Donnerstag, 30. März 2017

Aus dem schönen Künstlerleben

„Naturgemäß ist mir, als Schriftsteller, nichts so verhasst, als über Schriftstellerei reden zu müssen und ich habe es auch immer abgelehnt, darüber zu reden, damit sehr viele Leute immer wieder vor den Kopf gestoßen, aber dieses Vordenkopfstoßen haben alle diese Leute verdient in ihrer Instinktlosigkeit, dachte ich, dass ich tatsächlich vor nichts einen größeren Ekel empfinde, dachte ich, als über Schriftstellerei zu reden und am ekelhaftesten ist es mir, von meiner eigenen Schriftstellerei zu reden.“ (Thomas Bernhard: Holzfällen. Eine Erregung)
Kunst und Leben sind geheimnisvoll ineinandergeschlungen. Ein altvertrauter Geruch weckt eine Erinnerung und die Erinnerung zwingt dich geradezu an den Schreibtisch.
Ich lese gerade „Holzfällen“ von Thomas Bernhard. Nach den ersten sechzig Seiten bin ich in einen Baumarkt gefahren und habe eine Kettensäge gekauft. Das war vorgestern. Gestern habe ich Bernhard gelesen, habe im Garten mit der Kettensäge gearbeitet und dann wieder Bernhard gelesen. Bei Bernhard geht es eigentlich gar nicht ums Holzfällen, sondern um die Widerwärtigkeit des modernen Kulturbetriebs, um die angepassten Schleimscheißer, die ihn bevölkern, um die sinnlose Konkurrenz um Preisgelder, Stipendien, Orden und Urkunden.
Heute habe ich wieder Bernhard gelesen und bin hinaus in den Garten gegangen. Die Arbeit mit der Kettensäge fasziniert mich, man muss höllisch aufpassen, es ist tierisch laut und man bewegt in kürzester Zeit Dinge, die wie festgewachsen erscheinen. Einige stark verästelte Rankpflanzen haben mehrere Säulen eines Vordachs eingeschlossen. An manchen Stellen sind sie verholzt: unten dick wie ein Oberschenkel, weiter oben armdick, dann noch daumendick. Nach und nach befreie ich in stundenlanger, schweißtreibender Arbeit die Träger des Dachs vom Bewuchs. Teilweise haben sich die Äste wie Schlangen um die Balken gewickelt, so dass ich mit dem Stemmeisen nachhelfen muss. Überall haben sich kleinere Äste durch das Dach gemogelt, so dass ich ganze Schlangennester aus den Höhlungen ziehe. Es wird langsam wieder Licht in diesem Teil des Gartens – ein Akt der Befreiung.
Dann lese ich wieder Bernhard. Am Ende des Buches wird der Titel aufgeklärt. „In die Natur hineingehen und in dieser Natur ein- und ausatmen und in dieser Natur nichts als tatsächlich und für immer Zuhause zu sein, das empfände er als das höchste Glück. In den Wald gehen, tief in den Wald hinein, sagte der Burgschauspieler, sich gänzlich dem Wald überlassen, das ist es immer gewesen, der Gedanke, nichts anderes, als selbst Natur zu sein. Wald, Hochwald, Holzfällen, das ist es immer gewesen.“
Mein Werkzeugkasten, Inspiration unzähliger Geschichten um Schraubenzieher-Man und Kreuzschlitz-Boy, reicht mir nicht mehr. Jetzt ist es die Kettensäge, die meine Phantasie beflügelt. Ich arbeite an einer Geschichte, in der dem Protagonisten gleich zu Beginn beide Hände sauber abgetrennt werden. Aus dramaturgischen Gründen aber nicht durch eine Kettensäge. Ich bin geistig schon über die Kettensäge hinaus. Aber blutig wird es trotzdem. Nächsten Monat werden Sie mehr darüber erfahren. Arbeitstitel der Geschichte: „Hände“.

