Neulich habe ich in den uferlosen Weiten meiner Bibliothek nach neuem Lesestoff gestöbert und bin auf ein Buch gestoßen, das ich mir vor einem Vierteljahrhundert angeschafft habe: „Un-Heil über Deutschland – Fremdenhass und Neofaschismus nach der Wiedervereinigung“. Ein STERN-Buch mit Beiträgen diverser Autoren. Nach der Lektüre ist mir klar geworden, dass sich eigentlich seit meiner Zeit als Student nix geändert hat. Gar nix.
Die Ausgangslage
1992 wurden 17 Menschen von Rechtsextremisten ermordet. Es gab hunderte Verletzte, 701 Brand- und Sprengstoffanschläge auf Asylantenheime und Häuser von Migranten. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl rechter Gewalttaten um 54 Prozent. Jeder kennt noch die Namen der Orte: Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Hoyerswerda, Hünxe. Westdeutschland, Ostdeutschland. Überall lodert der rechtsradikale Hass.
„Bonn war nicht Weimar, aber die ehemalige DDR ist dabei, es zu werden, mit allen Voraussetzungen, die dazu gehören: Zusammenbruch der gesellschaftlichen Strukturen, soziale Deklassierung von Millionen, Gefühl der Erniedrigung, Verlust der Identität, desolate Zukunftsaussichten. (…) Der Hass sucht sein Ventil und findet es beim Asylantenproblem.“ (S.10)
Politische Folgen
Die Politik reagiert. Nicht mit der Bekämpfung rechtsradikaler Ideen und Organisationen, sondern mit Verständnis für den besorgten Bürger. Schließlich lenkt der Hass die Menschen von den eigentlichen Ursachen für Massenarbeitslosigkeit und Zukunftsangst ab. „Es ist billig und bequem, einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem neonazistischen Terror und dem Asylantenproblem. So wie es nach dem letzten Krieg populär war, einen Zusammenhang herzustellen zwischen Versailles und Auschwitz.“ (S. 9)
Ende 1992 wird das Asylrecht drastisch eingeschränkt. „Was war geschehen? 438.191 Flüchtlinge haben 1992 in Deutschland Asyl beantragt. Ein Grund, dass in einem der reichsten Länder der Welt Hysterie ausbricht? Dass Politiker aller Parteien monatelang kaum noch ein anderes Thema kennen als die ‚Asylantenflut‘ und den ‚Asylmissbrauch‘?“ (S. 200)
Die Grenzen werden dichtgemacht. „An der deutschen Ostgrenze drohen Zustände wie an jener berüchtigten Grenze zwischen reicher und armer Welt: zwischen den USA und Mexiko.“ (S. 208)
Schließlich könnten die wütenden Wähler zu den rechten Parteien überlaufen. „Der SPD-Politiker Gerhard Schröder beschreibt den Mechanismus für seine Partei so: ‚An den Stammtischen rumort es, und die oberste Heeresleitung will das Thema wegbekommen. Von daher gibt es da einen Zusammenhang.‘ Allerdings haben die Politiker durch ihre jahrelange Asyl-Rhetorik den Ausländerhass selbst geschürt.“ (S. 210)
Rechtsextremistische Wahlerfolge
Asylanten klauen wie die Raben und haben alle ein Messer dabei. Was jeder weiß, muss niemand gesehen haben. Muslime werden sich nie „integrieren“, also werden wie wir Deutsche, und produzieren immer neue Kopftuchmädchen. Wer diese Meinung teilt, findet im Parteienspektrum ein vielfältiges Angebot. Für echte Nazis die NPD, für Nazis light die Republikaner und die DVU.
Die Republikaner ziehen 1992 mit 10,9 Prozent in den Landtag von Baden-Württemberg ein. Sie blieben bis 2001. In den Bundestag wurden sie nicht gewählt, hatten durch Parteiübertritte von CSU- und CDU-Abgeordneten aber drei Vertreter im Parlament. Hochburg in Ostdeutschland war Chemnitz, aus den dortigen Republikanern im Stadtrat ging die Bewegung „Pro Chemnitz“ hervor, die wiederum gute Verbindungen zur NPD Sachsen pflegt.
