Samstag, 31. Oktober 2020

R.I.P. Peter Grottian


Die Garde stirbt, aber sie ergibt sich nicht. In den letzten Jahren verstarben mein Doktorvater Ekkehart Krippendorff und Elmar Altvater (beide 2018), mein Zweitgutachter Wolf-Dieter Narr (2019), der in seinem Gutachten schrieb, meine Dissertation lese sich stellenweise „wie ein Sektfrühstück“, und vorgestern Peter Grottian, bei dem ich als Doktorand mein letztes Seminar hatte. Ein linker Revoluzzer, der ständig Ärger mit der Justiz, konservativen Politikern und dem Verfassungsschutz hatte. Die alte Garde des OSI, dieser marxistischen Kaderschmiede an der FU Berlin, gibt es nicht mehr.

Covid-19 antwortet nicht

 

Jahrzehntlang waren wir mit Problemen befasst, die wir Menschen selbst geschaffen haben: mit politischen Umwälzungen wie dem Ende des Kommunismus und der Wiedervereinigung, mit Kriegen und Terrorismus, mit Wirtschaftskrisen und Armut. Plötzlich haben wir es Problemen zu tun, die von der Natur an uns herangetragen werden. Erst waren es klimatische Veränderungen, dann ein Krankheitserreger namens Covid-19.

Die Herausforderungen der klimatischen Veränderungen konnten wir noch ausblenden, zumindest auf den Wohlstandsinseln wie Deutschland. Die Gefahr liegt in ferner Zukunft, für unmittelbare Erscheinungen wie sommerliche Hitzewellen gibt es technische Lösungen wie Klimaanlagen. Wir schließen einfach die Augen. Das Virus bedroht unser Leben jedoch direkt, hier und jetzt. Wir stellen fest, dass man mit der Natur, im Gegensatz zum politischen Gegner, nicht reden kann.

Unsere Wordgewandtheit, unsere Drohungen und Schmeicheleien, unsere Kompromissvorschläge nutzen uns nichts. Wenn Corona ein Land wäre, hätten es die Amerikaner schon längst bombardiert. Was tun wir? Wir greifen die Menschen an, die mit der Bedrohung zu tun haben. Wenn das Virus schon nicht auf unsere Beschimpfungen reagiert, dann tun es wenigstens die Politiker. An ihnen, an den von ihnen beauftragten Experten und an den zuständigen Behörden lassen wir unseren Zorn aus. Es wird uns nichts nutzen.

Die Natur im Allgemeinen wie auch Covid-19 im Besonderen sind blind und taub. Sie interessieren sich nicht für das Grundgesetz. Wir können mit ihnen kein juristisches Seminar veranstalten. Sie sind keinem Argument zugänglich. Damit können wir nicht umgehen. Das haben wir nicht gelernt. Es soll etwas geben, das mächtiger als der Mensch ist? Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Wir empfinden es als eine narzisstische Kränkung und quengeln wie störrische Kinder bei jeder Einschränkung unseres privilegierten Lebens.

Es ist richtig: Wir leben in einer Corona-Diktatur. Aber auf dem Thron sitzt kein Politiker und kein Milliardär. Wir erleben auch nicht die Rache der gequälten Natur, keinen Reflex des Planeten gegen die Seuche Mensch. Es ist einfach da. Mächtig. Schweigend. Widerstand zwecklos.

Jet - Are You Gonna Be My Girl. https://www.youtube.com/watch?v=tuK6n2Lkza0

 

Donnerstag, 29. Oktober 2020

Jugenderinnerung

 

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Die Platte hängt.

Dienstag, 27. Oktober 2020

Die Zukunft, Tag 1

 

Es war das erste Mal, dass sie in einem autonom betriebenen Fahrzeug unterwegs war. Lautlos glitt es durch eine ausgedehnte Parklandschaft und hielt schließlich vor einer gläsernen Kuppel, die im Sonnenlicht hellblau leuchtete.

Die Eingangshalle war menschenleer, nur an einem Empfangstresen stand eine Frau hinter einer meterhohen Plexiglasscheibe.

„Sie sind Kaya Berger?“

„Ja.“

„Sie werden erwartet. Raum 432 im vierten Stock. Der Aufzug ist dort drüben.“

Kaya ging zum Aufzug. Vergeblich suchte sie ein Tastenfeld. Schließlich sagte sie: „Öffnen“.

