Freitag, 26. Februar 2010

Früher und heute II


Als ich ein Kind war, gab es nur drei Fernsehprogramme. Am Nachmittag begannen die Übertragungen, um Mitternacht war meistens Schluss. Wir hatten zu Hause ein Schwarz-Weiß-Gerät ohne Fernbedienung.
Die Familienkutsche war ein Peugeot 404, ohne Airbag und Nackenstützen, ohne Elektronik und Navi, eine Nuckelpinne, die im Vergleich zu heutigen Autos eine echte Todesfalle war.
Das Urlaubs-Highlight meiner Kindheit war eine Flugreise nach Mallorca und zwei Wochen im Club Neckermann. Es sollte mein einziger Flug bis zum 18. Geburtstag bleiben.
Ich habe am Fernseher "Pong" gezockt, das erste Videospiel der Welt. Links und rechts ein weißer Balken, zwischen denen ein weißes Viereck hin und her hüpfte.
Der iPod, das Internet, die Mikrowelle, Die Grünen und Sido waren noch nicht erfunden.
Eigentlich bin ich in der Dritten Welt aufgewachsen. Solche Stories kann vielleicht jemand erzählen, der aus Afrika oder Indien kommt. Für die Kids heute sind die Alten aus einem anderen Universum.

Montag, 22. Februar 2010

Früher und heute


Früher war die Welt noch in Ordnung: Die Politiker waren machtgierig und die Wirtschaftsfritzen geldgierig. Aber inzwischen ist es anders, denn jetzt kriegt keiner mehr den Hals voll genug. Die Hotelbesitzer kaufen sich für eine Million ein Gesetz, das sie steuerlich um eine Milliarde entlastet. Ehemalige Kanzler und Vize-Kanzler prostituieren sich im Ausland, für reichlich Bimbes lassen sie sich auf Banketten von ihren neuen Herren vorführen. NRW-Ministerpräsident Rüttgers zieht daraus seine Konsequenzen: Endlich gibt es einen Katalog mit exakten Preisangaben für den Umgang mit den Volksvertretern. Haben Sie sich nicht auch schon einmal gefragt, was so ein Politiker eigentlich genau kostet? Schließlich ist diese Form der argumentationsfreien Einflussnahme auf die Gesetzgebung eine heikle Angelegenheit. Zahlt man zu wenig, beleidigt man den Amtsinhaber, zahlt man zuviel, hat man zuviel gezahlt. Auch doof. Möglicherweise sehen wir demnächst auch etwas Werbung auf dem Landesvater, da böten sich etliche Reklameflächen auf dem Jackett an. Exklusive Mitlgiedskarten für "Rüttgers Club". Und könnte man Nordrhein-Westfalen nicht in RWE-Land umbenennen? Oberhausen heißt jetzt O2-World. Und die Moral von der Geschichte? Woher soll man heutzutage eine Moral nehmen, wenn die Kirche schon wieder in einen Sexskandal verwickelt ist?

Mittwoch, 17. Februar 2010

Zwo Grad minus


Er legte den schmalen Zettel in den Aschenbecher und zerkaute krachend die beiden Hälften des Glückskekses. Gute Ratschläge gab es in rauhen Mengen, aber viele waren auch Schrott. Zum Beispiel: Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter. Wenn man das wirklich machen würde, hätte man vielleicht am Ende eines Tages eine Menge Probleme, wenn es nicht der letzte war, dachte Mardo. Ich würde erst einmal das ganze Geld von meinem Konto abheben und dabei noch bis zur Schmerzgrenze überziehen. Dann würde ich mir vielleicht mit Freunden ein opulentes Mahl gönnen, die feinsten Sachen trinken, mich mit einer Stretch-Limo durch die Stadt gondeln lassen. Natürlich würde ich mich von allen verabschieden, wenn tatsächlich die letzten vierundzwanzig Stunden meines Lebens angebrochen sein sollten, wenn auch meistens per Handy. Vielleicht würde man am Ende des Tages melancholisch werden und ein bißchen in das letzte Glas Rotwein heulen. Jedenfalls wäre es nicht auszuhalten, wenn man jeden Tag so leben würde, als sei es der letzte. Und es würde Freunde, Verwandte und Kollegen auf Dauer sicher überfordern – von meinem Kontostand ganz zu schweigen.

