Ich
sitze am Ufer des Rheins auf einer Bank und genieße die Wärme des beginnenden
Frühlings. In meinem Glas funkelt der Wein, und ich nehme einen tiefen Schluck.
Ich bin allein, die Menschen sind beschäftigt. Arbeit, Schule, Haushalt,
Einkäufe. Was für ein Leben. Ich brauche das alles nicht. In meinem Alter ist
man bescheiden geworden. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wie alt ich
schon bin. Es müssen Jahrtausende sein.
Ein Mann
mit schlohweißem Haar und einer durchscheinenden Pergamenthaut nähert sich
langsam der Bank und setzt sich neben mich.
„Wohin
des Wegs?“ frage ich ihn gutgelaunt.
Mühsam
hebt er den Kopf und wirft mir einen gequälten Blick zu. Er hat nur ein Auge,
die andere Augenhöhle ist vernarbt.
„Ich
war immer ein Wanderer, aber ich habe keine Kraft mehr. Asgard ist mein Ziel. Am
Flughafen sagte man mir, es gäbe keine Flüge an diesen Ort. Als ich fragte,
welche Stadt in der Nähe lag, bot man mir Reykjavík an. Aber ich hatte weder
Geld noch einen Pass, also konnte ich kein Ticket kaufen.“
„Das
ist traurig. Auch meine Heimat ist fern. Ich bin der Sohn des Zeus, er lebt auf
dem Olymp, viele Tagesreisen von hier entfernt. Trink einen Schluck Wein, das
kräftigt deinen Geist und deinen Körper.“
„Ich
trinke nur Skaldenmet, das ist ein Honigwein, den es in meiner Heimat gibt.“
Ich
zauberte ein Glas Riesling, der mit Honig gesüßt war, in seine Hand. Er trank vorsichtig
einen kleinen Schluck, verzog angewidert das Gesicht und trank das Glas in
einem Zug leer.
„Mein
Name ist Odin.“
„Angenehm,
Dionysos.“
Und so
tranken wir den ganzen Nachmittag und erzählten uns Geschichten.
Seit
die Menschen nicht mehr an mich glauben, bin ich schwach und alt geworden. Aber
sterben kann ich nicht. Kein Gott kann das. Meine göttlichen Kräfte sind fast
völlig vergangen. Fruchtbarkeit? Dünger und Viagra. Wahnsinn? Politik und
Wirtschaft. Ekstase? Drogen. Nur der Wein ist mir geblieben. Auch wenn ich keine
ausschweifenden Feste mehr veranstalten darf, denn der Genuss des Rebensafts
gilt als ungesund und ist der Arbeitsleistung abträglich.
Walhalla
wurde geschlossen, lange bevor das Clubsterben in Berlin begann, wie Odin mir
erzählte. Ich schilderte ihm meine Dionysien, fünftägige Feste mit
Prozessionen, Chören, zahlreichen Aufführungen von Komödien und Tragödien,
geschmückten Tafeln voll edler Köstlichkeiten, in leuchtenden Farben. Heute
liegen die Proleten beim Oktoberfest in ihrem eigenen Erbrochenen.
Wehe
euch, die ihr den Göttern der Ausschweifung entsagt habt, um euch mit nutzlosen
Dingen zu umgeben und eure Zeit mit unsinnigen Tätigkeiten zu vergeuden.
"Walhalla wurde geschlossen, lange bevor das Clubsterben in Berlin begann"
AntwortenLöschenEin schöner Satz, den ich mir merken werde.
Falls sich gerade jemand beschwert oder nörgelt — Walhalla wurde geschlossen, lange bevor das Clubsterben in Berlin begann.
Gruß, ein Freund
"Viel Tun führt oft zum Scheitern. Darum tue nichts – und alles wird getan"*. Und "wo der Wein fehlt, stirbt der Reiz des Lebens"**. Wer diese beiden Maximen beherzigt, der wird ein glückliches Leben führen: "keine Termine und leicht einen sitzen"***.
AntwortenLöschen*Tao-Te-King
**Euripides
*** Harald Juhnke
In Alt-Moabit gibts immerhin noch ein Restaurant namens Walhalla. Skaldenmet hat man dort nicht im Angebot, dafür allen Ernstes Jägermeister mit Erdbeermilch. Sollte das Odin zu Ohren kommen wird er sich vermutlich nochmal am Weltenbaum aufhängen, fürchte ich.
AntwortenLöschenHier muss der Gesetzgeber einschreiten. Geht ja wohl gar nicht. Friedrich Merz, übernehmen Sie!
LöschenWar gerade im Walhalla. Jägermeister gibt es, aber nicht mit Erdbeermilch. Trotzdem bin ich jetzt neugierig geworden. Leider haben die Supermärkte heute geschlossen.
Löschen"Hier muss der Gesetzgeber einschreiten. Geht ja wohl gar nicht. Friedrich Merz, übernehmen Sie!"
LöschenAlle Maßnahmen stehen unter Finanzierungsvorbehalt :)
Im Koalitionsvertrag habe ich zu Jägermeister mit Erdbeermilch nix gefunden. Typisch KleiKo.
Löschen"Jägermeister mit Erdbeermilch"
AntwortenLöschenWer sowas trinkt, frisst auch kleine Kinder. Was stört euch an Eierlikör?
Gruß, ein Freund
Du bist also ein Mädchen :o)
LöschenKann man nicht so sagen.
LöschenHabe schon öfters einen Eierlikör in der Kneipe bestellt. Erst kucken alle blöd, dann wollen alle einen.
Klaus Zapf hat mal im Walhalla gearbeitet.
Eines meiner Lieblingszitate von ihm:
"Lösen? Die Kunst ist, nichts zu lösen. Unter dem Glacé der Lösung verbirgt sich der Abgrund.
https://www.waahr.de/texte/klaus-zapf-–-der-geist-bewegt-die-masse
Zapf war klasse. Gibt es solche Unternehmer noch in Berlin?
Löschenglaub nicht. Alles junge Freddies
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