Als
Kind hatte ich bestimmt dreißig Autos. Ich lebte im Luxus. Dazu meine ganzen
Armeen: die Deutschen aus dem Ersten Weltkrieg, die Fremdenlegion und die
Amerikaner in klein, die Deutschen aus dem Zweiten Weltkrieg, die Russen, die
Japaner und die Briten in groß. Dazu Kriegsschiffe, Panzer und Flugzeuge als
Modelle. Bei mir war jeden Tag Krieg, ich fand’s toll und keinen hat’s gestört.
Meine
Mutter rauchte damals Kim. Die gibt’s heute gar nicht mehr. Die Schachtel hat zwei
Mark gekostet. Oft bekam ich von den Erwachsenen Geldmünzen geschenkt. Auf der
Zwei-Mark-Münze war Adenauer abgebildet. Sie sagten, ich soll es in mein
Sparschwein tun. Habe ich natürlich gemacht. Das Plastikschwein wurde nie voll.
Jahre später habe ich gemerkt, dass meine Mutter immer das Geld für ihre
Zigaretten aus meinem Sparschwein genommen hat.
Benzin
war praktisch umsonst. Wir fuhren manchmal einfach stundenlang durch die
Gegend. Damals waren die Windschutzscheibe und der Kühlergrill immer voller
Insekten und Singvögel. Im Hochsommer hatte man auch die Scheibenwischer an,
wenn es nicht geregnet hat. Aber es hat im Sommer oft geregnet. Nicht nur so’n
bisschen. Manchmal regnete es den ganzen Tag.
Das
Fernsehprogramm war lustig. In „Väter der Klamotte“ wurden Ausschnitte aus
alten Stummfilmen gezeigt. Da haben sich die Leute immer gegenseitig in die
Fresse gehauen, und es gab wilde Verfolgungsjagden. Leute wurden aus dem
Fenster geschmissen oder fuhren ungebremst gegen eine Häuserwand. Das haben wir
dann am nächsten Tag auf dem Schulhof oder auf einer Wiese nachgespielt.
Ich
hatte jede Menge Freunde, und den Erwachsenen war es egal, was wir machten. Man
musste nur zum Abendbrot wieder zuhause sein. Es gab eigentlich immer dasselbe.
Wurstbrot. Käse mochte ich damals nicht, die stinkenden Fischkonserven
verursachten bei mir Brechreiz. Vater trank Bier und rauchte anschließend seine
Pfeife, Mutter räumte den Tisch ab und spülte das Geschirr.
Spielzeug
gab es nur an Weihnachten und zum Geburtstag. Aber in der Zeit dazwischen gab
man uns den Müll zum Spielen. Aus einer leeren Packung Erfrischungsstäbchen,
drei Zahnstochern vom Käseigel und ein bisschen Zeitungspapier baute ich ein
Schiff. Ich erinnere mich auch noch an Toast Hawaii. Der war damals groß in
Mode. Das war die große weite Welt. Aber schön mit Dosenananas von Libby’s.
Meine erste echte Ananas habe ich erst mit 23 gesehen.
Die
Erwachsenen haben oft vom Krieg geredet. Eine Menge Leute waren „gefallen“. Als
ich mal meine Mutter gefragt habe, warum sie nicht wieder aufgestanden sind,
sah sie mich nur mit eisigem Schweigen an. Ihr Vater war in der Sowjetunion
erschossen worden, als sie drei Jahre alt war. Mein lebender Opa war in
Kriegsgefangenschaft. Bei Kriegsende wurde er, obwohl Grubenarbeiter in einem
„kriegswichtigen Betrieb“, zum Volkssturm eingezogen. Er bekam nur eine
Armbinde und eine Panzerfaust. Er hat die Waffe nie benutzt und wurde in einem
Weinkeller am Rhein gefangen genommen.