Sonntag, 14. Februar 2010

Erbarmen, die Hessen kommen


Er hat die Lippen von Cosma Shiva Hagen und das Gemüt einer Bulldogge: Roland Koch. Jetzt also der Reichsarbeitsdienst reloaded. Gut, denke ich, dann schauen wir doch mal kurz aus dem Fenster. Sämtliche Gehwege vereist, die städtischen Angestellten wieder völlig überfordert, weil man schließlich nicht mit einem solchen Kälteeinbruch mitten im Winter rechnen konnte, Großmütterchen bewegen sich wie Eiskunstläuferinnen über das Geläuf, mutige junge Männer mit Steigeisen wagen sich an die Mittelgebirge, die sich zwischen Bürgersteig und Fahrbahn gebildet haben. Heraus mit euch, denke ich, hier müssen sieben Millionen Hartz IV-Empfänger einschreiten, Wege befreien, nötigenfalls das Salz aus dem eigenen Vorratskämmerchen opfern, um ihren Nachbarn den Weg zu Arbeit zu ermöglichen und auf diese Weise den Almosengebern mit ein wenig Dankbarkeit ihre jahrelange Großzügigkeit zu vergelten. Auch alleinerziehende Mütter werden herangezogen, derweil die Kleinen bei der Tagesmutter Teppichknüpfen lernen. Welch eine Vorstellung, welch süßer Honig von seinen sinnlichen Lippen. Leistung, raunt er mir zu. Leistungsträger, nicht Leistungsempfänger sein. So lautet des eisernen Rolands fürstliche Botschaft, gegen deren Feinde er die Zähne zu fletschen vermag, dass selbst die neoliberale Kratervisage schweigend beiseite treten muss.

Nachtrag, 21.2.10: So schnell holt die Realität diese Glosse ein. Outside-Minister Westerwave fordert Winterräumdienst von Hartz IV-Empfängern, in Berlin sind sie bereits zu Hunderten im Einsatz. Die Stadtreinigung hat für die nächste Woche noch ein paar hundert mehr bei den Jobcentern "geordert." Jetzt hilft nur noch Sonne!

Montag, 1. Februar 2010

The Secret Finnwaters

1

Als Kind hatte er immer geglaubt, die Welt um ihn herum sei nicht real, sondern nur ein Versuchsaufbau, von Wissenschaftlern erschaffen, die seine Reaktionen untersuchen wollten. Als Erwachsener fand er heraus, daß er immer Recht gehabt hatte.
Der Tag begann wie immer: Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten seine unruhig zitternden Augenlider. Er drehte sich auf die andere Seite, schließlich öffnete er die Augen. Sein Blick wanderte durch das große helle Zimmer. Da waren der breite, mit Büchern übersäte Schreibtisch, der Computer und der Fernseher, der kleine runde Eßtisch mit dem Teller, den er gestern nicht mehr in die Küche räumen wollte, die gewaltigen Boxen seiner antiquierten Stereoanlage. Dann sah er zur Uhr, es war acht, in zwei Stunden begann sein Seminar an der Universität. Und er würde Sarah wieder sehen. Sarah, seine geheimnisvolle schöne Kommilitonin.
Bowman sprang aus dem Bett und lief in die Küche. Der Toaster und der Kaffeeautomat wurden aktiviert. Er frühstückte im Stehen und blickte hinunter auf die Straße. Dort stand sein alter BMW, gerade ging – wie jeden Morgen, seit er hier wohnte - sein Nachbar den Bürgersteig entlang zur Bushaltestelle. Er hieß Larry oder Jerry und trug die immer gleichen langweiligen Anzüge und Krawatten. Eine Ameise im großen Ameisenhaufen namens Boston. Bowman ging ins Wohnzimmer und schaltete den großen Plasmabildschirm ein. Es lief die übliche Morgenshow aus gutgelauntem Geplauder über Belanglosigkeiten, namenlosen Studiogästen und Nachrichten.
" ... wurde heute der neue Flughafen von Rom eingeweiht. Nach Schätzungen von Experten sollen hier jährlich fünfzig Millionen Passagiere abgefertigt werden. Moskau. Bei einer Demonstration von unzufriedenen Rentnern wurde Tränengas eingesetzt. Das Wetter. Ein sonniger Tag von der West- bis zur Ostküste. Temperaturen um die neunzig Grad Fahrenheit. John?! (die Stimme wechselte) Danke, Jane. Und jetzt kommen wir ..." Er schaltete das Gerät wieder ab und ging ins Badezimmer. Welcher Geruch und welche Farben Sarah wohl gefallen, dachte Bowman unter der Dusche. Ich weiß so wenig über sie. Nach dem Seminar werde ich sie fragen ob sie mit mir in die Mensa geht. Auch wenn ihre bescheuerte schwatzsüchtige Freundin Lilly mitkommen wird. Ich werde es ertragen.
 