Tatsächlich öffnete sich der Fahrstuhl.

„Vierter Stock.“

Sie stieg aus und stand in einem langen Flur. Die ganze Decke schimmerte in gelbem Licht, als wären Kerzen hinter Milchglas verborgen. Sie suchte Raum 432, aber es gab diese Nummer nicht. Bei Raum 430 endete die Zählung. Sie überlegte einen Augenblick und klopfte an die Tür von Raum 430.

Nichts. Sie klopfte erneut.

Die Tür wurde geöffnet und ein älterer Mann mit Halbglatze und einem Kranz wirrer grauer Haarsträhnen stand vor ihr. Auf seinem Hemd waren Kaffeeflecken und er trug Hausschuhe.

„Was wollen Sie von mir?“

„Entschuldigung“, sagte Kaya, „ich suche Raum 432.“

„Das ist Raum 430. Können Sie nicht lesen.“

„Es gibt keinen Raum 432. Können Sie mir vielleicht weiterhelfen?“

„Waren Sie überhaupt schon mal hier? Möglicherweise gibt es diesen Raum. Woher soll ich das wissen?“

Kaya schaute ihn schweigend an.

„Versuchen Sie es in der Zentrale oder in Raum 423. Vielleicht ist es nur ein Zahlendreher.“ Dann schloss der Mann seine Tür.

Sie ging zu Raum 423. An der Tür war ein Schild mit ihrem Namen angebracht. Sie drückte die Türklinke. Der Raum war nicht abgeschlossen. Vor ihr lag ein großes Büro mit Blick auf den Park. Sie ging hinein und setzte sich auf den Drehstuhl. Die Sitzfläche kippte nach unten und sie lag auf dem Boden.

Die Tür ging auf. Ein junger Mann in einem schwarzen Shirt kam auf sie zu.

„Sie sind die neue Kollegin. Herzlich willkommen! Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?“

„Das Büro ist sehr schön, aber der Stuhl ist nicht in Ordnung. An wen muss ich mich in dieser Sache wenden?“

Der Mann kam näher und sah ihr tief in die Augen. „Für die Büroausstattung bin ich zuständig. Das kann allerdings eine Weile dauern. Den Bürostuhl müsste ich bestellen.“

Er stand nun unangenehm nahe vor ihr. Sie konnte seinen Atem auf ihrer Haut spüren.

„Was machen Sie denn heute Abend, Frau Berger? Essen Sie gerne?“

„Was soll die Frage?“

„Wir könnten vielleicht zusammen essen gehen. Mögen Sie türkisches Street Food?“

„Verlassen Sie sofort mein Büro!“

Enttäuscht trat der Mann einen Schritt zurück. Dann ging er mit einem höhnischen Grinsen und schloss die Tür hinter sich.

Kayas Handy vibrierte. Sie nahm das Gerät aus ihrer Hosentasche. Die Nummer auf dem Display sagte ihr nichts.

„Berger.“

„Hallo, Frau Berger“. Eine freundliche Frauenstimme. „Ich bin Sofia Venturini, die Personalchefin. Kommen Sie doch bitte zu mir in Raum 612.“

Wenig später saß Kaya vor Frau Venturini, die überraschend jung war.

„Willkommen in unserem Unternehmen. Ich hoffe, Sie hatten keine Probleme und haben Ihr Büro bezogen?“

Kaya zögerte einen Augenblick. Dann erzählte sie, was ihr bisher passiert war.

Die Personalchefin lächelte. „Das war nur ein kleiner Test.“

„Der Fahrstuhl mit Sprachsteuerung, der komische Kauz und der Möchtegern-Casanova waren ein Test?“

„Der Fahrstuhl nicht. Der komische Kauz ist Herr Dombrowski, ein Softwaredesigner. Sie hätten hätte auch an eine andere Tür klopfen können. Der Casanova war ganz sicher ein Test. Ich weiß es selbst nicht genau. Es wird permanent getestet.“