Dienstag, 28. März 2017

Blugstoff 118

„Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ (Matthäus 16, 26)
Die politische Lage bleibt angespannt. Robert, Stammgast in meiner Berliner Kneipe, ist neulich in eine Imbissbude gegangen und hat sich einen Döner Kebab bestellt. Auf die Frage, welche Soße er möchte, hat der alte Spaßvogel geantwortet: Hollandaise. Der Dönermann war wohl Erdogan-Fan. Fazit: kein Döner, Hausverbot.
In Wirklichkeit ist das deutsch-türkische Verhältnis nicht so problematisch, wie es augenblicklich in den Medien dargestellt wird. Eine der vielen Bonetti-Leserreporter hat am vergangenen Donnerstag (23. März) den Bundesminister des Innersten in einem türkischen Edelrestaurant in Prenzlauer Berg getroffen, dessen Namen zu nennen mir die Diskretion verbietet. Zunächst kamen zwei Sicherheitsmenschen mit breiten Schultern und Knopf im Ohr in den Gastraum und bauten sich links und rechts des Durchgangs auf. Dann kamen Thomas de Maizière und ein Gast, die durch den Raum in ein Hinterzimmer gingen. Es folgten zwei weitere Security-Gestalten – dann war wieder Ruhe. (Danke, Nadine!)
In den Bonetti-Laboratorien wird derzeit fieberhaft an einem Verfahren gearbeitet, mit dem man arme Leute auf Puppengröße schrumpfen lassen kann. Dann brauchen diese Menschen auch weniger Nahrung und Wohnraum.
Der BER ist ein Kinderflughafen. Hier fliegen keine echten Flugzeuge. Männer wie Wowereit, Mehdorn oder Dobrindt haben nur gespielt. Die Ruine wird dereinst als Mahnmal der Schande gelten. Deutsche Ingenieurs- und Baukunst haben es nicht vermocht, die Hauptstadt mit einem modernen Flughafen auszustatten.
Wen man vom Mangel spricht, dann meistens von Geld oder anderen materiellen Dingen. Niemand spricht von seinem Mangel an Geist, an Mitgefühl, an Verständnis. Wir können unsere Dummheit, unsere Kälte und unsere Ignoranz nicht spüren, wir besitzen kein Organ, das den Schmerz über die eigenen Unzulänglichkeiten empfinden kann.
Er schneidet Spaghetti immer noch mit der Schere klein und findet Peter Frankenfeld gut: Django Unchanged.
Ich kenne Menschen, die mehrere Musikinstrumente spielen können, aber noch nie ein Stück komponiert haben. Menschen, die regelmäßig in Kunstausstellungen gehen, aber noch nie ein Bild gemalt haben. Die regelmäßig das Feuilleton und die Werke der Weltliteratur lesen, aber selbst keinen einzigen Text schreiben. Es sind leere Menschen, die ich nie verstehen werde.
Restauranttipp: „Zum Lotus-Broiler“ in Berlin-Friedrichshain. Tibetanisch-säxische Fusion-Küche vom Feisten.
Wenn Automatisierung und Digitalisierung die Arbeitswelt der Zukunft beherrschen, stellt sich natürlich die Frage, inwiefern Bildung überhaupt noch notwendig ist. Für den Konsum oder einfache manuelle Tätigkeiten, die aufgrund ihrer geringen Werthaltigkeit nicht von Maschinen ausgeübt werden, braucht der Mensch keine Bildung. Bildung ist im Gegenteil für die Herrschenden gefährlich, wenn der Gebildete nicht durch Erwerbsarbeit beschäftigt und mental ermüdet wird. Bildung braucht die Gesellschaft dann nur noch auf der Steuerungsebene an der Spitze der Hierarchie (Management, Politik) und bei der Weiterentwicklung, Steuerung und Wartung der Maschinen. In der Wissenschaft sieht man die Reduktion des Bildungssystems auf einen notwendigen Kern schon heute: Natur- und Ingenieurwissenschaften werden gefördert, Geistes- und Sozialwissenschaften sind zur Bedeutungslosigkeit degradiert worden und vegetieren im Bällchenbad der Autoreferenz vor sich hin.
Ich habe gerade eine Erdbeermilch der Edeka-Hausmarke „Gut & Günstig“ getrunken, in der sage und schreibe 0,3 Prozent Erdbeersaft enthalten war. Bei 500 ml sind das also genau 1,6 ml, d.h. ein Tropfen.
Meine Mutter konnte noch einen neuen Gummizug in meine Unterhosen einnähen. Wer besitzt hierzulande und heutzutage noch diese handwerkliche Fähigkeit?
Wir brauchen nicht noch eine weitere Sorte Bionade, sondern den Warp-Generator.
TV-Tipp: „Die toten Augen von Berlin“. Doku über Thomas de Maizière. Sonntag, ARD, 22:45 Uhr. In einer Nebenrolle spielt Heiner Lauterbach einen armenischen Urologen.
Eurythmics - Sex Crime. https://www.youtube.com/watch?v=IcTP7YWPayU