Auf
der anderen Straßenseite gab es einen Laden, da konnte man bei einem mürrischen
alten Mann mit Zigarrenstummel im Mundwinkel Süßigkeiten ab zwei Pfennig
kaufen. Comics, Buntstifte und Stofftiere. Spielfiguren: Cowboys, Indianer,
Ritter und Soldaten. Keine Büroangestellten, keine Bauarbeiter, keine Krankenschwester.
Gab es überhaupt weibliche Spielfiguren? Die Mädchen hatten ihre Puppen. Aber
was haben sie sonst gemacht? Damals hat noch kein Mädchen Fußball gespielt oder
ist auf einen Baum geklettert.
Im
Nachbarhaus wurde mal das Zimmer eines Freundes neu gestrichen. Er hat alle
Kinder aus der Nachbarschaft eingeladen und wir durften einen Nachmittag lang
die Wände bemalen, bevor am nächsten Tag die Handwerker kamen. Das war ein
Riesenspaß. Mit demselben Freund und seiner Mutter bin ich mal nach der Schule
in einer „Ente“ nach Wiesbaden gefahren, wo wir in einem Möbelhaus waren, wo
wir Schnitzel gegessen haben. Offenbar hatte ich zuhause nicht Bescheid gesagt,
denn mein Vater suchte die ganze Stadt nach mir ab. In einem Sporthaus gab
Fritz Walter gerade Autogramme. Er kam ohne mich nach Hause, aber mit einem
Autogramm.
Einmal
waren wir sogar in Spanien. Die Autofahrt mit dem Opel Kadett hat zwanzig
Stunden gedauert. Wir hatten eine Ferienwohnung in Benidorm. Meine Mutter hat
jeden Tag für uns gekocht. Wir hatten einen Sack Kartoffeln und eine ganze
Palette Gulaschkonserven im Kofferraum. Der Strand war brechend voll. Eis am
Stiel. Frauen oben ohne. BILD-Zeitung zwei Tage alt. Kam wohl auch mit einem
Opel.
Alles
war sagenhaft billig. Die lustigen Geldscheine. Pesetas. Für eine Mark hast du
bestimmt tausend Peseten bekommen. Davon konntest du ein Brot und eine Flasche
Wein kaufen. Erst viele Jahre später habe ich die Sympathie der Franco-Diktatur
für die deutschen Urlauber begriffen. Alles in allem war es schön.
P.S.:
Ich sehe die ARD-Sportschau seit 1973, also seit fünfzig Jahren. In meiner
Kindheit waren alle Bundesligaspiele samstags um halb vier, so wie Gott es
gewollt hat.
Ach ja, damals im Urlaub an der Ostsee!
AntwortenLöschenSehr schön. An der Ostsee waren wir auch mal. Da trug man im Sommer noch einen knallgelben Friesennerz aus Plastik und einmal mussten wir vor einem Schwarm Bienen flüchten.
Löschenhttps://katzundgoldt.de/w_nordsee.htm
LöschenSiehe auch: Damals bei uns daheim.
LöschenIch bin ja einen Tacken jünger (Jahrgang 1974), aber ich habe auch noch frühkindliche Erinnerungen an sonntägliche ,,Sparzierfahrten'' (was man damals so als normal empfand).
AntwortenLöschen,,Kriegsspielzeug'' gab es bei uns nicht, obwohl meine Eltern überhaupt nicht ,,grün'', ,,links'' oder gar friedensbeweg waren (eher ländlich-konservativ): Man hatte in der Familie durch den Krieg einfach genug gelitten, da sollten die Kinder so etwas nicht noch spielen. Blutige Schlachten zwischen ,,Cowboy und Indianer'' oder bis an die Zähne bewaffnete Piraten und Ritter waren aber ok. :-)
Erinnerungen ...
Wer kennt noch die Spazierfahrten von Hänschen Frömming im Sulky? Kommentiert von Addi Furler. Da ging mir schon als Pimpf der Gaul durch.
AntwortenLöschenJa, damals gab es noch jede Menge Pferdesport und andere Sachen in der Sportschau, nicht nur Fußball.
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