Kaya stutzte. „Sie meinen, alles kann ein Test sein?“

„Ja, Test und Wirklichkeit gehen in unserem Unternehmen ineinander über. Wenn Sie wissen, dass es ein Test ist, passen Sie Ihr Verhalten an. Sie reagieren dann so, wie es der Versuchsleiter erwartet. In unserem Unternehmen ist es anders. Zufällige Vorfälle können als Test gewertet werden. Tests werden in der Wirklichkeit fortgesetzt, damit sie den Unterschied nicht merken. Hat der Casanova Ihnen absichtlich einen kaputten Stuhl hingestellt, um Kontakt mit Ihnen aufnehmen zu können, oder war es ein geplanter Test? Ich weiß es nicht.“

„Warum nicht? Ich dachte, Sie hätten das veranlasst. Machen Sie denn keine Tests, Frau Venturini?“

„Doch, natürlich. Aber ich bin nicht die einzige, die testet. Wir alle führen die Ereignisketten fort, um den Unterschied von Testsituation und alltäglicher Situation zu verwischen. Verstehen Sie? Test und Wirklichkeit sind nicht voneinander zu unterscheiden.“

„Also ist mein Stuhl gar nicht kaputt. Wenn ich in mein Büro zurückgehe, steht dort ein neuer?“

„Nein, Ihr Stuhl ist tatsächlich nicht in Ordnung. Wenden Sie sich in an ihren Vorgesetzten, Herrn Singh. Er ist in Raum 401. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an Ihrem neuen Arbeitsplatz.“

Phil Spitalny Orchestra - Puttin' On The Ritz. https://www.youtube.com/watch?v=seB5BYvkMXk

Sonntag, 25. Oktober 2020

Ihre neuen Karriereoptionen

 

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 Dann sind Sie bei uns richtig.


Bonetti Media. Perfektion hat einen Namen.

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Komm zu Bonetti Media. Noch heute.

Samstag, 24. Oktober 2020

Kleinstadtabenteuer


Unser Summer of Love war irgendwann in den siebziger Jahren. Die Luft vibrierte. Nachts trieben wir uns gerne am Bahnhof herum und saßen im fahlen Licht einer Laterne auf einer Bank. Drei Jungs, drei Mädchen. Wir Jungs saßen am liebsten auf der Lehne der Bank, weil das cool aussah. Manchmal saßen wir auch vor der Post, die längst abgerissen ist. Eine niedrige Mauer, dahinter ein Stück Rasen, auf das man sich legen konnte.

Christian war der Intellektuelle. Er hatte Jack Kerouac gelesen. Zumindest sagte er das. Ein schmächtiger, unscheinbarer Bursche. Dann Uwe. Der Revoluzzer. Man durfte ihn nicht fotografieren, damit die Polizei keine Fahndungsfotos hätte. Ein blonder Strahlemann, der geborene Anführer. Und ich. Undefiniert. Ich las gerne MAD und war im Fußballverein.

Kerstin war ein kleines, schüchternes Mädchen. Wir hatten uns mal geküsst, als wir allein waren. Sie hatte einen tollen Mund. Volle Lippen und schöne Zähne wie aus der Werbung. Aber wenn wir mit den anderen zusammen waren, ließen wir uns natürlich nichts anmerken. Dann Anke mit den hautengen Jeans. Als ich ihr im Klassenzimmer mal ein Stück Kreide auf den Hintern geworfen habe, gab es eine Art Überschallknall. Der Inbegriff von Knackarsch.

Petra hatte als einzige von den drei Mädchen einen sichtbaren Busen. Sie war üppig gebaut. Sie wohnte im selben Stadtteil wie ich. Als wir mal nachts zusammen nach Hause gegangen sind, habe ich eine Weile ihre Hand gehalten und sie hat es zugelassen. Beinahe hätte ich ihr einen dieser sagenumwobenen Zettel mit dem berühmten Text „Willst du mit mir gehen? Ja – Nein – Vielleicht“ geschrieben, habe es aber zum Glück gelassen. Die Jungs erzählten sich, dass noch nie ein Mädchen Ja angekreuzt hat, aber mit Vielleicht wäre man praktisch am Ziel.

Eigentlich war ich in alle drei verknallt. Aber nur ein bisschen. Außerdem war ich ohnehin zu schüchtern. Bis zu meiner ersten richtigen Freundin sollten noch Jahre vergehen, aber das wusste ich damals noch nicht.

