Mittwoch, 4. August 2010
Die Grenzen der Ökonomie
Ein Ökonom und ein Soziologe spazieren an einem Sonntagnachmittag an einem Ausflugslokal vorbei. Das Wetter ist schön, an den meisten Tischen sitzen Menschen bei Kaffee und Kuchen. Was sehen die beiden Herren, wenn sie vorüber schlendern?
Der Ökonom sieht Leute, die eine Tasse Kaffee für drei Euro trinken, obwohl sie sich zu Hause für zehn Cent selbst eine Tasse aufbrühen könnten. Sie zahlen also den dreißigfachen Preis. Genauso ist es mit dem Kuchen. Für das Geld, das ein Stück Torte kostet, könnte man im Supermarkt zwei ganze Industriekuchen kaufen. Sie haben Fahrtkosten gehabt, um das Ausflugslokal zu erreichen. Sie haben Zeit verschwendet. Außerdem haben sie sich der potenziellen Gefahr von Verkehrsunfällen und Raubmorden ausgesetzt, als sie das Haus verlassen haben. Das alles ist irrational und ineffizient. Für den Ökonomen wird sich das Mysterium einer sonntäglichen Kaffeetafel am Wannsee nie erschließen. In seiner Welt dürfte es eigentlich gar keine Ausflugslokale geben.
Was sieht der Soziologe? Für ihn ist alles völlig normal. Er sieht Menschen bei einem liebgewonnenen Ritual. Er weiß, dass rationales und effizientes Verhalten nur ein Teil des menschlichen Lebens ist - an Sonntagnachmittagen ein sehr kleiner Teil. Er weiß, dass Traditionen und Routinen einen großen Einfluss auf das alltägliche Verhalten haben. Wir möchten nicht jedes Mal darüber nachdenken müssen, warum wir etwas machen. Schon mit unseren Eltern und Großeltern sind wir Sonntags Kuchen essen gegangen, die Kinder und Enkel werden es vermutlich genauso machen. Es ist einfach angenehm, ein wenig „unter die Leute zu gehen“, auch wenn man mit niemandem am Nachbartisch spricht. Der Mensch ist ein Herdentier, er gesellt sich gerne zu anderen so wie Kühe einfach gerne mit anderen Kühen auf der Wiese stehen. Der soziologisch geschulte Blick sieht Freizeitspaß, Lustbefriedigung und zweckfreie Interaktion.
Hören wir nicht auf die Ratgeber aus den Wirtschaftswissenschaften, auf Anlageberater, Marktschreier und Börsenheinis. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben haben mit instrumenteller Rationalität und effizienter Planung nichts zu tun. Häufig sind sie sogar umsonst.
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Als Ökonom muss man hier einfach wiedersprechen - das Bild, das hier von Ökonomen gezeichnet wird, ist zu schablonenartig und entspricht noch nicht einmal dem Bild, das man den Erstsemestern in den Lehrbüchern aus Vereinfachungsgründen vorstellt. Auch in der Welt der Ökonomen sind Ausfluslokale kein Problem und kein Widerspruch. Auch Freizeitvergnügen, sozaile Interaktion oder was auch immer kann respektive ist rational; udn wenn es Nutzen stiftet, ist es auch effizient. Ganz so dämlich sind Ökonomen dann doch nicht. Ehrlich.
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