Sonntag, 14. Mai 2023

Eine Nacht in der Pfalz


„Die Pfalz ist wie die Antarktis. Sie liegt irgendwo im Süden und keiner fährt hin.“ (Andy Bonetti)

Es war eine Mischung aus Überheblichkeit, Ungeduld und mangelnder Ortskenntnis, die zu seinem Entschluss führte, sich nicht länger die endlose Reihe roter Schlusslichter im Stau auf der vierspurigen Straße nach Downtown Pirmasens anzuschauen, sondern in eine Seitenstraße abzubiegen, wo er sein Glück auf einem kleinen Umweg versuchen wollte.

Udo Hundgesang kam von einem Auftritt in einem Tageshotel, wo er an diesem Abend als Big Mister Sunshine die Gäste mit Sinatra-Songs und harmlosen Späßen unterhalten hatte. Mit dem öligen Charme eines Innsbrucker Oberkellners hatte er fünfzig Zahnärzte aus Ostwestfalen volle zwei Stunden lang verzaubert. Harald Juhnke nix dagegen.

Nun hatte er sich in einem Gewirr kleiner Einbahnstraßen verfahren. Vermutlich war er in der Lower East Side gelandet, dahinter kamen nur noch die Docks. Die Häuser wurden niedriger und schäbiger. Dazwischen unbebaute Grundstücke voller Autowracks, Müll und hüfthohem Unkraut. Sein Audi A 8 fiel zwischen den Dacias und Subarus am Straßenrand unangenehm auf. Auch das Wiesbadener Kennzeichen und der Heckaufkleber („Eure Armut kotzt mich an“) passten nicht so richtig in die Gegend.

Er bog nach rechts ab, in der Hoffnung irgendwo auf eine Hauptstraße und Hinweisschilder zu treffen. Hundert Meter weiter stand ein Cabrio mitten auf der Straße und versperrte ihm den Weg. Ohrenbetäubender Rap schallte zu ihm hinüber. Um den Wagen standen jungen Männer mit klobigen Turnschuhen, Muscle Shirts, riesigen Ohrringen und Tätowierungen. Offensichtlich hatten sie ihn weder gehört noch gesehen.

Hundgesang wartete zehn Meter hinter dem Wagen. Nichts passierte. Die Jungs lachten und unterhielten sich. Er rollte auf die linke Seite, wo sich die meisten Leute um den Fahrer versammelt hatten. Er stand inzwischen direkt vor ihnen. Keiner drehte den Kopf. Er wartete wieder ein paar Minuten, dann hupte er.

Das war ein Fehler.

Ein untersetzter breitschultriger Mann mit Piratentuch und schwerer Goldkette löste sich aus der Gruppe und kam auf ihn zu. Er beugte sich an seinem Seitenfenster herab und klopfte gegen die Scheibe. Hundgesang sah die dichte Brustwolle, die aus dem tiefausgeschnittenen Shirt quoll.

„Mach mal die Scheibe runter!“ Der Typ hörte sich an wie ein lungenkranker Gibbon.

Hundgesang schloss mit einem Knopfdruck alle Türen, legte den Rückwärtsgang ein und fuhr mit Vollgas zurück.

Ein lauter Knall. Er kam zum Stehen. In seinem Rückspiegel sah er einen riesigen Araber mit Vollbart, der aus einem Mercedes stieg. Verdammt! Den hatte er in seiner Panik komplett übersehen.

Jetzt kamen auch alle anderen zu seinem Wagen und standen um ihn herum. Hundgesang sank in seinem Sitz ganz langsam Zentimeter um Zentimeter. Sie hatten ihm alle vier Reifen abgestochen.

Was sollte er jetzt machen? Er nahm sein Handy und tippte die 110 ein. Aber in welcher Straße war er? Er hatte nicht auf die Schilder geachtet. Wie lange würde die Polizei brauchen, um ihn in der Lower East Side zu finden? Er könnte ihnen sagen, dass er gerade überfallen wurde. Aber wie sollte er den Unfall erklären?

Dann entleerte sich seine Blase. Ein weiterer Scheißtag in seinem Scheißleben als Scheißentertainer in diesem Scheißland. Eigentlich war es ein Witz.

 

2 Kommentare:

  1. Toller Text! Könnte man verfilmen. Mit Tom Hanks, Bruce Willis, Melanie Griffith und Morgan Freeman in den Hauptrollen. Für die Regie sähe ich Brian De Palma...

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    1. Danke! Ich bin bereits mit Til Schweiger und Bastian Pastewka in Verhandlungen.

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