Donnerstag, 20. Februar 2014
Der Fall Edathy im Lektorat
Als Autor von Kriminalromanen sieht man den Fall Edathy natürlich noch einmal aus ganz anderer Sicht. Ich habe darüber nachgedacht, was mir wohl die Lektorate geschrieben hätten, wenn ich diesen Stoff als Manuskript bei einem Verlag eingereicht hätte.
Positiv hätte der Lektor sicher die Tatsache gesehen, dass der Hauptverdächtige im Ausland untertaucht ist und nur noch über seinen Anwalt und ausgewählte Journalisten (Spiegel, Süddeutsche Zeitung) den Fortgang der Handlung kommentiert bzw. beeinflusst (Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die ermittelnde Staatsanwaltschaft, Urteile zur Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ermittlungen). Schön ist auch, dass die Geheimdienste involviert sind. Edathy hat sich als Politiker mit dem faschistischen Mordtrio namens NSU und ihrer Verbindung zum deutschen Verfassungsschutz befasst, er hat sich mit den deutschen Geheimdiensten und dem BKA angelegt, außerdem hat die kanadische Polizei mit Undercover-Ermittlern den Fall mit Edathys Bestellungen von „Material“ (wie Edathy es nennt) oder „Wichsvorlagen“ (wie andere es nennen) erst ins Rollen gebracht. Außerdem stecken die Amis und Interpol mit drin. Ganz großes Tennis! Daraus kann man für den Leser schöne Gedankenspiele entwickeln: Ist Edathy Opfer der Geheimdienste geworden? Ist er in Wirklichkeit entführt worden und wird gerade von der CIA gefoltert? Ist es wirklich Edathy, der per Handy Interviews für die SPD-nahe Presse und Anweisungen an seinen Rechtsanwalt gibt? Wo ist er gerade? Überall und nirgends wie Kapitän Nemo von der Nautilus oder der nicht minder berühmte Fantomas … Auch der geschmeidig klingende Name Sebastian Edathy hätte dem Lektor gefallen. Sein eigentlicher Geburtsname Sebastian Edathiparambil wäre gestrichen worden. Zu kompliziert, das mag der Leser nicht – man denke nur mal an Apu Nahasapeemapetilon, den Ladenbesitzer bei den Simpsons. Ich musste mal aus „Gründen der Lesbarkeit“ den Namen einer Hauptfigur von Maritima Eternity Wurstwasser zu Julia Sommer ändern, kein Witz!
Negativ hätte der Lektor sicher einige unglaubwürdige Elemente der Story gesehen und zur Überarbeitung vorgeschlagen. Beginnen wir mal mit den vernichteten Beweisen in den Büros von Edathy: Der Mann hat von Oktober 2013 bis Februar 2014 geschlagene vier Monate Zeit, um in aller Ruhe die Beweise zu vernichten. Und dann findet die Spurensicherung noch Splitter einer zerstörten Festplatte. Außerdem waren im Staub auf den Schreibtischen noch die Umrisse der entfernten Computer zu sehen und die Kabel hingen aus der Wand. Man darf ja wohl vom Hauptverdächtigen erwarten, dass er mit Staubsauger und Staubtuch sämtliche Spuren entfernt und sicherheitshalber auch den Staubsaugerbeutel entsorgt, weil der nämlich auch untersucht werden wird. Sieht der Mann nicht sonntags „Tatort“? Ein zweiter wichtiger Punkt ist der Anwalt, den Edathy eingeschaltet hat. Wie blöd kann man sein und jemanden zur Staatsanwaltschaft schicken, um nach dem Stand der Ermittlungen gegen sich zu fragen, wenn man doch angeblich nichts weiß und unschuldig ist? Unlogisch! Gestrichen. Dann der Diebstahl seines Dienstcomputers auf einer Zugfahrt nach Amsterdam: Wieso meldet er ihn erst zwei Wochen später per Fax aus dem Ausland? Was macht jemand, der offiziell krankgeschrieben ist und nicht an seinem Arbeitsplatz erscheinen kann, auf Auslandsreise? Wieso kommt jetzt Amsterdam ins Spiel, würde der Lektor fragen. Welche Motivation hat ihre Figur, würde er mich fragen. Auch der Brief der Staatsanwaltschaft an den Bundestagspräsidenten zwecks Aufhebung der Immunität Edathys wäre ihm ins Auge gefallen. Sechs Tage unterwegs, zwei unterschiedliche Marken auf dem Umschlag und dann auch noch geöffnet. Wo doch schon zu Agatha Christies Zeiten sämtliche für die Krimihandlung relevante Post unter Wasserdampf geöffnet und danach wieder sorgsam verschlossen wird – natürlich ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen. Zu guter Letzt das Telefonat von SPD-Fraktionschef Oppermann und seinem Parteigenossen Ziercke vom BKA: Sowas wird im Verborgenen gemacht, das erfährt höchstens der Leser aus dramaturgischen Gründen, aber doch nicht die gesamte Weltöffentlichkeit per Presseerklärung! Und dann rudern die beiden Männer noch zurück, angeblich sei bei diesem Gespräch gar nicht geredet worden, sondern man habe das Schweigen bzw. das wortlose Atmen in den Telefonhörer wechselseitig interpretiert. Ich bitte Sie, Herr Eberling, hätte der Lektor gesagt. Also an die Stelle im Text müssen Sie nochmal ran.
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