Mittwoch, 17. Mai 2023

Oktobass statt Oktopus

 

Blogstuff 802

„Ab fünfzig musst du tierisch auf dich achtgeben. Wenn nicht, wächst dir über Nacht eine Steppjacke aus dem Oberkörper.“ (Nils Heinrich)

Der Oktobass ist das größte Streichinstrument der Welt. Er ist 3,45 Meter hoch und wiegt über hundert Kilogramm. Das war damals, als ich noch in einer Rokoko-Band gespielt habe, immer eine Quälerei in der U-Bahn.

Hätten Sie’s gewusst? Die meisten Polohemdenträger haben in ihrem Leben noch nie Polo gespielt.

Montagmorgen, 9:30 Uhr. Handwerker im Haus. Er pfeift fröhlich. Beim Abschied spreche ich ihn darauf an, dass Montagmorgen selten jemand fröhlich ist. Er grinst und sagt: „Solange ich arbeiten kann, bin ich gut drauf.“ Mit Anfang zwanzig sind die Leute offenbar noch motiviert. 

14. Mai 1958. In der Maggi-Fabrik in Singen am Bodensee läuft die erste Dose Ravioli vom Band. Ein kulinarischer Alptraum, den wir alle schon mal gegessen haben (mancher von uns auch öfter, als er zugeben will), wird 65 Jahre alt. Die Achse Berlin-Rom funktioniert auch in der Adenauer-Zeit. Noch heute laufen täglich 170.000 Dosen im selben Werk vom Band. 36 Millionen Dosen und damit etwa eine Milliarde Ravioli im Jahr. Und irgendjemand isst das viele Zeug tatsächlich. Sie haben uns durch die Corona-Zeit gebracht und werden uns durch den russischen Einmarsch bringen. Die Erfindung der Fertiggerichte hat übrigens mehr zur Emanzipation beigetragen als alle Demonstrationen und Emma-Heftchen zusammen. Endlich konnte die Hausfrau die Fesseln, die sie an den Herd gebunden hatten, abwerfen und sich neben der kostenlosen Ausbeutung durch den Mann auch noch der Lohnsklaverei hingeben.

Vor fast zehn Jahren, Anfang Juli 2013, bin ich von Berlin nach Schweppenhausen gezogen. Ruhe. Ein ganzes Haus und ein großer Garten für mich allein. Seither habe ich keinen Kriminalroman und kein Sachbuch mehr geschrieben. Es sind viele kurze Texte und Notizen („Blogstuff“) entstanden, ich schreibe nie länger als eine Stunde am Tag. Ein entspanntes Leben. Dennoch sind in dieser Zeit ca. 3750 Word-Seiten Text (gespeichert in Dateien à 80 Seiten) entstanden. Zehn Jahre sind 3650 Tage, also etwa eine Seite pro Tag – obwohl nach meinem Umzug nichts geplant war. Nur umfassende Ruhe, keine Ziele, keine Ambitionen. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel geschrieben. Gelesen habe ich in dieser Zeit hunderte von Büchern, selbst „Krieg und Frieden“ oder „Mann ohne Eigenschaften“. Endlich hatte ich Zeit für die wesentlichen Dinge.

Ich lache über meine zehnjährige Pilgerschaft.

Verschossenes Gewand, zerschlissener Hut, Klopfen an die Tore des Zen.

In Wahrheit ist das Gesetz Buddhas so einfach:

Iss deinen Reis, trink deinen Tee, trage deine Kleider!

(Aus: Eiji Yoshikawa: Musashi, München: Droemer Knaur 1984, S. 1090. Übrigens ein sehr empfehlenswerter Abenteuerroman für lange Winterabende)

 

3 Kommentare:

  1. Ich möchte nicht tauschen, ich brauche den lärmenden Tanz.

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  2. Der Oktabass erinnert mich an ein einzigartiges, von Schobert und Black in die Musikologie eingeführtes Blasinstrument, das Triebelbumpaphon. Das Triebelbumpaphon muss wegen seiner Größe von drei Menschen bedient werden: einer bläst hinein, ein zweiter bedient die Ventile und der dritte hat die Oberaufsicht. Das Triebelbumpaphon ist eine Weiterentwicklung des Zwiebelbumpahons, das von nur zwei Leuten bedient wird. Außerdem unterscheiden sich beide Instrumente noch durch eine weitere Eigenschaft: das Triebelbumpaphon riecht nicht.

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    1. Ingo Insterburg hat ja auch immer gerne neue Instrumente gebaut. Solche Leute gibt's heute gar nicht mehr. Ich denke z.B. an Ulrich Roski.

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