Montag, 27. März 2017

Ein weiterer Spitzenwitz

Donald Trump sitzt abends ganz trübsinnig in seinem Bademantel vor dem Kamin und drückt sein Atomköfferchen an sich. Sein Gesetz zu Abschaffung von Obamacare ist gerade im Parlament gescheitert.
Stephen Bannon kommt zu ihm und sagt: „Angela Merkel hat eben angerufen und ihr Beileid ausgesprochen. Theresa May hat auch angerufen, um Ihnen ihr Beileid auszusprechen.“
Trump sieht ihn traurig an und fragt: „Was ist mit Putin? Hat er mir auch sein Beileid ausgesprochen?“
„Ja. Schon zwei Stunden vor der Abstimmung.“

Witz des Monats

In Wichtelbach sind fünf Asylbewerber aus Papua-Neuguinea untergebracht. Da sie Menschenfresser sind, wird ihnen vom Bürgermeister eingeschärft, keine Einwohner zu verspeisen. Die Männer versprechen es.
Nach einem Monat kommt der Bürgermeister in ihre Unterkunft. „Ich bin sind sehr zufrieden mit Euch. Aber gestern ist die Putzfrau verschwunden. Jetzt ist es total schmutzig in meinem Büro. Ihr wisst nicht zufällig, was passiert ist?“
Die Menschenfresser schütteln die Köpfe und schwören, dass sie nichts von der Sache wüssten.
Als der Bürgermeister gegangen ist, fragt einer der Männer in die Runde: „Wer von euch war es?“
„Ich habe sie gefressen“, sagt einer von ihnen kleinlaut.
„Du Idiot! Den ganzen Monat haben wir Meinungsforscher, Immobilienmakler, Homöopathen und Verwaltungsbeamte gefressen und niemand hat es gemerkt. Warum musstest du unbedingt die Putzfrau fressen?“

Dienstag, 7. März 2017

Tapetenwechsel

Vita longa, ars brevis
Kennen Sie Jan Philipp Möller? Nein? Ganz sicher? Sie kennen ihn. Unter diesem Pseudonym hat Goethe 1786 seine berühmte italienische Reise angetreten. Andy Bonetti begibt sich unter dem Pseudonym Matthias Eberling ebenfalls auf Reisen.
Ab 7. März bin ich auf Informationsdiät. Langjährige Leser dieses Blogs kennen das Procedere. Keine News, keine Mails, keine Blogs. Man bekommt wieder den richtigen Abstand zu den Dingen, die persönlich wichtig oder unwichtig sind. Nahes kommt näher, Entferntes entfernt sich. Am 27. März ist Bonetti Unlimited Success (BUS) wieder online.

