.
Stichwort "Internet".
Nochmals vielen Dank!
De nada :o)
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