Montag, 28. Februar 2022

Sieg oder Niederlage?

 

Was passiert, wenn Russland den Krieg gewinnt? Wird dann der Westen die Klitschko-Mudschaheddin mit Waffen, Munition und Informationen über russische Standorte und Truppenstärken unterstützen? Gibt es einen jahrelangen Partisanenkrieg? Werden die Sanktionen gegen Russland dauerhaft sein? Olle Schmidt hat Russland mal als „Obervolta mit Raketen“ bezeichnet. Das Land hat keine nennenswerte Auto- oder Chipindustrie, es ist auf den Export von Öl und Gas angewiesen. Putin hätte nicht viel Freude an seinem neuen Besitz.

Was passiert, wenn Russland den Krieg verliert? Dann kommt die Ukraine in die NATO und die EU. Deutsche Truppen stehen wieder kurz vor Moskau und Putin wird gestürzt.

Alles sehr unerfreulich.

P.S.: Warum beginnt Putin donnerstags einen Krieg und bietet am darauffolgenden Montag Friedensverhandlungen an? Damit er behaupten kann, er hätte den Frieden gewollt, aber die Ukraine hätte die Verhandlungen platzen lassen. Genau das werden die Querdenker und Putinversteher demnächst mit Triumphgeheul verkünden. Ich freu mich schon.

Samstag, 26. Februar 2022

Das Putin-Fieber geht um

 

Werden denn jetzt alle verrückt? Nach dem russischen Präsidenten meldet jetzt auch der deutsche Bundespräsident historisch gegründete Gebietsansprüche an. Im Namen des deutschen Volkes fordert er Schlesien, Hinterpommern, Ostpreußen, Norwegen, die Ukraine, Stalingrad und El-Alamein zurück. Auch in London, Paris und Madrid ist man hellhörig geworden. Aufgepasst, Afrika und Lateinamerika!

It’s the philosophy, stupid


„Das ist gar kein Krieg, das ist nur eine Grippe.“ (Hobby-Philosoph Erdmann)

Wer bei der russischen Invasion allein auf geopolitische Argumente setzt, hat einen verkürzten Blick auf die Situation. Es gab und gibt keinen Kausalnexus zwischen der strategischen Lage Russlands und der Ukraine. Putin hatte die Wahl. Er hat sich für den Krieg gegen ein Land entschieden, das ihn nicht bedroht hat. Er hätte es bei der Neutralität der Ukraine belassen können.

Mit dem „Recht des Stärkeren“ wurde in der Geschichte schon viel begründet. Das ist das geistige Fundament jeder Form von Imperialismus und Kolonialismus. Man braucht angeblich Lebensraum für das Volk. Damit wurde der Genozid an der amerikanischen Urbevölkerung legitimiert, die auf wertvollem Acker- und Bauland einfach nur herumgeritten ist.

Hitler propagierte die Idee vom „Volk ohne Raum“. Er selbst hatte den Hunger nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg erlebt und kannte die Situation in der Weltwirtschaftskrise ab 1930. Die deutsche Bevölkerung wuchs, aber nicht die Ackerfläche. Neue Gebiete im Osten mussten erobert und entvölkert werden, um Platz für deutsche Siedler, für arisches Leben zu schaffen.

Man kann alles mit Geopolitik begründen, mit potenziellen Bedrohungen und alternativlosen Notwendigkeiten. Wer denkt, seine politischen Interessen nur mit Gewalt durchsetzen zu können, wer glaubt, nur leben zu können, wenn er zuvor Indianer, Juden, Araber oder Ukrainer ermordet, hat sich von der Zivilisation verabschiedet. Man kann sich über Begriffe wie Menschenwürde gerne lustig machen. Aber die Würdelosigkeit der Großmächte – aktuell China, Russland, USA – ist einfach nur erbärmlich.

 

Mittwoch, 23. Februar 2022

T5

 

The Tremendous Time Travelling Tourism Company, kurz T5 genannt, schickt Menschen, die sich in besonderem Maße um ihr Land verdient gemacht haben, nach ihrer Pensionierung an einen Ort in der Zukunft, wo sie ihren Lebensabend verbringen können. Sie dürfen die Zeitlinie nicht verändern, daher sind Reisen in die Vergangenheit verboten.

Es ist der 22.2.2042. Andy Bonetti ist gerade in seinem Kraftfeld erwacht, das wesentlich bequemer und besser für seinen Rücken ist als ein Bett. Der Bewegungsmelder registriert, dass er aufsteht, und aktiviert die Kaffeemaschine und den Toaster.

Bonetti begibt sich ins Badezimmer und setzt sich auf die Toilette. Er hat seine Datenbrille auf und sieht die neuesten Nachrichten. Bundeskanzler Scheuer hat endlich die Mautpflicht durchgesetzt. Sie gilt für alle Nichtbayern und sicherheitshalber auch für Leute, die gar kein Auto haben. Hundert Euro im Monat. Das ist nicht viel. Dafür bekommt man heutzutage gerade mal ein Sixpack Bier.