Hexennacht. Wir hatten ein paar Flaschen Wein in einer Aldi-Tüte dabei. Die Bahnhofsgegend war völlig verlassen. Der letzte Zug war durchgefahren, die Kneipe längst zu. Wir kletterten über den Gitterzaun und setzten uns auf die Bank am Gleis 1. Christian erzählte, wohin er später mal reisen würde. Mit dem Auto quer durch Amerika. Und Australien. Uwe erzählte was vom Untergrund. Er wollte nach Berlin. In Kreuzberg würde man die richtigen Leute treffen. Die Weinflasche kreiste. Wir Jungs rauchten wie echte Kerle.

„Was machen Sie da?“ Die dunkle Stimme eines älteren Mannes durchschnitt die Nacht. Wir konnten ihn erst nicht sehen, denn er stand im Dunkeln vor dem Bahnhofsgebäude.

„Geht dich einen Scheiß an“, rief Uwe.

„Verschwinden Sie! Aber sofort!“ Der Mann klang ziemlich wütend.

„Ruf doch die Bullen“, antwortete Uwe.

Wir rannten zum Gitterzaun und Christian kletterte schon hinüber, als ich sah, dass in der Mitte eine Tür war. Ich drückte die Klinke runter. Sie war tatsächlich offen. Wir gingen zur Post und legten uns auf den Rasen. Heiliger Scheißdreck! Wir lachten und fühlten uns großartig. 

Elise LeGrow - Who Do You Love. https://www.youtube.com/watch?v=4BYzRmiBwRE

Montag, 19. Oktober 2020

Die Entscheidung


Er betrachtete seinen Wandkalender. Jeder Tag hatte eine Nummer. Der Monat begann mit Tag 1 und endete mit Tag 30. Alles in schönster Ordnung. Das gefiel ihm. Und da er keine Termine hatte, ging er hinaus in den nebelgrauen Herbsttag und beschloss, sich an diesem Tag etwas Besonderes zu gönnen.

Vor dem Haus saß ein Bettler und hob die Hand, als er ihn sah. Aber selbst die verzweifelten Gesichter der Laokoon-Gruppe hätten ihm keinen roten Heller entlockt. Er hatte genau 124 Euro in seiner Brieftasche und dort gehörten sie auch hin. Er dachte an seine Kindheit zurück. Sommer, Freibad, der Geruch von Sonnenöl und Bratfett. Der Kiosk. Damals hatte er nur Geld für eine Tüte Pommes frites mit Ketchup oder ein Eis am Stiel. Wie oft hatte er vor der bunten Tafel mit den Eissorten gestanden und sein Kleingeld gezählt?

Jetzt konnte er sich alles leisten. Aber wo sollte er anfangen? Er schlenderte die Straße entlang und spähte in das Schaufenster einer Konditorei. Vielleicht ein Stück Torte? Eine Tasse Kaffee? Aber er mochte die Stehtische nicht. Seit wann isst man Torte im Stehen? Als er noch ein kleiner Junge war, mochte er Malzbonbons. Seine Oma kaufte sie ihm tütenweise. Bayrisch Blockmalz, die Schrift in Fraktur, die Tüte hatte ein weiß-blaues Rautenmuster. Auch kandierte Erdnüsse mochte er. Es gab rote Automaten, die an den Häuserwänden festgeschraubt waren. Für zehn Pfennig bekam man eine Handvoll. Sie waren längst verschwunden, genauso wie Lutscher. Kein Kind hatte mehr einen Lutscher im Mund.

Er setzte sich auf eine Bank und schloss die Augen. Er hob den Kopf und das Sonnenlicht war orange auf seinen Lidern. Jetzt eine Zigarre. Er hatte schon seit zehn Jahren nicht mehr geraucht. Einfach eine gute Zigarre. Als Kind hatte er die verschiedenen Zigarrenbinden seines Vaters gesammelt und in ein Album geklebt. Wohin war dieses Album verschwunden? Gab es überhaupt noch Tabakwarenläden, in denen man eine einzelne Zigarre kaufen konnte? Er konnte sich gar nicht daran erinnern, wann er zuletzt ein solches Geschäft in seiner Stadt gesehen hatte.