2

"Sie sollten die Auto-Prozedur verwenden. Sehen Sie nicht, daß der Computer in den roten Modus übergeht?"
Sarah sah den Dozenten ruhig an und band ihr dunkelblondes Haar zu einem Zopf. Natürlich wußte sie, daß nur die Auto-Prozedur erlaubt war. Einen Augenblick später erschien der Lehrstoff der heutigen Seminarsitzung auf ihrem Bildschirm. Der Dozent war weitergegangen und überprüfte die Monitore der anderen Studenten. Sie blickte neugierig zu Bowman hinüber. Er gefiel ihr sehr gut, seine Reinheit und Unschuld faszinierten sie.
Der Unterricht begann. Geschichte, erste Dekade 21. Jahrhundert. Die alten Lügen, Decker von der Organisation hatte es ihr erzählt. Hier im Unterricht gab es keine Ölkriege zwischen China und den USA. Niemand erwähnte den Zerfall der Vereinigten Staaten nach dem zweiten Ölkrieg. Hier gab es noch nicht einmal die DenverCom, den Staat, in dem sie lebte. Hier gab es nur alberne Geschichten von politischen Konferenzen und Bürgerkriegen in fernen Ländern. Hier gab es genug Öl für alle, hier gab es noch Autos. Ein perfektes Schauspiel. Wieder sah sie zu Bowman hinüber. Jemand mußte es ihm sagen, jemand mußte ihn hier raus holen. Jetzt sahen sie einen kurzen Filmbeitrag zur Olympiade in London 2012, die nie stattgefunden hatte. Bowman blickte ahnungslos auf den Bildschirm, der Dozent fixierte ihn und hielt einen Zettel mit handschriftlichen Notizen bereit. Er würde Bowman eine Frage stellen, er würde den Schauspielern Fragen stellen und er würde die Antworten bekommen, die den Wissenschaftlern an ihren Monitoren gefallen würden.
Heute werde ich es wagen, sagte sich Sarah. Ich liebe diesen Mann und ich hasse dieses Spiel, diese elenden Lügen. Decker hatte ihr die Augen geöffnet. Es gab nicht nur eine Welt außerhalb der Bowman-Kapsel, es gab auch eine Welt außerhalb des Systems. Es gab IndyComs, Kommunen, die zwischen den unabhängigen Stadtstaaten existierten. Auch zwischen den chinesischen, europäischen und indischen Coms gab es ‚befreite Gebiete‘, wie Decker sie nannte.
Endlich war das Seminar vorüber. Bowman schaltete den Computer ab, zog seinen Stick aus dem Gerät und machte sich auf dem Weg zur Mensa. Sarah folgte ihm und ging eine Weile neben ihm.
"Hi, Sarah. Kommst du mit in die Mensa?" Nervös schaute sich Bowman nach ihrer nervigen Freundin um, die jedoch nicht zu sehen war.
"Ich kenne da einen neuen Italiener. Hast du Lust?"
Bowman war verwirrt und verzaubert. Natürlich würde er dieser Frau überall hin folgen.
Kurze Zeit später waren sie auf der Straße.
"Wir müssen diese Treppe hinunter. Ist eine ganz besondere Location."
"Na klar." Bowman wunderte sich. Seit wann hatte diese Stadt einen Untergrund? Es sah aus wie einer der U-Bahnhöfe, die er im Geographie-Seminar gesehen hatte. Er hatte noch nie die U-Bahn benutzt, immer nur den Wagen. Warum eigentlich? Er ging eine Treppe hinunter und um eine Ecke, da schlang Sarah ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn lange.
"Bowman, ich habe mich in dich verliebt und ich will mit dir fliehen."
Bowman sagte gar nichts. Er hatte sich auch in Sarah verknallt, aber er wußte nicht, wovor er flüchten sollte. War es eine romantische Vorstellung, der sie sich hingeben wollte? Die Flucht in eine kleine Wohnung außerhalb des Campus. Warum nicht? Sie zog ihn in das Halbdunkel eines Waggons, der voller Pakete war. Wenige Minuten später fuhr der Zug ab.
  