Bier ist Bonettis großes Altersthema. Er hat den Buchsta-Bier-Wettbewerb erfunden, der auf Netflix läuft und ein weltweiter Erfolg ist. Für jedes richtig buchstabierte Wort muss der Kandidat ein kleines Bier trinken, was den Wettbewerb zwischen den acht Kandidaten sehr spannend macht. Der Gewinner bekommt eine Million Euro. Davon kann man sich schon einen kleinen Tesla kaufen. Seither weiß jedes kleine Kind, wie man Chrysanthemen und Hyazinthen buchstabiert.

Nach dem Frühstück beschließt er, ein wenig spazieren zu gehen. Er sieht auf seine Smartwatch. Draußen ist schönes Wetter. Obwohl es erst neun Uhr ist, beträgt die Temperatur schon 25 Grad im Schatten. Nicht schlecht für einen Februarmorgen. Es regnet nicht. Es hat seit fünf Monaten nicht mehr geregnet. Vor dem Haus wartet bereits das Fluchtaxi, das er sich bestellt hat.

„In den Tiergarten, du dämliches Arschloch.“

Der Wagen reagiert nicht und fährt los. Es gibt längst keine Taxifahrer mehr. Im Fluchtaxi kann man seine ganzen Aggressionen verbal abreagieren. So wie früher, als man noch selbst am Steuer saß.

Im Tiergarten spaziert er durch den Palmenhain. Riesige Kakteen säumen den Landwehrkanal. Er setzt sich auf eine Bank und bestellt sich einen Cappuccino. Fünf Minuten später kommt eine Drohne und bringt ihm sein Getränk. Er aktiviert einen winzigen Knopf im Ohr und hört die Nachrichten. Heute wird von Bürgermeisterin Yilmaz das vierte Braunkohlekraftwerk eröffnet, das die Fünf-Millionen-Stadt Berlin mit Strom versorgen soll. Wladimir Putin droht, in die Ukraine einzumarschieren, falls das Land in die NATO eintreten wird. Der US-Präsident liegt im Wachkoma und reagiert nicht.

Das Mittagessen nimmt Bonetti in einem Restaurant im Hipsterbezirk Reinickendorf ein. Ein Tofu-Schnitzel mit Tofu-Pommes. Dazu ein Glas Soja-Wein. Seit er in der Zukunft lebt, hat er zwanzig Kilo abgenommen. Er ist so schlank, dass er anfängt, sich Sorgen um seine Figur zu machen.

Nachmittags schreibt er ein Sonett und macht dann ein Nickerchen. Am Abend lässt er sich zur Allee der Kosmonauten fahren. Die Neonlichter der Bars und Clubs schweben in der Dunkelheit. Viele junge Leute haben eine Sideshow-Bob-Frisur, die gerade in Mode ist. Dazwischen sieht man ein paar Brandenburger. Sie tragen ausgeblichene Latzhosen, haben die Daumen hinter die Träger geklemmt und spucken dicke Batzen Kautabak auf den Bürgersteig.

Bonetti betritt die „Glänzende Zukunft“ und bestellt sich eine Marzahnirinha. Ein Shot Weinbrand, ein Shot Jägermeister, mit Rhabarbersaft aufgegossen und in ein Glas mit zerstoßenem Eis geschüttet. Irgendwie hat er sich das Leben im Jahr 2042 anders vorgestellt.

P.S.: In der nächsten Folge von T5 reist Bonetti ins Jahr 802.701. Wird er ein Morlock oder ein Eloi sein? 

The Cure - M - YouTube

 

 

Dienstag, 22. Februar 2022

Das verkaufte Haus

 

Ein Telefonat mit Anton Kiesewetter (A) und Dirk Elversberg (B).

A: Kiesewetter.

B: Guten Tag, Elversberg am Apparat.

A: Herr Elversberg, schön von Ihnen zu hören. Wie geht es Ihnen?

B: Also, es geht um Folgendes …

A: Sind Sie denn schon eingezogen?

B: Wie sind gerade dabei. Und, ehrlich gesagt, doch etwas überrascht.

A: Ja, das Haus ist groß und voller Überraschungen.

B: Genau deswegen rufe ich an.

A: Sie wissen ja, dass ich Ihnen das Haus möbliert verkauft habe. So steht es im Kaufvertrag.

A: Jaja.

B: Sie haben beim Notar den Vertrag unterschrieben. Laut Grundbuch sind Sie jetzt der Eigentümer. Mit allen Rechten und Pflichten.

A: Jaja.

B: Im notariell beglaubigten Vertrag steht, dass Sie das komplette Inventar übernehmen. Die Ölgemälde im Wohnzimmer, den Biedermeier-Sekretär, das Porzellan und die Kristallgläser. Aber eben auch das Gerümpel im Keller.

A: Das weiß ich.

B: Worum geht es also?

A: Um die Frau im Keller.

B: Welche Frau?

A: Eine ältere Dame. So um die achtzig.

B: Ach so. Das ist meine Mutter.

A: Ja, sie ist sehr nett.

