Dienstag, 7. Juni 2022

Eine brandheiße Geschichte

 

Die Tür wurde aufgerissen und bevor ich noch den Kopf heben konnte, begann die Brüllorgie. Ich entnahm dem 120-Dezibel-Orkan meines Vorgesetzten folgende Elemente: Recherche zu einer Parteispende eines Rüstungskonzerns an die CSU, noch heute, möglichst vor Redaktionsschluss, Fotos, Beweise, einhundertzwanzig Zeilen Text, Tempo, Tempo, Tempo.

„Folgen Sie diesem verdammten Heumelker bis auf die Toilette! Ich will wissen, wie oft er nach dem Pissen abschüttelt!!“

Ich wartete vor der CSU-Landesvertretung in der Behrensstraße und sah, wie der Bundestagsabgeordnete Alois Heumelker in eine schneeweiße Limousine stieg. Ich folgte ihm mit meiner Vespa, natürlich hielt ich den Abstand konstant bei zehn Metern. Vor dem Einstein Unter den Linden stieg er aus und betrat das Lokal. Ich kam eine Minute später ins Einstein und setzte mich an den Nachbartisch.

Nach etwa zehn Minuten kam ein großer Mann in einem schwarzen Anzug und mit Sonnenbrille an Heumelkers Tisch. Er setzte sich und stellte einen Koffer ab. Ich beobachtete die beiden Männer durch ein faustgroßes Loch in einer Tageszeitung. Heumelker verabschiedete sich schließlich und ging mit dem Koffer davon. Einem durchschnittlichen Reporter hätte dieser Vorgang für eine Story gereicht, aber ich bin Profi in Sachen investigativem Journalismus.

Die Limousine brachte Heumelker zu seiner Villa in Schmargendorf. Ich blieb auf meiner Vespa und beobachtete alles mit meinem Feldstecher. Er öffnete die Haustür und verschwand im Haus. Kurz darauf ging im Arbeitszimmer im Erdgeschoss das Licht an. Ich sah, dass der Abgeordnete den Aktenkoffer neben seinen Schreibtisch stellte. Dann ging im ersten Stock ein Licht an, offenbar war er hinaufgegangen.

Ich schlich mich auf das Nachbargrundstück und kletterte über den Zaun. Ein Pudel sah mich erwartungsvoll an, bellte jedoch glücklicherweise nicht. Stattdessen verging er sich genüsslich an meinem rechten Schienbein. Auf der Terrasse hinter dem Haus fand ich eine unverschlossene Tür. Ich betrat die Villa und ging auf Zehenspitzen ins Arbeitszimmer. Von oben hörte ich Wagner.

Der Koffer ließ sich problemlos öffnen. Ich fand einhunderttausend Euro in bar vor und das geheime Programm für die CSU-Wahlkampagne für 2023. „Arbeit ist Freiheit“, „Sicherheit ist Frieden – für eine starke Bundeswehr“ und „Drum wähl auch du: CSU“ lauteten die Slogans, die ich abfotografierte. Mit dieser heißen Story ging es zurück in die Redaktion.

Ich wusste, dass sie in der Nacht kommen würden. In der CSU gibt es zwar keine Hacker, aber jede Menge Leute, die „fensterln“ können. Sie wollten sich die brisanten Informationen auf dem klassischen Weg zurückholen. Aber ich hatte mich vorbereitet. Als sie nach Mitternacht die Leitern an die Hauswand lehnten und zu meiner Wohnung im zweiten Stock eines Altbaus in Friedenau hinaufkraxelten, war das Fenster nur angelehnt. Das Weißbier, die Brezn und die Weißwürschtl, die auf dem Wohnzimmertisch platziert waren, enthielten ein starkes Schlafmittel.

Die Polizei sammelte die beiden Typen, die Hirschlederhosen, Haferlschuhe mit Trachtenstutzen, blauweiße Hemden, Lodenjoppen und Filzhüte mit Gamsbart trugen, eine halbe Stunde später ein. Wir benutzten am nächsten Tag Buchstaben für unsere Schlagzeilen, die man noch aus zwanzig Meter Entfernung lesen konnte.

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