Samstag, 27. Oktober 2018

Am „Info-Stand“

Ein Sonnenschirm, ein Tisch mit Prospekten, junge Leute. Gabor Knöll geht vorbei und wird angesprochen.
„Mögen Sie Tiere?“
„Machen wir es kurz. Sie interessieren sich nicht für meine Meinung, Sie wollen Geld.“
„Wir sind Tierschützer. Die gequälten Kreaturen sind dringend auf Ihre Hilfe angewiesen.“
„Ich bin arbeitslos. Wissen Sie, wie viel Geld ich im Monat zur Verfügung habe?“
„Schon ein Euro würde helfen.“
„Sie hören mir gar nicht zu. Ich würde gerne mal wieder ins Kino gehen. Können Sie mir nicht etwas Geld geben?“
„Was?“
„Ich sehe schon, ich verschwende Ihre Zeit.“
Knöll geht weiter, der junge Mann mit Vollbart spricht den nächsten Passanten an.

Dienstag, 9. Oktober 2018

Und täglich grüßt das Hakenkreuz

Neulich habe ich in den uferlosen Weiten meiner Bibliothek nach neuem Lesestoff gestöbert und bin auf ein Buch gestoßen, das ich mir vor einem Vierteljahrhundert angeschafft habe: „Un-Heil über Deutschland – Fremdenhass und Neofaschismus nach der Wiedervereinigung“. Ein STERN-Buch mit Beiträgen diverser Autoren. Nach der Lektüre ist mir klar geworden, dass sich eigentlich seit meiner Zeit als Student nix geändert hat. Gar nix.

Die Ausgangslage
1992 wurden 17 Menschen von Rechtsextremisten ermordet. Es gab hunderte Verletzte, 701 Brand- und Sprengstoffanschläge auf Asylantenheime und Häuser von Migranten. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl rechter Gewalttaten um 54 Prozent. Jeder kennt noch die Namen der Orte: Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Hoyerswerda, Hünxe. Westdeutschland, Ostdeutschland. Überall lodert der rechtsradikale Hass.
„Bonn war nicht Weimar, aber die ehemalige DDR ist dabei, es zu werden, mit allen Voraussetzungen, die dazu gehören: Zusammenbruch der gesellschaftlichen Strukturen, soziale Deklassierung von Millionen, Gefühl der Erniedrigung, Verlust der Identität, desolate Zukunftsaussichten. (…) Der Hass sucht sein Ventil und findet es beim Asylantenproblem.“ (S.10)

Politische Folgen
Die Politik reagiert. Nicht mit der Bekämpfung rechtsradikaler Ideen und Organisationen, sondern mit Verständnis für den besorgten Bürger. Schließlich lenkt der Hass die Menschen von den eigentlichen Ursachen für Massenarbeitslosigkeit und Zukunftsangst ab. „Es ist billig und bequem, einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem neonazistischen Terror und dem Asylantenproblem. So wie es nach dem letzten Krieg populär war, einen Zusammenhang herzustellen zwischen Versailles und Auschwitz.“ (S. 9)
Ende 1992 wird das Asylrecht drastisch eingeschränkt. „Was war geschehen? 438.191 Flüchtlinge haben 1992 in Deutschland Asyl beantragt. Ein Grund, dass in einem der reichsten Länder der Welt Hysterie ausbricht? Dass Politiker aller Parteien monatelang kaum noch ein anderes Thema kennen als die ‚Asylantenflut‘ und den ‚Asylmissbrauch‘?“ (S. 200)
Die Grenzen werden dichtgemacht. „An der deutschen Ostgrenze drohen Zustände wie an jener berüchtigten Grenze zwischen reicher und armer Welt: zwischen den USA und Mexiko.“ (S. 208)
Schließlich könnten die wütenden Wähler zu den rechten Parteien überlaufen. „Der SPD-Politiker Gerhard Schröder beschreibt den Mechanismus für seine Partei so: ‚An den Stammtischen rumort es, und die oberste Heeresleitung will das Thema wegbekommen. Von daher gibt es da einen Zusammenhang.‘ Allerdings haben die Politiker durch ihre jahrelange Asyl-Rhetorik den Ausländerhass selbst geschürt.“ (S. 210)

Rechtsextremistische Wahlerfolge
Asylanten klauen wie die Raben und haben alle ein Messer dabei. Was jeder weiß, muss niemand gesehen haben. Muslime werden sich nie „integrieren“, also werden wie wir Deutsche, und produzieren immer neue Kopftuchmädchen. Wer diese Meinung teilt, findet im Parteienspektrum ein vielfältiges Angebot. Für echte Nazis die NPD, für Nazis light die Republikaner und die DVU.
Die Republikaner ziehen 1992 mit 10,9 Prozent in den Landtag von Baden-Württemberg ein. Sie blieben bis 2001. In den Bundestag wurden sie nicht gewählt, hatten durch Parteiübertritte von CSU- und CDU-Abgeordneten aber drei Vertreter im Parlament. Hochburg in Ostdeutschland war Chemnitz, aus den dortigen Republikanern im Stadtrat ging die Bewegung „Pro Chemnitz“ hervor, die wiederum gute Verbindungen zur NPD Sachsen pflegt.
Die DVU wird 1991 in die Bremer Bürgerschaft gewählt (6,2 Prozent). 1992 kommt die Partei in den Landtag von Schleswig-Holstein (6,3 Prozent), 1998 in den Landtag von Sachsen-Anhalt (12,9 Prozent) und 1999 in den Landtag von Brandenburg (5,3 Prozent), wo 2004 der erneute Einzug ins Parlament gelingt (6,1 Prozent). 2011 folgt die Fusion mit der NPD zu „NPD – die Volksunion“.

