„Die Zeiten sind immer seltsam. Kunst ist immer
unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt,
ist sie das Einzige, was wichtig war.“ (Daniel Kehlmann)
Geistesgeschichte als
Pendelbewegung. Die Bequemlichkeit des Glaubens und die Anstrengung des Denkens
als entgegengesetzte Pole. Die Antike (Griechenland, Römisches Reich) als erste
Bewegung weg vom Glauben an Götter, die sich durch Naturgewalten manifestieren
und in deren Händen unser unabwendbares Schicksal liegt. Die Philosophie als
individueller Weg zur Erkenntnis und Sinnstiftung kommt ohne Organisation in
Gruppen (Religionen) aus und bleibt via Sprache und Diskurs dennoch
anschlussfähig. Mittelalter als Ergebnis des zweiten Pendelschlags zurück zum
alternativlosen Glauben, Renaissance und Zeitalter der Aufklärung als dritter
Pendelschlag: von der Irrationalität zur Rationalität. Der technische
Fortschritt und der Siegeszug der Wissenschaft sind der greifbare Erfolg dieser
vierten Phase.
Jetzt erleben wir den Beginn des
nächsten Pendelschlags. Es gibt, zum Teil berechtigt, Zweifel am Fortschritt
und der Glaubwürdigkeit des Wissenschaftssystems. Identität statt
Individualität (Denken in antagonistischen Gruppen, z.B. Mann/Frau,
Schwarz/Weiß), Intoleranz in Fragen der Sprache, der Ernährung und des
Lebensstils im säkularisierten Westen, völliger Rückfall ins Mittelalter in
Teilen der islamischen Welt; öko-kultureller und religiöser Fundamentalismus.
Ich betrachte das bunte und
bisweilen finstere Treiben der Welt von meinem Observatorium hoch über der
Stadt, hüte mich vor den Einflüsterungen ihrer leichtgläubigen und fragwürdigen
Bewohner, partizipiere bestenfalls kulinarisch von ihrer Kultur und werde eine
umfangreiche Chronik des Irrsinns hinterlassen. Die sechste Phase werde ich
nicht mehr erleben, ich schreibe in die Nacht hinein.
Ein großartiger Text.
AntwortenLöschenDanke :o)
Löschen... sehr gelungen. Die Pendeltheorie vertrete ich ebenfalls. (in Bezug auf die politische Gegenwart und den Verfall der sozialistischen(?) Ideale nach 1945. Der Faschismus als Element "des atavistischen, dummen Bösen" in uns" wird wieder populär. Man kratzt angstfrei am dünnen Firnis von Anstand und Mitgefühl als Basis eines friedlichen Zusammenlebens.
Löschenein Freund
Herr Kehlmann irrt fast ein wenig.
AntwortenLöschenKunst ist das einzige, das übrig war. Was so überflüssig war, dass es nicht einmal lohnte, es weiter zu verwursten. (Von mehrfach übermalten Leinwänden z.B. einmal abgesehen.)
Die emotionale Bedeutung aber, die macht Kunst bedeutsam. Bzw. die Empathie der Nachfolgenden, die dafür gesorgt hat, dass der Krempel nicht auf den Müll, sondern auf den Dachboden kam - um später wieder entdeckt zu werden, bereit, wieder eine emotionale Bindung einzugehen...
Ich selber sehe mich ja auch eher als ethnologischer Beobachter, bis auf die wachen Momente, in denen ich erkenne, dass ich lediglich ein unbedeutender Protagonist bin.
Und um das Pendel bzw. den Bogen wieder zurückzuschlagen:
Es gibt eine Generation für's Vererben und eine für's Verderben.
Die Progressiven von einst haben etwas aufgebaut und erfreuten sich an neuen Möglichkeiten und Ästhetik.
Die Progressiven von heute reißen ein. Und weil das, was sie ursprünglich eingerissen hatten, heute weitgehend unbekannt ist, wird deren Müll für normal gehalten, bis die Progressiven von morgen kommen und wieder etwas Neues erschaffen.
Einen noch, dann höre ich auf, versprochen..
Glaube/ Aberglaube war nie wirklich weg. So wie die Dinge, die erleb- aber (noch) nicht messbar sind.
Es wechseln nur mit Religion und Sekten die Vehikel, die den Glauben/ Aberglauben transportieren:
Zwischen Savonarolo, Habeck und Reichinek passt kein Blatt Papier. Der Mensch an sich ist mit seinen neuronalen Verdrahtungen eben doch in der Masse recht simpel.
Für Fortschritt braucht es immer den zunächst verlachten Spinner.
Ja, der Text ist aus einer eurozentristischen Perspektive geschrieben, andernorts spielt Religion noch eine große Rolle - oder es gibt neue Formen des Glaubens, z.B. Esoterik.
Löschen"Für mi is des ois no so wia a fuim ... igandwie ... i woas ned warum ... es lauft irgendwie ois so owa, aba irgendwie glaub i's no goaned dass des so is!"
AntwortenLöschen(Daniel Küblböck)