Das
erste Corona-Jahr geht zu Ende. Es war nicht schön. Ausgerechnet 2020 muss 366
Tage haben. Danke, Merkel! Leider sind die einzelnen Abschnitte unserer
Biographie vom Umtausch ausgeschlossen. 2020 würde ich gerne zurückgeben. 2019
war der Weltuntergang qua Klimakatastrophe noch Jahrzehnte entfernt, in diesem
Jahr klopfte er schon an unsere Türen.
Niemand
in meiner Familie, meinem Freundeskreis oder meiner Nachbarschaft ist an
Covid-19 gestorben. 1,8 Millionen Menschen hatten weniger Glück. Knapp 5000
jeden Tag. Dunkelziffer unbekannt. Nine-Eleven? Peanuts.
Die
Lebenden haben sich in diesem Jahr an kleine und große Verschlechterungen im
Alltag gewöhnen müssen. Als Sportfan muss ich jede Woche Geisterspiele ertragen
und dennoch dankbar sein, überhaupt Sport sehen zu können. Mainz 05 geht den
Bach runter und Vettel hatte im Ferrari auch ohne Corona ein Seuchenjahr. Keine
Fußball-EM, 0:6 gegen Spanien und die Olympische Spiele fielen flach.
In
meinem Dorf hat die Gastronomie schon fünf Jahre vor Corona endgültig dicht
gemacht. Die Zeit in Kneipen, Cafés und Clubs fehlt vielen. Auswärts essen gibt’s
nicht, Heimspiel mit Pizza ist angesagt. Der Lieferfahrer ist maskiert und
reicht mir den Karton so vorsichtig ins Haus, als wäre er mit Nitroglyzerin
gefüllt.
Auf Reisen sind nur die Idioten. Ich bin so blöd, ich bin so hohl, ich bin beim Skifahren in Tirol. So wenig war ich nicht mehr unterwegs, seit ich 1967 laufen gelernt habe. Keine Reise, nur einmal für drei Wochen in Berlin. 2020 bin ich zur Immobilie geworden. Manchmal verlasse ich tagelang nicht das Haus. Warum können wir keinen Winterschlaf halten wie die Murmeltiere?
Die
Hydra des Rechtsextremismus hat ein neues Haupt bekommen. Nach AfD, Pegida und
Reichsbürgern quälen uns jetzt die Querdenker mit ihrer aggressiven Ignoranz
und verstörenden Phantasien von Kindermord und Diktatur. Zu den hässlichen
Fratzen von Höcke und Kalbitz haben sich neue Hetzer und Spalter wie Hildmann,
Ballweg und Schiffmann gesellt, die den Egozentrismus der sozial verwahrlosten
Kleinbürger erfolgreich abmelken.
Aber
2020 war ja in vielerlei Hinsicht beschissen: die Brände in Australien, das
Massaker eines Nazis in Hanau, die Ermordung von George Floyd, die Zerstörung
Beiruts, die Schande der letzten Diktatur in Europa namens Belarus, der Krieg
im Kaukasus, Söder ante portas und Trumps Anschlag auf die Demokratie. China
liquidiert die Demokratie in Hongkong und versklavt die muslimischen Uiguren –
Erzbösewicht bleibt aber weiterhin der Russe™. Für alles Leben außerhalb der
Wohlstandsreservate war das Jahr wie gewohnt verheerend. Eigentlich passt es,
dass der BER ausgerechnet in diesem Jahr eröffnet wurde.
Für
die ersten Monate des neuen Jahres habe ich wenig Hoffnung. Der Tacho springt
auf 2021, das Leben ändert sich nicht. Aber im Mai oder Juni könnte die Welt
schon ein wenig anders aussehen. Das Neue Jahr im Wortsinn beginnt dieses Mal
also später als gewohnt.
Ich
wünsche Ihnen, liebe Lesende, alles Gute.
Ryuichi
Sakamoto & David Sylvian - Forbidden Colours (Full Version). - YouTube