Die DVU wird 1991 in die Bremer Bürgerschaft gewählt (6,2 Prozent). 1992 kommt die Partei in den Landtag von Schleswig-Holstein (6,3 Prozent), 1998 in den Landtag von Sachsen-Anhalt (12,9 Prozent) und 1999 in den Landtag von Brandenburg (5,3 Prozent), wo 2004 der erneute Einzug ins Parlament gelingt (6,1 Prozent). 2011 folgt die Fusion mit der NPD zu „NPD – die Volksunion“.
Wirtschaft und Gesellschaft
Gott schütze unsere Exportindustrie. Die Gier ist mächtiger als der Hass, für die Leitkultur wird der Profit nicht geopfert. Hans-Peter Stihl, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, erklärt: „In Deutschland hängen Millionen Arbeitsplätze vom Verkauf unserer Waren und Dienstleistungen ans Ausland ab (…). Wir brauchen ein positives Bild im Ausland.“ (S. 183) Der BDI-Präsident Tyll Necker ergänzt: „Die Ausländerfeindlichkeit macht uns hässlich und unsere Produkte schwer verkäuflich.“ (S. 186).
Liebe Nazis, liebe Politiker! Bitte lenkt die Bevölkerung von den eigentlichen Problemen ab, aber übertreibt es nicht. Kommt nur mir diese Schallplatte bekannt vor? Helmut Kohl hat es begriffen: „Die Wertigkeit eines Menschenlebens hängt in Deutschland nicht unwesentlich davon ab, ob der Mensch Steuern und Rentenbeiträge zahlt. Nach den Morden an Türkinnen in Mölln wird Kanzler Kohl nicht müde, die wirtschaftliche Bedeutung der ausländischen Arbeitnehmer zu unterstreichen.“ (S. 209)
Die Bevölkerung reagiert mit Lichterketten. Es gab noch kein Internet und damit auch keine Online-Petitionen, aber wir hatten damals wenigstens Kerzen. Über eine Million Menschen demonstrieren im Dezember 1992 in München, Berlin, Essen und Hamburg, dazu viele hunderttausend Menschen in anderen Städten. Die böse taz schreibt von einer „Betroffenheitsgala“, von „versammelten Spätzündern“ und „Wunderkerzenhaltern“. (S. 163)
Fazit
Genutzt hat es bekanntlich nichts. Mit dem NSU ging es weiter. Inzwischen haben sich die Nazis mit der AfD einen erfolgreichen parlamentarischen Arm geschaffen. Rechtsradikale Gewalt, rechtsradikale Umzüge gehören längst zu unserem Alltag. Fortsetzung folgt.
„Der Neonazismus muss als Neonazismus bekämpft werden und nicht als Folge von irgendetwas. (…) Wir dürfen der Konfrontation nicht mehr ausweichen. Die Weimarer Republik ist weniger an den Schlägerkolonnen der NSDAP zugrunde gegangen als an der Komplizenschaft der Konservativen mit Hitler und der Hilfslosigkeit der Demokraten.“ (S. 11).
Diese Sätze haben auch nach 25 Jahren nichts an ihrer Aktualität verloren.
Ist es denn nicht ein quasi Grundbedürfnis der Menschen, sich abzugrenzen und fremde Leute auszugrenzen ?
AntwortenLöschenSiehe Ungarn, Polen, Le Pen, USA, Schiiten und Sunniten, Türken und Kurden, Huthis und Tutsis, Protestanten und Katholiken.
Ich erinnere nur an das legendäre Lokalderby Oberdingsingen gegen Unterdingsingen.
3 rote Karten, Ausschreitungen, 1:0 nach Verlängerung.