Wirtschaft und Gesellschaft
Gott schütze unsere Exportindustrie. Die Gier ist mächtiger als der Hass, für die Leitkultur wird der Profit nicht geopfert. Hans-Peter Stihl, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, erklärt: „In Deutschland hängen Millionen Arbeitsplätze vom Verkauf unserer Waren und Dienstleistungen ans Ausland ab (…). Wir brauchen ein positives Bild im Ausland.“ (S. 183) Der BDI-Präsident Tyll Necker ergänzt: „Die Ausländerfeindlichkeit macht uns hässlich und unsere Produkte schwer verkäuflich.“ (S. 186).
Liebe Nazis, liebe Politiker! Bitte lenkt die Bevölkerung von den eigentlichen Problemen ab, aber übertreibt es nicht. Kommt nur mir diese Schallplatte bekannt vor? Helmut Kohl hat es begriffen: „Die Wertigkeit eines Menschenlebens hängt in Deutschland nicht unwesentlich davon ab, ob der Mensch Steuern und Rentenbeiträge zahlt. Nach den Morden an Türkinnen in Mölln wird Kanzler Kohl nicht müde, die wirtschaftliche Bedeutung der ausländischen Arbeitnehmer zu unterstreichen.“ (S. 209)
Die Bevölkerung reagiert mit Lichterketten. Es gab noch kein Internet und damit auch keine Online-Petitionen, aber wir hatten damals wenigstens Kerzen. Über eine Million Menschen demonstrieren im Dezember 1992 in München, Berlin, Essen und Hamburg, dazu viele hunderttausend Menschen in anderen Städten. Die böse taz schreibt von einer „Betroffenheitsgala“, von „versammelten Spätzündern“ und „Wunderkerzenhaltern“. (S. 163)

Fazit
Genutzt hat es bekanntlich nichts. Mit dem NSU ging es weiter. Inzwischen haben sich die Nazis mit der AfD einen erfolgreichen parlamentarischen Arm geschaffen. Rechtsradikale Gewalt, rechtsradikale Umzüge gehören längst zu unserem Alltag. Fortsetzung folgt.
„Der Neonazismus muss als Neonazismus bekämpft werden und nicht als Folge von irgendetwas. (…) Wir dürfen der Konfrontation nicht mehr ausweichen. Die Weimarer Republik ist weniger an den Schlägerkolonnen der NSDAP zugrunde gegangen als an der Komplizenschaft der Konservativen mit Hitler und der Hilfslosigkeit der Demokraten.“ (S. 11).
Diese Sätze haben auch nach 25 Jahren nichts an ihrer Aktualität verloren.

Freitag, 5. Oktober 2018

Literaturnobelpreis 2018




Vielen Dank, hochgeschätztes Nobelpreiskomitee. Herzlichen Dank, liebe Fans. Ich weiß, dass Ihr immer an mich geglaubt habt.

Dienstag, 2. Oktober 2018

Rocky

„Ick hab den Rocky ja schon jekannt, da war er noch so kleen“. Bonettis Hand schwebt auf Tischhhöhe. „Der war praktisch jané vorhanden, so kleen war der. Hatte aber schon ne jroße Schnauze. Hat jewusst, wat er wollte, wa. Hier im Kiez hatta die Pasta jeliefert. Immer morjens inn Briefkasten. Später ooch die Pizza. Kannte der jannüscht. Immer anjepackt, vastehste? Alsa jroß wurde, ha’ck ihm paar Tricks beijebracht. Linker Haken, rechte Jrade, wa. Dit janze Repertoar. Un imma schön in Bewejung bleiben. Nüsch irjendeene Trefferfläsche anbieten, wa. Dit hat der Kleene ooch kapiert. Dann hatta ja rüschtisch Karrijere jemacht. War üm Fernsehn unn so. Kam janz jroß raus. Ha’ ick mir allet anjekieckt. Jibt’s janüscht. Wa supa jewesn. Aba dann die krummn Dinga. Kohle wech, Hartz fia. Weeste, ey! Unn jetze? Jetze hammse den Rocky mim Smart dodjefahrn. Mim Smart. Lach ick mir doch een Ast. Wie kann det sein? Den Rocky mim Smart dodjefahrn? Aba so isset jewesen, so stehtet ünne Bild, wa. Ick kannet no jané rüschte fassen, dit janze. Rocky, wa. Der war doch aus meem Kiez.“

Analoges Logbuch 1992 - Bilder