Samstag, 21. Juni 2025

Der Ball


Es war Abend und die Sommerhitze wollte nicht aus meiner Dachgeschosswohnung weichen. Also beschloss ich, noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Als ich auf den Bürgersteig trat, war die Luft angenehm kühl. Eine leichte Brise bewegte die Baumkronen und im Licht der Laternen tanzten die Mücken.

Ich schlenderte ziellos durch die Straßen meines Viertels. Vielleicht sollte ich irgendwo noch ein Bier trinken? Erst vor kurzem war ich in die große Stadt gezogen und wusste nicht, wo die nächste Kneipe zu finden war. Früher muss es sie an jeder Ecke gegeben haben, aber ich kam an keiner vorbei. Aus der Ferne hörte ich leise Musik, sie kam aus einer Seitenstraße. Ich folgte den Klängen und sah bald das hell erleuchtete Haus.

Es war wie eine Wand aus Licht. Die Scheiben waren fünf Meter hoch und reichten bis auf den Boden. Zwischen den Scheiben waren dünne Leisten aus verchromtem Stahl, das gläserne Panorama war an die zwanzig Meter lang. Einiges Volk hatte sich hier versammelt und starrte wie gebannt in den Saal. Obdachlose, Jugendliche und eine alte Frau mit Hund. Ich stellte mich dazu.

Im Saal tanzten Dutzende Paare, die Herren in dunklen Anzügen mit Fliege, die Damen in glänzenden langen Ballkleidern. An den Rändern standen viele andere Menschen, sahen den Tanzpaaren zu, lächelten und plauderten. Ein Orchester spielte gerade einen Walzer. Kellner trugen Tabletts voller Champagnergläser durch die Menge. Ob es eine Hochzeit war, eine Wohltätigkeitsveranstaltung oder eine Feier aus einem sogenannten gesellschaftlichen Anlass? Ich hatte so etwas bisher nur im Fernsehen gesehen.

Der Mann neben mir drehte den Kopf und sagte: „Sehen Sie sich mal das Buffet an.“

Er trug eine dicke wattierte Jacke, ein kariertes Hemd voller Flecken und neben ihm stand eine Aldi-Tüte mit Klamotten.

Ich folgte seinem Finger und sah auf der rechten Seite einen langen Tisch, der mit einem weißen Leintuch bedeckt war. Dort standen silberne Platten mit Hors d’œuvre, verschiedenen Käsesorten, Obst, Etageren mit Petit Fours und ein Kelch mit Kaviar.

„Wenn das Fest vorbei ist, können wir uns die Reste am Hintereingang abholen. Ich freu mich schon.“

Ich nickte ihm freundlich zu und ging weiter.    

 

6 Kommentare:

  1. Wir befürchten, mit solch rührseligen Geschichten von Glanz auf der einen und Elend auf der andern Seite lässt du "Kräfte erstarken, die die Spaltung unserer Gesellschaften vertiefen wollen" (Dr. Frank-Walter Steinmeier).
    Weshalb wir, die wir im Verborgenen Gutes tun, uns (vor allem aber natürlich dich!) ganz ernsthaft fragen müssen: Ist das Absicht? Wer bezahlt dich? Putin? Xi Jinping? Kim Jong-un? Sahra Wagenknecht? Henning Conle? Oder kommt die dicke Knete gar aus dem verschwundenen SED-Vermögen?

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    1. Bei der Spaltung der Gesellschaft muss man nur auf der richtigen Seite stehen. Dann ist es eigentlich ganz gut auszuhalten. Es gibt Käufer und käufliche Menschen. Wer nicht weiß, was Hors d’œuvre, Etageren und Petit Fours sind, wird es auch in Zukunft nicht leicht haben ;o)

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    2. Alles richtig soweit. Aber korrekt muss es heißen: Vorspeise, mehrstöckiger Servierständer und kleine Öfen. Denn spätestens seit 2011 gilt: "Jetzt wird in Europa Deutsch gesprochen!" (Volker Kauder). Schreib er sich das hinter die Ohren, er Französling!

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    3. Und Savoir-vivre heißt übersetzt "unbezahlte Überstunden" ;o)

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