Neulich lag das Dankesschreiben des World Wildlife Fund im Briefkasten, in dem sich die Organisation für Mardos Spendenzahlung über fünftausend Euro bedankte. Sie hatten seinen Namen sogar auf die Liste der besonders großzügigen Spender gesetzt, die auf ihrer Homepage veröffentlicht wurde. Obwohl Mardo sicherlich der bescheidenste Mensch auf der ganzen Welt war, konnte er diese Ehre nicht ablehnen. Aber wie kam ein einfacher Privatdetektiv eigentlich zu einer solchen Summe? Alles fing mit einem Shar-Pei an, einem chinesischen Faltenhund. Genauer gesagt fing alles wieder einmal mit einem Telefonanruf an.
Mardo hatte die Bambus-Rollos an seinem Bürofenster herunter gelassen und dachte gerade im Halbdunkeln über sein Leben nach, als das Telefon klingelte. Finke hieß der Mann, in einer halben Stunde sollte Mardo in sein Büro kommen. Welchen Auftrag würde der Privatdetektiv heute bekommen? Ging Finkes Frau fremd? Oder war es etwas Geschäftliches? Finke war ein bekannter Möbelhändler, vielleicht war eine Ladung Einbauschränke aus der Ukraine irgendwo verschwunden?
Mardo zog seinen anthrazitfarbenen Wintermantel an und stülpte eine Wollmütze über die kurzen schwarzen Haare. Er ging die Ramlerstraße hinunter in Richtung Brunnenstraße. Auf der anderen Straßenseite lief ein älterer Herr mit seinem Schäferhund, der auf den schönen Namen Karl-Heinz hörte. Mardo kannte nur den Namen des Hundes, der alte Mann rief ihn regelmäßig mit krächzender Stimme, mal drohend, mal bittend. Er ging über die Brücke, unter ihm die Gleisanlage des Bahnhofs Gesundbrunnen. Vor ihm gingen ein paar Jugendliche, aus deren Ohren Kabel hingen. Eine Frau mit Kopftuch und Einkaufstasche kam ihm entgegen, auf der Brunnenstraße schlich der 247er vorüber.
Auf der Badstraße wurde die Menschenmenge dichter, hier reihte sich Geschäft an Geschäft. Mardo bog in die Pankstraße ein. Hier lag das Möbelhaus Finke, gegenüber der trutzigen Fassade des Amtsgerichts Weddings, eines typischen Beispiels wilhelminischer Einschüchterungsarchitektur. Dahinter floß die Panke, an der Mardo im Sommer gerne spazieren ging.
Kurz darauf saß er in einem mäßig bequemen Bürostuhl, vor sich einen mächtigen weißlackierten Schreibtisch, dahinter der aufgequollene kahle Schädel des Geschäftsführers.
"Schön, dass Sie so schnell kommen konnten. Es geht um Bodo, er ist entführt worden."
Mardos Herz setzte einen Schlag aus. Entführung war nicht ganz seine Liga, bei Schwerverbrechen hatte man es im Regelfall mit Schwerverbrechern zu tun. Und solche Leute waren gut bewaffnet und selten allein. Mardo hatte nur Pfefferspray in der Manteltasche. "Ich nehme an, es handelt sich um Ihren Sohn. Die Polizei ist hoffentlich schon informiert. Obwohl die Erpresser ja stets davor warnen, empfehle ich Ihnen ..."
"Nein, nein." Finke lächelte. "Es geht um meinen Hund."
"Ich soll also ihren Hund finden?" Mardo stutzte. Einen Hund suchen? In dieser Stadt? An diesem nasskalten Januartag durch Parks und Hinterhöfe laufen, während ein Stück Hundekuchen in seiner Manteltasche zerbröselte? Sein Vater hatte ihm immer geraten, einen anständigen Beruf zu erlernen. Joao Mardo war in den siebizger Jahren aus Porto nach Berlin gekommen und hatte bei der AEG gearbeitet, bis die Firma Anfang der achtziger Jahre pleite gegangen war. Den Vornamen verdankte Jan Mardo seiner tschechischen Mutter.
"Nein, den habe ich bereits wieder. Sie sollen die Entführer finden. Niemand stiehlt Rüdiger Finke tausend Euro!"
"Was ist passiert?"
Finkes Stirn legte sich in Falten, seine Stimme wurde dunkler und drohender. "Diese Entführer haben sich an meine Frau gewandt, sie hat anstandslos bezahlt. In der darauffolgenden Nacht wurde uns der Hund zurück gebracht, er war vor Haus unserem Haus in Wilmersdorf angebunden. Meine Frau hat mir erst Tage später davon erzählt. Sie können sich vorstellen, wie wütend ich war. Unser Hund wurde täglich von einer Hundesitter-Firma ausgeführt, am Vinetaplatz ging er angeblich verloren. Vielleicht schauen Sie sich die Typen von dieser Firma ja mal an."