Und das hat nichts mit Dummheit vs Intelligenz zu tun.
Man denkt immer, klar, diese dummen Dumpfheimer, aber das stimmt nicht.
Es sind ganz normale Leute.
Es ist kein Grundbedürfnis, andere Menschen zu ermorden, nur weil man sie nicht kennt, du Schwachkopf.
AntwortenLöschenDas hat er aber nicht geschrieben. Bei dem Thema setzt es bei den meisten aus. Es ist soweit ich das überblicken kann nur eine verschwindend kleine Minderheit die andere ermordet weil ihnen dies oder jenes nicht passt. Die Zahlen der Staatsorgane sind natürlich frei von deren Interesse. "Gouverments lies to everything everytime" gilt dann komischerweise mal nicht.
LöschenEs ist auch nicht einfach, ich kenne ein paar Projekte wo sich Leute persönlich eingesetzt haben. Das ist alles in Drogenhandel und vollgesch... Unterkünften geendet. Über die persönlichen Bedrohungen möchte ich nicht auslassen. Die würden das nicht noch mal machen.
Selber habe ich mich an diesen Projekten nicht beteiligt weil ich halt wusste wohin das führt.
Die Idee des edlen Wilden ist mir fremd. Es kommen nun einmal Menschen, eine eher unangenehme Spezies. Das hat mit Hautfarbe und ähnlichen Kriterien nichts zu tun.
Dann, wer nichts selber gemacht hat labert doch nur. Auch Argumente wie "man könne ja die Zahl von XYZ locker durchfüttern" komme meist von denen die nicht von den Folgen betroffen sind.
Fragen nach Grenzen (in jeder Hinsicht) werden mit Floskeln wie "kein Mensch ist illegal" beantwortet. Auf Nachfrage ist man "rechts", Kritik wird massiv unterdrückt, teilweise gewaltsam. Eine Gesellschaft im "Ausnahmezustand" vulgo wahnsinnig.
Ich hatte über Terrorismus geschrieben, PRVZ konterte mit der Rivalität von Amateurfußballern. Beides hat nichts miteinander zu tun. Jetzt verstanden?
LöschenIch kenne eine Menge Projekte, die sehr gut laufen, und hatte schon Syrer, Afghanen, Türken, Juden, Muslime, Christen, Atheisten, Amerikaner, Italiener, Franzosen und Sachsen als Arbeitskollegen. Ihre negative Einstellungen beruht nicht auf persönlichen Erfahrungen, sondern auf Erzählungen Dritter. "Selber habe ich mich an diesen Projekten nicht beteiligt". Das sagt schon alles. Ziemlich schwacher Kommentar.
Habe das aus nächster Nähe "erlebt", aber egal. Selber lebe ich in einer Hafenstadt. Hier fallen Fremde gar nicht auf bzw. sind nie aufgefallen. Außerdem können Sie nicht wissen was ich alles für "Projekte" gemacht habe, damit gehe ich auch nicht hausieren. Es waren auf jeden Fall genug um zu wissen das diese Konstellation nicht geht.
LöschenDas mit Arbeitskollegen zu vergleichen, Naja. Da kann ich mit einmal rund um die Welt dienen. Mir ist es egal wo jemand her kommt, meist bemerke ich das nicht mal.
Anzumerken wäre noch das Sie hier Länder und Nationen aufführen. Auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen.
Das nicht, Sie Überhirn.
AntwortenLöschenAber man kann es ganz einfach entfachen, dieses Bedürfnis.
Also muß es tief in uns drin, vielleicht im Genom, doch sitzen und nur darauf warten, raus zu dürfen. Anders sind die seit Menschen Gedenken statt findenden Pogrome und Tötungswellen, vulgo Kriege, nicht zu erklären.
Tut zwar weh, aber es muß wohl so sein.
Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, daß ich das für gut heiße. Also bitte!