B: Ihr Name ist Gisela.

A: Aber was soll ich mit ihr machen?

B: Sie verträgt nur Schonkost. Abends ziehen Sie ihr eine Windel an, bevor sie ins Bett gebracht wird.

A: Ich soll Ihre Mutter ins Bett bringen?

B: Natürlich. Und denken Sie an ihre Tabletten. Sie sind im Badezimmerschrank, neben den Windeln.

A: Ich verstehe nicht …

B: Das wird schon. Bei schönem Wetter schieben Sie meine Mutter einfach in ihrem Rollstuhl in den Garten. Das mag sie.

The Thompson Twins - Love On Your Side (Rap Boy Rap) - YouTube

 

Sonntag, 20. Februar 2022

Das große Vogelsterben

 

2019 wurden in Deutschland 704 Millionen Hühner, Enten, Puten, Truthähne und Gänse geschlachtet. Über hundert Millionen Vögel sterben jährlich an Fensterscheiben, Millionen durch Kollisionen mit Autos und Zügen. Weitere Millionen werden von Katzen gefressen oder sterben an einem Stromschlag. Dazu kommen Pestizide, Fungizide und das Artensterben. Aber wir können keine Windräder bauen, weil dort angeblich massenhaft Vögel sterben. Die Statistik spricht eine andere Sprache. Ich habe mich bei drei Windrädern auf dem Kandrich am Rhein einmal genauer umgesehen. Ich habe keinen toten Vogel entdeckt. Aber wer interessiert sich schon für Empirie, wenn die Uschi aus dem Nachbarhaus was erzählt, das sie von der Gabi im Nachbardorf gehört hat. Aber Chicken Nuggets fressen, bis der Arzt kommt.

Samstag, 19. Februar 2022

NRW-Abi

 

Ist die Bundesrepublik Deutschland

a)    Jünger als fünfzig Jahre?

b)    Älter als fünfzig Jahre?


Wer war zuletzt vor dem FC Bayern deutscher Fußballmeister?

a)    Rot-Weiß Essen

b)    Borussia Dortmund


Ist das Licht

a)    Schneller als ein Ferrari?

b)    Langsamer als ein Ferrari?


Wer ist derzeit Bundespräsident?

a)    Rudi Carell

b)    Ed von Schleck


Wenn Sie nach zwölf Uhr eine Weißwurst essen, wie viele Minuten Verspätung hat dann der ICE von München nach Berlin?


Wer nimmt einen milden Verlauf?

a)    Omikron

b)    Der Winter

c)     Beide


Wo steht der Eiffelturm?

a)    Paris

b)    Bad Neuenahr-Ahrweiler


Was ist dein Lieblingsgummibärchen? Begründe deine Entscheidung mit mindestens fünfzig Worten.

Propaganda Sorry For Laughing(original Lp mix) - YouTube

 

Mittwoch, 16. Februar 2022

Operation Dirty Lion

 

Die beiden Männer beobachteten das Haus aus etwa fünfhundert Meter Entfernung. Sie hatten Tarnkleidung an. Einer hatte ein Fernglas, der andere saß neben ihm und notierte die Vorgänge, die ihm vom Späher berichtet wurden. Zweihundert Meter hinter ihnen, in einem Wald, hatten sie ihr Tarnzelt aufgeschlagen. Seit fünf Tagen waren sie jetzt auf ihrem Posten. Nachts wechselten sie sich ab.

Zwischen ihrer Position in einem Gebüsch am Waldrand und der Hinterseite des Hauses lagen ein Acker und der Garten, ein gepflegter Rasen und ein Blumenbeet, das die Terrasse einrahmte. Die Sonne ging auf.

„Das Licht im Bad geht an“, sagte der Späher.

„7 Uhr 12. Licht im Bad geht an“, sagte der andere Mann und notierte es.

„Das Licht geht wieder aus“, sagte der Späher vier Minuten später. „Zielperson bewegt sich in Richtung Küche. Küchenlicht geht an.“

Alles wurde penibel protokolliert.

Um 7 Uhr 49 verließ die Zielperson das Haus und stieg in seinen BMW X7. Zeit für die Übergabe. Der Schreiber zückte ein Walkie Talkie. Sie hatten keine Handys dabei, um von möglichen Gegnern nicht geortet zu werden.

„Hier Team Vorsicht. Zielperson fährt los.“

Team Hoffnung nahm die Verfolgung auf. Sie konnten hundert Meter Abstand halten, denn der Wagen der Zielperson war mit einem Peilsender präpariert.

Um 8 Uhr 37 fuhr der Wagen in eine Tiefgarage. Team Hoffnung fuhr den Wagen in ein Parkhaus und ging zum Hotel, das dem Bürogebäude gegenüberlag, in dem die Zielperson arbeitete. Die beiden Männer hatten ein Zimmer gemietet, von dem man das Büro der Zielperson beobachten konnte.