Mardo ließ sich die Adresse der Hundesitter-Firma und die Telefonnummer von Finkes Frau geben. Er tippte die Nummer in sein Handy, als er zum U-Bahnhof Nauener Straße ging, vorbei am Amtsgericht, über die Panke. In diesem Kiez hatten am 1. Mai 1929 die Barrikaden gebrannt. Heute war der Wedding wintergrau, nicht rot.
"Finke-Bärlauch", meldete sich eine hell singende Stimme.
"Mein Name ist Jan Mardo. Ihr Mann hat mich wegen der Hundeentführung engagiert."
"Ach, Rüdiger ist immer so aufbrausend. Aber gerade ist eine Freundin von mir hier, deren Hund ist auch verschwunden. Vielleicht kommen Sie einfach mal vorbei, dann können wir reden. Da könnte es doch einen Zusammenhang geben, oder?"
Mardo gab ihr Recht und drückte die Aus-Taste.
Mit der U 9 fuhr er tief ins Herz des gutbürgerlichen Berlins und stieg am Walther-Schreiber-Platz aus. Überall restaurierte Altbaufassaden, keine Graffiti. So hätte das Brunnenviertel auch aussehen können, aber wirtschaftlicher Niedergang und städtebauliche Experimente hatten sein Gesicht hässlich gemacht.
Finkes bewohnten eine riesige Maisonettewohnung in der Odenwaldstraße. Frau Finke-Bärlauch begrüßte ihn an der Tür, artig ließ Mardo seinen Mantel und seine Mütze an der Garderobe. Er folgte der Gastgeberin durch eine völlig überheizte Wohnung. Auf einem niedrigen Glastischchen standen geblümte Kaffeetassen und Teller. Auf dem Sofa saß eine Frau mittleren Alters, die Mardo erwartungsfroh anlächelte.
"Guten Tag. Meine Name ist Silvia Lotze. Ich hätte mir einen Detektiv aber größer und kräftiger vorgestellt."
Mardo lächelte verlegen, während er sich in einem Sessel sinken ließ. Er war tatsächlich nur ein Meter siebzig groß und von schmächtiger Statur. "Heutzutage werden die Fälle nicht mehr durch Muskelkraft gelöst, sondern mit Ausdauer und Kombinationsgabe." Es hörte sich besser an, als er sich fühlte. Schließlich arbeitete er gerade einmal ein halbes Jahr in diesem Beruf.
Dann erzählte Frau Lotze ihre Geschichte. Alles hörte sich genauso an wie im Büro von Herrn Finke. Auch der Name der Hundesitter-Firma war der gleiche: Dogsitter GmbH. Mardo hatte eine Idee. Womöglich konnte er sich die Mühe sparen, sämtliche Tierheime abzuklappern oder ziellos durch die Parks zu streifen.
Mardo hatte einen alten Reisigbesen in der Hand und fegte ein wenig in seinem Büro. Das Fegen diente in erster Linie seiner Entspannung, weniger der Bodenpflege oder der optischen Aufwertung seiner Rumpelkammer. Ein Mann und sein Besen. Er erinnerte sich, wie er den Besen bei einem Trödler in Moabit erstanden hatte, dann klingelte endlich das Telefon.
"Hier Max Lotze. Werde das Geld jetzt deponieren."
"Verstanden." Mardo legte auf.
Wenig später kauerte er hinter der Hecke eines grauen Wohnwürfels im Innenhof zwischen Swinemünder und Graunstrasse. Zunächst hastete Max Lotze in einem dunkelblauen Mantel vorüber, er legte ein Päckchen in die Mülltonne an die Rückseite der St. Afra-Kirche und verschwand wieder. Fünfzehn Minuten später trat ein fremder Mann in den Hof und blickte sich um. Mardo duckte sich, so tief er konnte, und hielt die Luft an. Dann spähte er hervor. Er sah den Mann gerade noch im hinteren Teil des Hofes verschwinden. Er trug eine tiefhängende Jeans im "Heavy-used-Look mit hippen Crincle-Effekten" (Quelle-Katalog, S. 509), dazu eine rote Daunenjacke. Mardo verließ die Deckung und folgte dem Erpresser. Doch als er die Graunstrasse erreicht hatte, war der Mann verschwunden. Mardo rannte in Richtung Gleimtunnel, aber es war zu spät. Er hatte es bei der Geldübergabe einfach vermasselt.
Eine Stunde später saß Mardo saß am Küchentisch und schnitt eine Salatgurke in hauchdünne Scheiben, während Mary am Herd stand, in einem Topf herum rührte und gleichzeitig konzentriert in ein Kochbuch blickte. Er sah ihr gerne zu. Ihr Anblick hatte etwas Beruhigendes, so als blickte man in eine Lavalampe. Und Ruhe brauchte er in diesem Augenblick. Er lebte seit zwei Jahren mit seiner Freundin zusammen. Mary hieß mit vollem Namen Maritima Eternity Wurstwasser, aber sie mochte ihren Namen nicht. Vielleicht würde eines Tages einfach ‚Mary Mardo‘ in ihrem Personalausweis stehen, mehr nicht, das würde reichen. Sie arbeitete als Verkäuferin im Gesundbrunnencenter und studierte Englisch und Deutsch auf Lehramt an der Humboldt-Universität. Mardo schaute sie immer noch an. Erst als die kalte Messerklinge knapp an seinen Fingerkuppen entlang schnitt, widmete er seine Aufmerksamkeit wieder der Gurke. Nach dem Essen würde er ihr alles in Ruhe erklären. Auf dem Fensterbrett stand immer noch der Blumentopf, in den er einen Orangenkern gepflanzt hat. Inzwischen lugte ein zarter Keimling aus der dunklen Erde hervor.