3

"Wo bin ich hier eigentlich?"
"Wir sind jetzt in Denver. Der Hauptstadt der DenverCom."
"Ich wohne doch in Boston."
"Nein, du wohnst in Bowman. Das ist eine alte Kleinstadt im früheren North Dakota. Jetzt gehört das Gebiet zur DenverCom."
"Was ist die DenverCom?"
"Der Stadtstaat, zu der die Bowman-Kapsel gehört. Die Community von Denver kontrolliert das Gebiet zwischen der ChicagoCom und der HoustonCom. Du hast die ganze Zeit in deiner eigenen Welt gelebt."
"Das ist nicht möglich!"
"Doch. Sie haben eine Zeitkapsel für dich gebaut. Du solltest so leben wie im Jahr 2014."
"Aber warum?"
"Ein Experiment. Die Bowman-Kapsel ist ein Experiment zum Studium antiker Lebensstile."
"Aber ich heiße Bowman."
"Du heißt nur so, weil die aufgegebene Kleinstadt so hieß. Du hast keinen eigenen Namen."
Bowman konnte es nicht verstehen. Er war Bowman. Zweifelnd sah er Sarah an.
"Erzähl mir von deinen Eltern, Bowman!"
"Ich kann mich nicht an sie erinnern. Sie sind früh gestorben."
"Kannst du dich überhaupt an deine Kindheit erinnern?"
"Nein, nur ein paar dunkle Bilder. Meine alte Schule."
"Sie haben dir jede Erinnerung genommen, die älter als zehn Jahre ist. Sie haben mit dem Experiment angefangen, als du zwölf Jahre alt warst. Jetzt bist du ein Student. An das Leben vor dem Experiment kannst du dich nicht mehr erinnern."
"Das kann nicht wahr sein."
"Warum sollten sie sonst hinter uns her sein. Wenn sie uns kriegen, löschen sie die letzten Stunden aus deinem Gedächtnis."
"Wer ist hinter uns her? Und in welchem Jahr sind wir denn angeblich?"
"Die Pros sind hinter uns her. Die Protektoren. Wir können gleich raus hier, dann zeige ich dir die Realität. Warte, bis der Zugführer durch die Tür verschwunden ist."
Kurze Zeit später schlichen sie durch die gleiche Tür davon. Dahinter lag eine leere gekachelte Halle, nach einer weiteren Tür standen sie plötzlich im dichten Gedränge eines Bahnhofs. Durchsagen hallten durch die Gänge, Sarah zog Bowman vor einen großen Plasmabildschirm. Gerade gab es eine Nachrichtensendung.
"Elfter April 2066. An der Grenze der GlasgowCom wurden massive Truppenbewegungen beobachtet. Es wird ein Angriff der ManchesterCom erwartet, die DenverCom solidarisiert sich mit der GlasgowCom." Fahnen und Soldaten wurden eingeblendet. Plötzlich ein schriller Alarm, der Bildschirm verwandelt sich in ein rotes Pulsieren. "Achtung, Achtung! Die Pros suchen einen Spion namens Bowman. Bitte betrachten Sie ihre Mitbürger und bringen Sie ihn zu den Pros!"
Bowmans Bild wurde eingeblendet. Sarah zog ihn in eine Nische und küßte ihn lange. "Wir müssen hier raus! Wir müssen Decker finden, die Organisation kann uns helfen."
  