Um Punkt neun Uhr brachte die Assistentin der Zielperson eine Tasse Kaffee und mehrere Mappen. Im Laufe des Vormittags telefonierte die Zielperson vier Mal, aber sie verließ das Büro nicht. Es schien wieder ein ganz normaler Tag zu werden. Routine. Feste Abläufe.

Aber eines Tages würde die Zielperson einen Fehler machen. Sein Vorgänger nannte es „Schmutzeleien“. Dann würde das dritte Team übernehmen. Team Wahlniederlage.

Astrud Gilberto and Stan Getz - The Girl From Ipanema (1964) LIVE - YouTube

 

Montag, 14. Februar 2022

Das Huhn und die Bombe

 

Nachdem wir es in den letzten zwanzig Jahren in Europa hauptsächlich mit Terrorismus und daher mit asymmetrischen Akteurskonstellationen zu tun hatten, rückt mit dem Ukraine-Konflikt die klassische Konfrontation zweier gleichstarker Akteure in den Mittelpunkt, die aus dem Kalten Krieg hinlänglich bekannt ist. Zwei Konkurrenten wollen das gleiche: einen Staat, der bisher nicht zu ihrem Machtbereich gehört und genau in der neutralen Zone zwischen den NATO-Staaten und Russland liegt.

Es gibt prinzipiell vier Möglichkeiten:

a)    Die Ukraine wird NATO- und EU-Mitglied

b)    Die Ukraine wird Vasall Russlands wie Belarus

c)     Der Status quo ante bleibt erhalten

d)    Russland annektiert die Republiken Donezk und Luhansk, die von russischen Separatisten kontrolliert werden

Welche Interessen gibt es?

Russland: Es gibt keine ökonomischen Interessen in der Ukraine. Das Land verfügt über keine Rohstoffe oder nennenswerte Industrien. Auch die Erweiterung des Territoriums ist keine Option. Russland ist das größte Land der Erde. Es geht um eine Machtdemonstration von Präsident Putin nach innen und nach außen. Der NATO-Beitritt der Ukraine soll verhindert werden. Die Bedrohung durch die NATO schließt die Reihen im eigenen Land und schwächt die Opposition.

NATO: Erweiterung der Einflusssphäre nach Osten und weitere Einkreisung Russlands. Wäre die Ukraine Mitglied des Bündnisses, wären NATO-Panzer und Flugzeuge nur noch 450 km von Moskau entfernt. Außerdem legitimiert der Konflikt neue Rüstungsausgaben. Krieg und Kriegsgefahr sind das Lebenselixier des Militärs.

Spieltheoretisch handelt es sich bei dem Konflikt um ein Chicken Game. Es geht darum, wer als Erster aufgibt. Dabei hat Russland die besseren Karten. Erstens agiert Putin, während seine Gegner nur reagieren. Zweitens verfügt er über die sogenannte Eskalationsdominanz, weil er mehr zu verlieren hat als seine Gegner. Drittens verfügt er in der Region über wesentlich mehr Militär. Biden hat läppische zweitausend Soldaten in den osteuropäischen NATO-Raum verlegt.

Prognose:

Putin wird dieses Spiel gewinnen. Er hat alle Trümpfe in der Hand, der NATO-Chef und der US-Präsident haben bereits signalisiert, dass sie nicht in der Ukraine eingreifen werden. Ähnlich wie Frankreich 1939 beim Polen-Feldzug des Deutschen Reiches nicht aktiv wurde („Mourir pour Danzig?“), wird der Westen die Ukraine nicht verteidigen. Putin wird klug genug sein, das gute Blatt nicht zu überreizen. Besetzt er die komplette Ukraine, hat Russland ein zweites Afghanistan am Hals. Greift er im Baltikum an, kommt es zum Bündnisfall und zum Krieg mit der NATO. Es stellt sich auch hier die Frage, welches Interesse Russland am Baltikum haben sollte. Bleibt als mögliche Kriegsbeute die Republik Donezk im Südosten der Ukraine. Sie gehört allerdings de facto schon zu Russland.

Daher tendiere ich zu Möglichkeit c: Status quo ante. Keine NATO-Beitrittsoption für die Ukraine. Rückzug der russischen Gruppen aus dem Grenzgebiet. Die Ukraine als Cordon sanitaire zwischen den Machtblöcken.

P:S.: Die CIA behauptet, am 16. Februar beginne der russische Einmarsch. Als ob Putin seinem neuen besten Freund Xi die Olympia-Show versauen würde. Bonetti Media hat bessere Analysten als die Virginia Farm Boys aus Langley.

 

Freitag, 11. Februar 2022

Bonettis Russland-Connection

 

Sein richtiger Name ist Wassili Gromenko, aber alle nennen ihn nur Wabbel Gee. Stellen Sie sich einen Stapel aufgepumpter Schläuche von Traktorreifen vor, darüber wie eine Zeltplane ein dunkelblauer Maßanzug. Etwa zwei Meter groß, Glatze und Hände wie Bratpfannen. Dazu ein gutmütiges Lachen mit fingerbreiten Zahnlücken. Das ist der Boss der Wichtelbacher Russenmafia. Glücksspiel, Schwarzbrennerei, Frostitution, dies das.

