Dienstag, 2. Mai 2023

Der Beginn meiner Karriere

 

Marketing ist eine Zukunftsbranche, haben sie mir gesagt. Nach der Probezeit wirst du Junior-Vizepräsident, haben sie mir gesagt. Und ich Idiot habe ihnen jedes Wort geglaubt. An meinem ersten Arbeitstag habe ich die ganze Agentur kennengelernt: Carla und Gerhard. Mein erster Auftrag: Prospekte in der Fußgängerzone verteilen. Erste Erfahrung im Kundenkontakt sammeln, haben sie es genannt. Kaltakquise am lebenden Objekt. Sie drückten mir einen Stapel Flugblätter in die Hand. „Hellas, die Klobürste, die im Dunkeln leuchtet“. Ich machte mich auf den Weg.

Ich stand im Nieselregen neben einem Betonkübel mit hässlichem Grünzeug und versuchte, meine Werbezettel loszuwerden. Es gibt nichts peinlicheres, als in seiner eigenen Kleinstadt einer so armseligen Tätigkeit nachzugehen. Niemand schaut dir ins Gesicht, niemand will in deiner Nähe sein. Es ist, als ob du Lepra hättest. Hoffentlich kam niemand vorbei, den ich kannte. Ich würde die Schmach nicht überleben. Aber da kam schon Frau Hartwig, unsere Nachbarin, vorbei.

„Hast du nicht Abitur gemacht? Und das ist jetzt dein erster Beruf? Mein Lukas studiert BWL.“

Das angebotene Prospekt nahm sie nicht an. Sie wartete auch keine Antwort ab, sondern ging einfach weiter.

Zehn Minuten später kam mein Mathelehrer vorüber.

„Hättest du besser aufgepasst, wärest du nicht hier gelandet“, sagte er in tadelndem Tonfall.

Aber das sollte noch nicht der Tiefpunkt sein. Der kam mit langem blondem Haar, dessen bezaubernde Schönheit selbst von der albernen dunkelgrünen Pudelmütze nicht geschmälert werden konnte. In hohen schwarzen Lederstiefeln und Minirock. Ute. Die Göttin meines Jahrgangs. Wir waren alle rettungslos in sie verliebt. Ich hatte sie sogar mal im Bikini gesehen, als ich im Freibad war. Der erotische Höhepunkt meiner Oberstufenzeit. Hoffentlich erkannte sie mich nicht, sondern ging einfach weiter.

„Mensch, Sebastian. Bist du das?“

Ich wollte den Kopf schütteln, aber ich blieb einfach stumm und lief rot an.

„Zeig mal, was verkaufst du denn?“

Sie nahm einen Zettel und studierte ihn gründlich.

„Ein Klobürste, die im Dunkeln leuchtet. Das ist ja krass. Wo kann ich die kaufen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ist mein erster Tag.“

„Na, dann viel Glück“.

Sie schritt graziös von hinnen und warf den Zettel in einen Mülleimer.

So fing es an, so ging es weiter.     

P.S.: „peinlicheres“ ist Nominativ Singular Neutrum der starken Deklination des Komparativs des Adjektivs „peinlich“. Bonetti Media hat schließlich auch einen Bildungsauftrag.

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