4

Eine U-Bahn rollte ein. Nachdem eine ganze Masse buntgekleideter Menschen die Waggons verlassen hatten, sprangen Sarah und Bowman hinein. Der Zug fuhr weiter.
Zwei Jugendliche in roten Overalls grinsten, als Bowman mit Sarah die U-Bahn betrat.
"Hast’n da für Clothies an?"
"Wie bitte?" Bowman verstand nicht gleich
"Spätstarter. Der hat die Nullpeilung", sagte der andere und lachte. "Wohnt im Wald und weiß wahrscheinlich noch nicht mal, wie’n Wang-Dschie funzt."
Sarah schaltete sich ein: "Muß ja nicht jeder wissen, wie ein Wang-Generator funktioniert, oder?"
"Oh, listen to die da", tönte jetzt der erste Jugendliche wieder. "Issich wohl zu fein für Tekk-Sprekk."
Sarah wurde lauter. "Schalt dich selbst ab, du Analogstricher."
"Geh Tierblut spenden." Dann verzogen sich die beiden Overallträger in den hinteren Teil des Waggons, denn ein großer Mann in einer dunkelblauen Uniform trat näher.
"Problem?"
"Nein", lächelte Sarah. Bowman blickte hinaus in die wirre Finsternis vor den Waggonfenstern.
"Was kann ich für Sie tun? Was brauchen Sie? Einen PR-Manager oder einen Babysitter für Ihre Kinder? Ich mache alles für Sie." Einer dieser Arbeitslosen, die hier regelmäßig durchdrehten. Der Protektor ging weiter und fixierte den älteren Mann in seinem zerschlissenen marineblauen Jackett.
Zwei Stationen weiter stiegen sie aus. Deckers Haus war nur einige Querstraßen entfernt. Kein Auto war auf den Straßen zu sehen, nur ein altes Wrack, in dem ein paar Kinder spielten. Decker lebte in einer winzigen Dachwohnung eines zwölfstöckigen Betonbaus, dessen Fassade einfach betonfarben war. Er hatte schütteres schwarzes Haar, die Haut seines Bartschattens war dunkelblau gefärbt. Bowman hatte diese Modeerscheinung schon im Zug beobachtet. Von überall her war das Gemurmel menschlicher Stimmen zu vernehmen.
"Kommt rein. Trinken wir erst einmal Tee."
 
5

Wo bin ich hier nur gelandet, fragte sich Bowman, als er wie jeden Morgen am Fließband stand und leere Flaschen nach Farben sortierte. Er trug einen blauen Overall und wurde nicht mehr wegen seiner altmodischen Jeans und Shirts ausgelacht. Er hatte einen Job in einer Recyclingfirma und neue Papiere, die ihn als John Forrest auswiesen. Jeden Morgen fuhr er mit einem sonnenenergiebetriebenen Wagen nach Aspen zur Arbeit. Er wohnte mit Sarah in einem zwölfstöckigen Betonkomplex etwas außerhalb der Stadt. Er konnte sich seine Studentenzeit in der Bowman-Kapsel gar nicht mehr vorstellen. Eine eigene Wohnung! Jetzt hausten sie zusammen mit zehn anderen Menschen in einer Vier-Zimmer-Wohnung, ohne Privatsphäre oder Ruhe.
Die Schicht war zu Ende. Vor dem Werktor summte ein Elektrotaxi vorbei. Über ihm das uralte, verbrauchte Licht weit entfernter Sterne am Nachthimmel. Eigentlich war der dekadente westliche Lebensstil, den sie an ihm erforscht hatten, gar nicht so übel. Die Ölreserven waren noch nicht erschöpft, es gab Energie für alle. Es gab keinen Krieg aller gegen alle und keinen Mangel. Keine computergesteuerte Versorgung, sondern alle Waren und Dienstleistungen, solange man bezahlen konnte. Und es gab Kaffee und nicht nur diesen ewigen "Tee", der aus allen möglichen Pflanzen gebrüht wurde. Es gab Steaks und nicht nur Reis und Nudeln, die man mit Stäbchen in sich hinein schaufeln mußte. Und es gab Wohnungen für alle, dachte Bowman, als er beim Betreten des Hauses das unterdrückte Keuchen und das rhythmische Schmatzen zweier Leiber aus dem Kellerdunkeln hörte. Er haßte das System. Er haßte es für seine Lügen und er haßte es für die Wirklichkeit, in der er leben mußte. Deborah würde ihn heute wieder trösten müssen, die Frau, die er nicht mehr Sarah nennen durfte.