Wir sind zum Abendessen im Pelmeni-Keller gegenüber dem Feuerwehrhaus verabredet. Als ich an seinen Tisch komme, ist Wabbel Gee gerade dabei, sich ein Boeuf Stroganoff reinzuschaufeln. Es dauert eine volle Minute, bis er den Mund leer hat und mich begrüßen kann.

„Andy, setz dich doch“, sagt er mit diesem ehrfurchteinflößenden russischen Großmachtakzent. „Ich hatte Hunger und hab schon mal angefangen.“

„Bringt ihm hundert Gramm vom Besten“, ruft er dem Kellner zu.

Wenige Augenblicke später steht ein Wasserglas mit Beluga Wodka vor mir.

„Wie laufen die Geschäfte, mein Freund?“

Ich erzähle ihm von unserer erfolgreichen Medienkampagne „Impfen statt Schimpfen“, die wir für hundert Millionen Euro für die Bundesregierung entwickelt haben. Jetzt stehen sogar die Querdenker vor den Impfzentren Schlange.

„Hast du ein paar neue Infos über Russland?“ frage ich ihn.

Wabbel Gee lacht aus vollem Halse. „Ja, exklusiv für dich. Das glaubst du mir nie. Bestell dir die Pelmeni mit Pilzfüllung. Die sind wirklich gut.“

Ich bestelle die Pelmeni, er Warenki mit Sauerkirschfüllung und Schmand.

Dann erzählt er: „Die russischen Manöver an der ukrainischen Grenze sind ein gigantisches Ablenkungsmanöver. Was sollte Putin mit der Ukraine anfangen? Da gibt es nichts zu holen.“

„Von was lenkt er denn ab?“ will ich wissen.

„In Wirklichkeit wird Putin Alaska angreifen. Links antäuschen, rechts vorbei. Kennt man vom Fußball. In Alaska gibt es Öl und andere Rohstoffe. Oder er holt sich Hawaii. Pearl Harbour 2.0, verstehst du?“ 

Den Rest des Abends unterhalten wir uns über Fußball, Spirituosen und Autos.

Nach dem Essen erhebt er sich schwerfällig und nickt den beiden Bodyguards, die an der Bar warten, kurz zu. Sie erheben sich und er verlässt mit ihnen das Lokal. Natürlich muss er als Besitzer des Restaurants nicht bezahlen. Ich auch nicht. Ich bestelle mir zur Feier des Tages noch einmal hundert Gramm. Meine Schlagzeile für morgen ist sicher.

Paul Hardcastle - Nineteen (Destruction Mix) - YouTube

Donnerstag, 10. Februar 2022

Zur erotischen Wirkung von Versandhauskatalogen auf die Boomer-Generation

 

Blogstuff 672

“We are such stuff as dreams are made on, and our little life is rounded with a sleep.” (William Shakespeare)

Wo bleibt die Überschrift „Putin gibt Vollgas“?

Hätten Sie’s gewusst? Eine ganze Avocado hat so viel Kalorien wie ein Liter Bier.

Wenn die klimabewegte Jugend demonstriert, passiert nichts. Wenn die Linke demonstriert, marschiert die Knüppelgarde auf. Aber wenn der Mittelstand auf die Straße geht, in Schlips und Kragen, die Rentner, die Besserverdienenden, dann hat die Politik plötzlich Verständnis. Darf es ein bisschen weniger Maske beim Metzger sein, wann wollen Sie wieder ins Schweinebraten-Gasthaus, Herr Kommerzienrat?  

Wenn man aus dem Wort Ukraine das K, das I und das E streicht, bleibt Uran. Wirklich nur Zufall?

Was macht eigentlich Heinz Pralinski? Er schreibt gerade die Biographie von Renko Schlick, einem lettischen Lacrosse-Spieler, der als erster Mensch in einem Kajak den Finnischen Meerbusen überquert hat. Nachts.

Warum wurde bei Scholzens Vereidigung zum Kanzler nicht „Winds of Change“ gespielt?

Ich habe jetzt die Lösung gefunden, wich ich meinen Lebenswandel endlich klimaneutral gestalten kann. Jeden Monat stelle ich mich einmal mit meiner Uzi auf eine Autobahnbrücke und erschieße einen SUV-Fahrer.

Im Internet sind Bots unterwegs – und im menschlichen Körper Nano-Bots. Wie verbreiten die imperialistischen US-Konzerne diese Nano-Bots? Über die Impfung? Nein, es ist viel einfacher. Coca-Cola, Pepsi, McDonald’s, Burger King. Alle Leute, die irrelevant sind, werden am 1. März abgeschaltet.

Ich sehe die Olympischen Spiele in China als Fortschritt. Man fährt dort Ski, wo es keinen Schnee gibt. 2030 sind die Winterspiele in Holland. Die Dünen mit ihren sanften Neigungen sind wie geschaffen für Abfahrtsläufe und Slalom.