Er öffnete die Augen und sah auf seine Schuhe. Dunkelbraune Lederschuhe. Wann hatte er sie gekauft? Vor zehn Jahren? Da kam ihm plötzlich eine Idee. Als Kind hatte er Adidas-Schuhe getragen. Adidas Samba. Schwarz, mit weißen Streifen. Er würde sich Sportschuhe kaufen. Natürlich machte er seit Jahren keinen Sport mehr. Aber warum nicht? In der Innenstadt gab es ein Schuhgeschäft, dass die neuesten Modelle im Angebot hatte. Er würde sich ein Paar Schuhe kaufen. Ein großartiger Einfall. Besser als Steakhaus oder Vinothek.

Im Schuhgeschäft sah er sich lange um. Es gab tolle Modelle. „Fußbetttechnologie“ und andere Fachbegriffe. Aber seine 124 Euro reichten nicht für die Sportschuhe, die er gerne gehabt hätte. Seine Kreditkarte hatte er zuhause gelassen. Eine Verkäuferin kam auf ihn zu und fragte, ob sie ihm helfen könne. Er sah in ihre Augen und erinnerte sich für einen Augenblick an ein Gespräch, das er mit seiner Ex-Freundin geführt hatte.

Sie hatten sich Jahre nach der Trennung in einem Café getroffen und ein wenig geplaudert. Sie war inzwischen verheiratet und hatte einen Sohn. Er hatte sie an diesem Tag gefragt, welche Augenfarbe ihr Ehemann habe. Sie hatte geantwortet, dass seine Augen blau seien. In Wirklichkeit waren sie grün. Er hatte sich über ihre Antwort lustig gemacht, bis es ihm selbst peinlich wurde. Und darüber hinaus. Wie ein Zwölfjähriger.

Die Augen der Verkäuferin waren grün mit winzigen schwarzen Punkten. Kiwi-Augen. Viele verwechseln hellgrüne Augen mit blauen Augen und dunkelgrüne Augen mit braunen Augen. In Deutschland gibt es viel mehr Menschen mit grünen Augen, als man denkt. Er schüttelte den Kopf. Nein, sagte er, Sie können mir nicht helfen. Dann verließ er das Sportgeschäft.

Auf dem Weg nach Hause setzte ein feiner Nieselregen ein. Nicht stark, aber beständig. Als er seine Wohnungstür aufschloss, war er nass bis auf die Haut.

Bob Marley - Satisfy My Soul. https://www.youtube.com/watch?v=jAdBJu7qWwQ

 

Samstag, 17. Oktober 2020

Candyman Stan und der Smoothie des Todes

 

Blogstuff 504

„So lange der Mensch nicht im Höchsten frei, bei sich, selbständig ist, so lange kann er auch in Kunst und Wissenschaft nicht das Höchste erreichen.“ (Ludwig „Wigerl“ Feuerbach)

Es ist nicht nur das Vermögen ungleich verteilt, sondern auch Schönheit und Intelligenz.

Wenn man lange genug im Hunsrück gelebt hat, denkt man bei Share-Holder an den Frisör und bei Hofdame an die Bäuerin.

Wie war das nochmal? Abstand halten + Nasen-Mund-Schutz tragen + App installieren + Lüften (ANAL).

Wieso streiken die Krankenschwestern und Kindergärtnerinnen? Manager sieht man nie streiken.

Die neuen Öko-Batterien sind super. Die werfe ich einfach auf den Komposthaufen.

Brunch heißt auf Deutsch Frittagessen. (Dauert ein bisschen)

Zu wenig Frauen in der Forschung? Ich sage nur: FRAUnhofer-Institut.

Zu wenig Frauen in den Medien? Was ist mit der Bachelorette und den Trucker-Babes?

Ich gebe es zu. Als ich jung war, habe ich einige Jahre in der Pornoindustrie gearbeitet. Aber für die Sexszenen hatte ich ein Double.

Hätten Sie’s gewusst? In Bingen steht die älteste deutsche Steinbrücke des Mittelalters. Die Drususbrücke aus dem 11. Jahrhundert kann heute noch befahren werden, im Gegensatz zu manchen „modernen“ Brücken.

Ich habe mal ein Praktikum bei einem Sniper gemacht. Fand ich nicht gut. Viel zu stressig. Ich dachte, ich sitze im Büro und recherchiere Opfer oder so. Aber es war echt gefährlich. So ein Scharfschützengewehr ist komplizierter als ein Legobausatz.