In der Nacht bekam er seine zweite Chance. Lotzes wohnten in Schlachtensee, in der Terrassenstraße, einer noblen und zu dieser Uhrzeit unbelebten Wohngegend. Sie saßen etwa fünfzig Meter von Lotzes Villa entfernt in Marys altem Toyota. Mary hatte nichts gegen einen kleinen konspirativen Einsatz, schließlich mussten Verbrechen aufgedeckt und Rechnungen bezahlt werden. Sie hatte nach dem Abendessen einen starken Kaffee gekocht, dann waren sie losgefahren. Nun saßen sie zusammen im dunklen Wagen und warteten schweigend. Gegen zwei Uhr nachts hielt ein silberfarbener Kombi vor dem Haus der Lotzes, ein Rauhaardackel wurde auf die Straße gehoben und an einem Baum angeleint.
Der Kombi rollte am S-Bahn-Damm entlang zur Argentinischen Allee und bog dann links ab. Mary und Mardo folgten ihm in einigem Abstand. Sie waren verblüfft, welchen Weg der Kombi nahm, denn er führte sie direkt zurück zum Brunnenviertel. Clayallee, Hohenzollerndamm, die Strecke waren sie gerade erst selbst gefahren. Der Kombi hielt an der Brunnenstraße, eine Frau stieg aus. Mary fuhr weiter bis zur Rügener Straße, bog nach links ein und fuhr dann wieder links. Hier stiegen sie aus. Mardo wollte direkt zur Ramlerstraße laufen, Mary sollte zur Swinemünder Straße weitergehen und die Augen aufhalten.
Als Mardo von der Putbusser Straße in die Ramlerstraße einbog, sah er die Frau. Von dem silbernen Kombi keine Spur. Er folgte ihr, als sie in die Swindemünder Straße einbog. Sie kamen am Eingang zur Diesterweg-Oberschule vorbei, ein orangefarbener Bunker, der bei seinem Bau in den siebziger Jahren offenbar Zukunft und Moderne symbolisieren sollte, aber heute mit seinen schießschartenförmigen Fenstern nur verstörend und fremd wirkte. Kahles Gebüsch und knubbelige bunte Altglascontainer, zur Linken fleischfarbene Hochhäuser, die gar nicht zum fahlen Nachtlicht der winterlichen Straße passten. Er sah Mary, die ihm entgegen kam. Nur kein Risiko. Er rannte auf die fremde Frau zu und packte sie am Oberarm. Jetzt musste er den Überraschungsmoment nutzen, das hatte er in einem Ratgeber gelesen.
"Wo sind die tausend Euro?"
"Lassen Sie mich in Ruhe oder ich schreie um Hilfe."
"Wir haben Sie in der Terrassenstraße beobachtet und alles fotografiert", schwindelte Mardo mutig.
Mary stand inzwischen bei ihnen, die Erpresserin wusste, dass sie verloren hatte.
Wenig später saßen sie zu dritt im Wohnzimmer von Frau Olschowski. Das zerschlissene Sofa war voller Brandflecken, leere Jägermeister-Fläschchen lagen über den Tisch verstreut. Sie hatte Mary und Mardo alles gestanden. In Geldschwierigkeiten war sie bereits seit langem, die Schulden waren ihr einfach über den Kopf gewachsen. Als sie bei Dogsitter anfing, war sie auf die Idee gekommen, die reichen Hundebesitzer zu erpressen. Es war die siebte Entführung gewesen, insgesamt hatte sie bereits sieben tausend Euro erpresst. Mardo ließ sich das Geld zeigen. Es war in eine Plastiktüte gewickelt und tatsächlich noch komplett vorhanden. Offenbar wollte Frau Olschowski alle Schulden auf einmal begleichen – oder eine lange Reise machen. Er blickte Mary lange in die Augen, sie nickte.
"Frau Olschowski, wenn Sie mir versprechen, so etwas in Zukunft nicht mehr zu machen und mir das Geld geben, verzichte ich auf eine Anzeige. Das Geld gebe ich natürlich zurück." Nervös fuhr sie sich durch das strähnige kastanienbraune Haar, das ein breiter hellgrauer Scheitel zierte. Dann nickte sie auch.
Und so war es dann auch gekommen. Finke und Lotze bekamen ihr Geld wieder, Mardo erhielt von beiden ein großzügiges Honorar und der WWF durfte sich über eine milde Spende der wohlhabenden Berliner Bürgerschaft freuen. Zugleich hatte der Detektiv aus dem Brunnenviertel einen wertvollen Beitrag zur Entlastung von Polizei und Justiz geleistet.
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