Brutale US-Sanktionen: Lebenslanges Eintrittsverbot für Putin in Disneyland. Russen bekommen keine Butterfinger mehr geliefert.

Habe ich eigentlich schon mal erzählt, dass ein Android aus der Zukunft versucht hat, mich umzubringen?

Geheimplan der Bonettistas im Internet aufgetaucht. Sie installieren eine grausame Marionetten-Regierung in Berlin und wollen Internierungslager für FDP-Politiker und BILD-Redakteure einrichten.

2021 war Scheuer der peinlichste Deutsche, 2022 ist es schwer: IOC-Bach, Gazprom-Gerd oder Ex-Papst Ratzinger?

At Night - YouTube

Mittwoch, 9. Februar 2022

Das Foto

 

Es war ein fantastisches Shooting. Diesmal hatte ich als Kulisse die Lichtung in einem Laubwald in der Eifel gewählt. Die Sonne schien, der Himmel war klar – und sie war einfach großartig. Braungebrannt. Sexy. Splitternackt.

Der Bulettenkalender 2023 würde großartig werden. Eine Bulette kann man auf vielfältige Weise in Szene setzen. Auf einem Teller mit Kartoffelsalat, dazu eine Kerze und ein Blumenbouquet. Oder ganz klassisch als Bulettenbrötchen. Kleine Buletten mit Spaghetti. Snack-Buletten an einem bunten Partybuffet. Oder eben Bulette pur – in der Natur.

Nachdem ich am Abend die Bulette, gepimpt mit Curryketchup, verspeist hatte, sah ich mir auf dem Bildschirm die Fotos an. Sehr gut. Gestochen scharf. Bei dem Licht aber auch keine große Kunst. Den Rest würde ich mit Photoshop erledigen. Dann sah ich im Hintergrund von Bild 3 einen Menschen.

Ich wählte den Bildausschnitt und vergrößerte. Ein Mann in einem Nadelstreifenanzug. Ich konnte deutlich seine Adlernase erkennen. Vor ihm kniete ein Mann. Der Mann im Anzug stand hinter ihm und hielt ihm eine Pistole an den Kopf. Das Opfer hatte ihm den Rücken zugewandt. Es sah nach einem Genickschuss aus. Eine Hinrichtung.

Auf Bild 4 sah der Mann mit der Pistole mich an. Offenbar hatte er mich bemerkt. Ich erkannte ihn. Lorenzo di Vendetta, der Pate von Koblenz.

Plötzlich wurde an meine Wohnungstür geklopft.

Ich blieb wie erstarrt sitzen.

Das Klopfen wurde lauter, ungeduldiger.

Ich stand leise auf. Vor dem Haus stand ein schwarzer Porsche Cayenne. Am Steuer saß ein Mann mit schwarzem Anzug und schwarzer Sonnenbrille.

Dann hörte ich Hammerschläge. Ich blieb am Fenster stehen und sah, wie wenig später zwei Männer in schwarzen Anzügen in den Wagen stiegen. Sie fuhren weg.

Als ich die Tür öffnete, sah ich, dass sie mir eine Bulette unter den Spion genagelt hatten. Ich musste hier weg. Das war klar.

Yello "Cuad El Habib" - YouTube

 

Dienstag, 8. Februar 2022

1984 – Die Digitalisierung der deutschen Schulen beginnt

 

„Computer in alle Schulen, alle Schüler an die Computer - dieses Programm wollen die Kultusminister zügig verwirklichen. Noch fehlt es an Rechnern und an Lehrern, die mit ihnen umgehen können.“ (SPIEGEL-Titelstory 47/1984: Alarm in den Schulen: Die Computer kommen)

Inkompetenzverschleppung. Das ist der Fachausdruck für das politische Versagen im Bildungsbereich. 1984 gab es an meinem Gymnasium einen Computer. Nur eine Handvoll Nerds der Computer AG und ein Mathelehrer durften ihn benutzen. Wir nannten den Raum, in dem die Zukunft stattfand, das Tabernakel.

„Binnen weniger Monate ist es zu einem Thema der Nation geworden, ob es zu wünschen und wie es zu erreichen ist, dass nicht mehr nur eine Minderheit, sondern die gesamte deutsche Jugend den Umgang mit Computern lernt - und zwar nicht zu Hause, sondern in der Schule.“ So heißt es im SPIEGEL-Artikel. Das waren noch Zeiten. Der Krieg der Sterne tobte im Kino und im Spatzenhirn eines größenwahnsinnigen US-Präsidenten. Die Bürger fragten sich tatsächlich, wie man die Zukunft gestalten könne.

Eine „Gesellschaft für Informatik“ schlägt allen Ernstes vor, Informatik für die Klassen 5 bis 10 zum Pflichtfach zu machen. 1984. Heute lachen wir darüber. 32 Jahre später sind wir keinen Schritt weiter. An den Schulen wird eine Pandemie mit Stoßlüften bekämpft. Es ist fünfzig Jahre her, dass Informatik offiziell als Schulfach eingeführt wurde. 1972, Willy Brandt ist Bundeskanzler. In der Praxis gibt es nur sehr wenige Kurse. Welcher Informatiker geht schon an ein Gymnasium? Von Real- und Hauptschule ganz zu schweigen.