Was mir nach der Rückkehr aus Berlin auffällt: Hier im Dorf leben die Kinder anders. Ein kleines Mädchen kommt mir auf dem Weg zur Hauptstraße mit ihrem Puppenwagen entgegen und grüßt freundlich. Drei Jungs spielen Fußball auf der Straße. Sie schießen den Ball in meinen Garten und klingeln, um mich zu fragen, ob sie den Ball holen können. Keine Aufsichtsperson, alles ganz entspannt.

Die Tage werden kürzer, das Wetter schlechter und man bleibt wegen Corona ohnehin gerne zuhause. Warum nicht etwas Exotisches kochen? Gerichte aus längst vergangener Zeit? Schlesisches Himmelreich zum Beispiel. Geräucherter Schweinebauch mit Klößen und Backobst. „Kließla, Fleesch und Tunke“, wie die Schlesier*innen es nannten. Danach „Berliner Luft“, eine Dessertcreme mit heißen Himbeeren.

Dark Minimal Cold Synth Wave Compilation 2019. https://www.youtube.com/watch?v=XMkEEKvdI9U

 

Montag, 5. Oktober 2020

Das Transferfenster schließt um Mitternacht

 

Bonetti Media ist es kurz vor Schließung des Transferfensters gelungen, noch einige wichtige Journalisten unter Vertrag zu nehmen:

·         Julian Reichelt wechselt ablösefrei von BILD in die Abteilung Rasenpflege unseres Konzerns. Die perfekte Halmlänge zwischen Zentrale und Parkplatz gehört zu seinen zukünftigen Aufgaben.

·         Ulf Poschardt wird ab nächster Woche in unserer Tiefgarage die Limousinen des Managements waschen. Außerdem darf er exklusiv die Aschenbecher leeren und das Wageninnere saugen.

·         Roland Tichy hat eine neue Aufgabe im Küchenbereich gefunden. Er ist für zwei Jahre von „Tichys Einblick“ ausgeliehen. Für ihn werden zwei pakistanische Tellerwäscher zu den Tottenham Hotspurs gehen müssen.

·         Gabor Steingart darf die Yacht von Andy Bonetti betreuen. Seine Bezahlung besteht zu fünfzig Prozent aus gewagten Vergleichen und Metaphern, zu fünfzig Prozent aus heißer Luft.

Sonntag, 4. Oktober 2020

Bloggertraum


Jetzt habe ich zum ersten Mal von mir selbst als Blogger geträumt. In diesem Traum fahre ich auf einen Hof, der von mehrstöckigen Wohnhäusern umgeben ist. Neben mir sitzt eine Frau am Steuer, die ich nicht kenne, und ich weiß auch nicht, was wir hier wollen. Als ich aussteige, klettert eine andere Frau an der Fassade auf einer Leiter herunter. Auf dem Rücken trägt sie ein Kleinkind. Das Kind lässt etwas fallen, das in tausend kleine Teile zerspringt. Die Mutter des Kindes ruft mir zu, ich solle ihr beim Aufsammeln helfen. Also sammle ich die Teile, es sind hellgraue Legosteine, für sie ein. Ein junger Mann mit verwuscheltem Haar und Bart, Typ Student, kommt auf mich zu und sagt, er würde mein Blog kennen. Er fände meine Texte gut und wolle mir ein paar von seinen eigenen Texten zuschicken. Er sei an meiner Meinung interessiert. Ich sage, er könne sie mir per Mail schicken, aber er besteht darauf, sie im handgeschriebenen Original per Post zu schicken. Ich will ihm meine Adresse geben, aber er sagt, es genüge, wenn er „Kiezschreiber, Schweppenhausen“ auf den Umschlag schriebe. Ich bezweifle, dass unsere Briefträgerin im Dorf mich unter diesem Namen kennt, aber er lächelt nur und sagt, da sei er ganz sicher. Dann geht er und ich gebe der Frau die aufgesammelten Legosteine. An dieser Stelle endet die Traumsequenz. Nach dem Aufwachen denke ich: Warum schreibt er nicht an „Andy Bonetti, Chefdirektor der Herzen“? Das kommt immer an. Bonetti, der Global Player, der immer menschlich geblieben ist.

https://twitter.com/DickKingSmith/status/1310611940868325381