Montag, 6. März 2017

Ein äußerst merkwürdiger Traum

Ich bin arbeitslos und soll eine Fortbildung machen. Da aber alle Plätze in regulären Fortbildungen derzeit besetzt sind, soll ich stattdessen zwei Wochen lang auf eine Dorfschule gehen. Da es in dem Dorf keine Unterkunft gibt, miete ich in einer kleinen Pension in der Stadt unweit des Dorfes ein Zimmer. Der Besitzer der Pension ist ein riesiger Mann, etwa zwei Meter groß, aber er kann sich kaum noch bewegen. Er humpelt vor mir, als er mir das Zimmer zeigt. Ich frage ihn nach dem genauen Weg ins Dorf und er macht mir eine Skizze.
Am Morgen des ersten Tages mache ich mich auf den Weg. Es sind etwa fünf Kilometer. Ich folge einer stark befahrenen Hauptstraße und durchquere ein Industriegebiet. Eine Landstraße führt zu einem Fluss hinunter, wo es eine Fähre gibt. Ich warte eine Weile und überquere den Fluss. Erschreckt stelle ich fest, dass es schon zehn Uhr ist. Der Unterricht hat längst angefangen. Außerdem fällt mir ein, dass ich vergessen habe, in der Pension zu frühstücken.
Am anderen Ufer macht die Fähre in einem uralten, offenen Bootsschuppen fest. Ich gehe ins Dorf und frage einen Jungen, der mit seinem Fahrrad an einem Zebrastreifen steht, nach dem Weg zur Schule. Er schüttelt den Kopf und geht. Dann treffe ich eine junge Frau und stelle ihr die gleiche Frage. Sie antwortet, sie kenne sich hier im Dorf nicht aus. Sie wäre hier, um Ausgrabungen zu machen. Aber sie kämen nicht voran, weil ihnen Personal fehlt.
Ich nehme mir vor, in der Schule gleich mit dem Direktor zu sprechen. Es ist doch idiotisch, mich zwei Wochen in den Schulunterricht zu stecken. Ich habe schließlich studiert. Außerdem könnte ich doch bei den Ausgrabungen helfen. Aber ich finde die Schule nicht. Wütend und hungrig mache ich mich auf den Rückweg zur Pension. Erst spät am Abend komme ich dort an, empfangen von den misstrauischen Blicken des Besitzers. Ein Schuldirektor und ein Sachbearbeiter vom Job-Center hätten für mich angerufen. Vor ihm auf dem Tresen liegt eine große Karte der Umgebung, die er schon aufgeschlagen hat.
Grauzone – Film 2. https://www.youtube.com/watch?v=yoNN1GdNC9c

Sonntag, 5. März 2017

Auf vielfachen Wunsch: Bild des Monats


Andy Bonetti bereitet sich auf das Überqueren einer Straße vor.

P.S.: Mister Bonetti gibt es demnächst auch bei Twitter, Facebook, Snapchat, Youtube, Netflix und Instagram. Außerdem wird eine Steadycam live aus seinem Darm über die aktuellen Verdauungsvorgänge berichten.

Samstag, 4. März 2017

Die Kunst der Politik

Wenn keiner von uns Ahnung von Kunst hätte, würden wir wahrscheinlich das Geschmiere von Dreijährigen für große Meisterwerke halten. Irgendwann würden unsere Museen mit dem Geschmiere von Dreijährigen gefüllt sein. So geht es auch in der Politik. Die Bürger sind ahnungslos, interessieren sich nicht wirklich für die politische Praxis und die langfristigen Anforderungen der Gesellschaft. Als kämen die Probleme wie Naturkatastrophen über uns.
Wenn ich heute eine Lehrerin brauche, bekomme ich sie in fünf Jahren, weil die Ausbildung so lange dauert. Und ich bekomme sie als Referendarin, also als Berufsanfängerin, die ihre Ausbildung noch abschließen muss. Wenn ich heute einen Polizisten brauche, bekomme ich ihn in drei Jahren – und dann kennt er die Pappenheimer in seinem Kiez noch gar nicht. Wir haben exakt die Politiker und die Politik, die wir verdient haben. Weil wir zu faul sind, uns um unsere gemeinsamen Angelegenheiten zu kümmern.
Woher soll denn das Geld für eine funktionierende Schule oder eine ordentliche Verwaltung kommen, fragen wir und heben den Blick zum Himmel wie die Menschen des Mittelalters. Ganz einfach: Wir holen uns das Geld dort, wo es schon ist. Bei den Wohlhabenden. Als Kohl Kanzler wurde, war der Spitzensteuersatz auf das Einkommen bei 56 Prozent. Er senkte es später auf 53 Prozent, Schröder auf 43 Prozent. Das sind 13 Prozent weniger. Macht bei einem Jahresbruttoeinkommen von einer Million immerhin 130.000 Euro Differenz. Davon kann man schon wieder drei Lehrer bezahlen. Rechnet man die Differenz auf das ganze Erwerbsleben des „Besserverdienenden“ (was für ein idiotisches Wort hat man uns da anerzogen – als ob diese Leute etwas Besseres wären, nur weil sie sich dafür halten) hoch, kann man eine neue Grundschule bauen.
Prince – Computer Blue. https://www.youtube.com/watch?v=6KJA4PVZvQk
Zum Thema: https://kiezschreiber.blogspot.de/2011/10/neuanfang.html