1984 ist von „technischen Analphabeten“ die Rede. Neben Lesen, Schreiben und Rechnen soll Programmieren zur vierten Kulturtechnik erhoben werden. Wie viele Kinder lernen 2022 das Programmieren in der Schule? Aber Overhead-Projektor und Faxgerät gibt es immer noch.

„Computer in alle Schulen, alle Schüler an die Computer, einschlägige Themen in viele Fächer zu bringen - das ist ein gewaltiges Programm. Wird es auch nur annähernd so verwirklicht, wie es jetzt verkündet und vorbereitet wird, so wird es die deutsche Schule stärker verändern als die meisten Reformen, die es seit Kriegsende gab. Eine Revolution des Unterrichts steht demnach bevor, es herrscht Alarmstimmung.“ Zum Glück haben wir es in Deutschland nicht so mit Revolutionen.

Damals gab es aber angeblich einen „Druck der Basis“, da immer mehr Computer an Privathaushalte verkauft wurden, überall Computershops eröffneten wie später die Handy-Läden und es zwei Dutzend Computerzeitschriften gab, die hauptsächlich von jungen Leuten gelesen wurden. Es hieß, mehr als siebzig Prozent aller Berufe würden von den neuen Technologien geprägt werden. Wusste man damals, weiß man heute. Passiert ist wenig bis nichts. Die „Basis“ hat resigniert.

P.S.: Lustiges Detail: Deutschlands Antwort auf den C64 war der Alphatronic von Triumph-Adler. 1985 wurde der Verkauf eingestellt. Auch Nixdorf verschwand vom Markt, nachdem der Unternehmensgründer auf der Cebit 1986 tot umgefallen war und die Firma von Siemens übernommen wurde.

Alarm in den Schulen: Die Computer kommen - DER SPIEGEL

Madonna - Ray Of Light (Official Video) - YouTube

Samstag, 5. Februar 2022

Rote Ordnung


Wir nennen uns die Rote Ordnung. Wir sind eine rein analoge Bewegung. Sie werden uns im Internet nicht finden. Wir bleiben unter dem Radar von Verfassungsschutz und Staatsschutz. Wir schreiben uns auch keine Mails und sind nicht in den sozialen Medien aktiv. Wir schreiben uns Briefe und treffen uns ansonsten jeden Freitag in einem Berliner Park und bei schlechtem Wetter in einem angrenzenden Bistro.

Unser Ziel ist die Revolution. Aber wir verbreiten unsere Botschaften diskret. Ich schreibe sie beispielsweise in die Bücher der Uni-Bibliothek oder meiner Stadtteilbibliothek. Dann steht auf Seite 99 mit Bleistift „Kapitalismus ist Mord“ oder „Unser Tag kommt“ am Rand. Jeder von uns fünf hat seine eigene Methode. Ein Mitglied unserer Gruppe arbeitet in einer Druckerei. Es druckt die Botschaften auf die Innenseite von Bäckereitüten. Wenn die Leute dann die Tüte aufreißen, um ihr albernes Käsebrötchen mit zwei Gurkenscheiben herauszuholen, lesen sie „Immer da: Antifa“ oder „Geh nicht zur Arbeit“.

Unsere größte Aktion haben die beiden Frauen in unserer Organisation gemacht. Sie haben mitten in der Nacht im Prenzlauer Berg ein Plakat mit der Aufschrift „Alle Fahrräder stehen still, wenn dein starkes Bein es will“ aufgehängt. Aber am nächsten Tag war es schon wieder weg. Wahrscheinlich die Bullen oder irgendein Spießerschwein. Ich weiß nicht, ob die schwäbischen Wohnungsbesitzer schon reif für die Revolution sind.

Aber die Rote Ordnung ist bereit. Ich stehe kurz davor, meinen WG-Mitbewohner auf die Sache anzusprechen.

Casatschok - Dimitri Dourakine - YouTube

Freitag, 4. Februar 2022

Das Thema Nr. 1

 

Die Staaten haben sich längst an das süße Gift der Null-Zins-Politik gewöhnt. Früher waren die Zinsen für die Staatsschulden ein großer Posten im Haushaltsplan, jetzt kann man sich für lau verschulden. Die Inflation liegt bei fünf Prozent, drei Prozent über dem erklärten Ziel der EZB. Aber jetzt die Zinsen erhöhen? Jedes Prozent Zinserhöhung kostet die Bundesregierung 23 Milliarden Euro p.a.

Stattdessen baden die Bürger die Inflation aus. Energie und Lebensmittel werden jeden Monat teurer. Die Inflation frisst die Ersparnisse auf. Wird man später mal von der Rente leben können, wenn es so weitergeht? Geld fließt aus festverzinslichen Wertpapieren in Immobilien, die Preise und die Mieten steigen. Wohnen wird zum Luxus.