Aber wenn Wir uns die Geschichte der Menschheit anschauen ist Sie eine Aneinanderreihung von Massakern. Eines blutiger als das andere. Oder wie bei den Indianern still und leise mit Grippeviren.
Man schreibt sogar Bücher darüber und erhebt es auf die Stufe der Kunst oder gar Handwerk.
Und die darin erfolgreichen Personen werden über Jahrhunderte gewürdigt.
Also was jetzt ??
Sie sind ein Nazi-Versteher, schon klar. Liegt halt an den Genen. Man hätte den Holocaust auch niemals verhindern können. Ist tief in jedem Menschen drin. Eigentlich werden wir alle als Nazi geboren - ob in Botswana oder in Finnland ...
LöschenBin ich auch ein Nazi-Versteher wenn ich mir überlege woher die Energien kamen die es ermöglichten das ein relativ zivilisiertes Volk so dermaßen ausrastete?
LöschenWoher kommen denn ihre eher unsachlichen Anwandlungen wenn nicht tief aus dem Limbischen? Werden wir nicht alle als "Nazi" geboren und als Jesus? Ist es dann nicht eher Zufall wo wir enden? Haben Sie mal Gustave Le Bon gelesen? Ist ja "Igittigitt" rechts was ja von vorneherein diskreditiert? Oder Homer? Es ändert sich nichts, leider. Selbst die moderne Überflussgesellschaft ist kriegerisch. Das kann nicht an Kulturformen liegen, oder?
Auch Thilo Z. mit seinen Büchern und Beiträgen ist nichts anderes als eine sehr technokratische Beschreibung aus seiner Sicht. Sehe ich anders, ist aber mMn. legitim. Hab das damals in der Lettre gelesen, das fiel da gar nicht auf. Erst als es im Mainstream emotional aufgeladen wurde änderte sich der Kontext.
Der "human frame" ist viel kleiner als die meisten annehmen. Die dünne Schicht der Zivilisation wird auch nicht besser wenn man sich selber gehen lässt.
Wir entscheiden es selbst, ob wir Nazi werden oder nicht. Es ist auch kein "Zufall wo wir enden". So etwas wie der Holocaust kommt auch nicht "tief aus dem Limbischen" oder hat etwas mit "Kulturformen" zu tun. Er wurde von Politikern und Militärs nüchtern geplant und durchgeführt. Wer für solche Massenmorde nach ominösen "Energien" sucht, als wären die Täter nicht einhundertprozentig für ihre Taten verantwortlich, ist in meinen Augen ein Nazi-Versteher.
LöschenDoch, gerade die, die man nicht kennt, Sie Humanist.
AntwortenLöschenJa Ja... Naziversteher. Hm.
AntwortenLöschenNazi Keule kommt immer gut, trifft immer und haut alle weg.
Ich arbeite in der Industrie, was glauben Sie wie viel Nazigedankengut da verbreitet wird.
Alles aus dem Mund des Bürgertums. Wenn Sie da auch nur ein falsches Wort sagen sind Sie für alle Zeit verbrannt und Sie kommen auch nicht wieder hoch.
Ich bin auf keinen Fall ein Naziversteher, ich möchte das hier im schärfsten Ton verneinen.
Ich bin nur Realist und Menschenhasser, manchmal.
"Die Weimarer Republik ist weniger an den Schlägerkolonnen der NSDAP zugrunde gegangen als an der Komplizenschaft der Konservativen mit Hitler und der Hilfslosigkeit der Demokraten" und nicht etwa daran, dass das BreiLiBü der Mitte ab 1914 so nachdrücklich klar gemacht hat, dass auf es politisch nur Verlass ist, wenn man bereit ist, es zu bezahlen, dass man sich doch lieber der Gegenseite zugewandt hat? Politik ist ein Pendel. Ohne Noske keine KPD, ohne Grüne keine AfD.
AntwortenLöschenIch schreibe so schlecht und weiß nix,
AntwortenLöschenaber Feynsinn geht gut.