Dem Staat ist es egal, die Unternehmen geben die Inflation an die Kundschaft weiter. Aber Armut und soziale Ungleichheit bleiben weiterhin Tabuthemen. Schließlich wurde der Regelsatz bei Hartz IV gerade um drei Euro erhöht. Wohngeldbezieher bekommen einen Zuschuss zu den Energiekosten, der die Preisexplosion nicht abdeckt, und dann gibt es im Herbst noch ein wenig Mindestlohnkosmetik.

Während die Profite der Konzerne steigen, sinkt der Lebensstandard der Bevölkerung. Dagegen demonstriert niemand. Alle reden über Corona und die Ukraine. Der reale Einkommensverlust der Bevölkerung ist das Thema Nr. 1. Es steht ein Elefant im Raum. Niemand spricht über ihn. Die Metapher stammt übrigens aus Russland.

Alanis Morissette - Ironic (Official 4K Music Video) - YouTube

Mittwoch, 2. Februar 2022

Das Hinterhaus

 

Ich besitze ein kleines Haus in der Innenstadt von Jena. Das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert besteht aus einem Vorderhaus, einem Hof und einem Hinterhaus. Zwischen der gepflasterten Gasse und dem Hof gibt es eine Einfahrt, die seit vielen Jahren geschlossen ist.

Ich war schon seit langer Zeit nicht mehr im Hinterhaus. Da ich allein lebe, brauche ich nicht mehr als die drei Zimmer, die Wohnküche und das Bad im Vorderhaus. Aber eines Tages wollte ich einfach mal nachschauen, wie es inzwischen im Hinterhaus aussieht. Also ging ich über den Hof.

Als ich die Tür öffnete, kam mir der Gestank von kaltem Rauch, Schweiß und Alkohol entgegen. Vor mir saßen ein halbes Dutzend dicker, glatzköpfiger und bis zur Hutkrempe tätowierter Typen in speckigen Jeans und Unterhemd an einem Tresen. Ihre Gespräche waren schlagartig zu Ende, als sie mich sahen. Der Blick war feindselig.

Der Barkeeper war noch fetter als die Anderen und hatte ein Küchentuch über der Schulter.

Ich sprach ihn an: „Ich hätte gerne einen Manhattan.“

Er reagierte nicht und wischte mit seinem Tuch die verchromte Fläche vor den Zapfhähnen.

„Einen Manhattan, bitte!“

Er schwieg eine Weile. „Ich kenne dich nicht. Was willst du?“

„Erst mal was zu trinken. Was gibt es vom Fass?“

Der Barkeeper nahm ein dreckiges Glas, spuckte hinein und wischte es mit seinem schmierigen Tuch trocken.

„Was machen Sie in meinem Haus?“ fragte ich.

„Ich gebe dir erst mal einen Obstler. Setz dich einfach.“

Ich blieb.


Stranger Within (2008 Remaster) - YouTube

Dienstag, 1. Februar 2022

Der Flüsterer

 

Ich habe schon immer zu laut geflüstert. In der siebten Klasse habe ich mal einem Schulkameraden, der vor mir saß, die Antworten zugeflüstert, als er vom Lehrer abgefragt wurde. Am Ende sagte Herr Brehmer, der Geschichtslehrer, er bekäme eine 5 – und ich eine 2 fürs Vorsagen. Wenn wir als Kinder Stille Post gespielt haben, flüsterte ich so laut, dass ich irgendwann nicht mehr mitspielen durfte. Vor allem, weil ich mir immer ein neues Wort ausgedacht hatte.

So ist es also kein Wunder, dass ich nach dem Schulabschluss als Souffleur beim Theater angefangen habe. Wenn ein Schauspieler seinen Text vergessen hat, flüstere ich ihm die nächste Zeile zu. Es ist sehr mühselig, während eines zweistündigen Stücks das Textbuch mitzulesen. Oft komme ich gar nicht zum Einsatz, denn irgendwann kennen die Schauspieler das Stück auswendig.

Die Arbeit ist nicht gut bezahlt. Ich bekomme fünfzig Euro pro Vorstellung. Bei fünf Vorstellungen pro Woche können Sie sich meinen Lohn ausrechnen. Während die Schauspieler tagsüber in unserer Stadt wiedererkannt werden, kennt mich kein Mensch. Sie gehen abends auf die Bühne, ich krieche unter die Bühne und setze mich auf die harte Holzbank. Kein Theaterbesucher hat jemals den Souffleur gesehen.

Wie alle Souffleure schreibe ich an einem eigenen Theaterstück, in dessen Mittelpunkt ein Souffleur steht, der eines Tages seinen Platz unter der Bühne verlässt und das Licht der Theaterwelt erblickt. Es ist natürlich eine Tragödie. Der Souffleur findet sich in seiner neuen Umgebung nicht zurecht, alle Menschen machen ihm Schwierigkeiten und am Ende scheitert er. Wird er sterben oder auf seinen Platz zurückkehren? Ich weiß es noch nicht.

You Broke My Heart - YouTube