Im
Nachhinein war mir klar, dass die Sache mit Renate ein großer Fehler gewesen
ist. Aber die großen Fehler erkennt man immer zu spät, während einem die
kleinen Fehler sofort auffallen.
Wir
arbeiteten im selben Großraumbüro. Sie ist mir gleich aufgefallen. Die schmale gerade
Nase, die eleganten kleinen Ohren, die grünen, leicht schrägen Katzenaugen. Sie
sah aus wie die junge Sophia Loren, aber mit kurzen Haaren und Jeans, die ihrem
süßen Hintern die verdiente Geltung verschafften.
Es
dauerte ein halbes Jahr, bis ich den Mut hatte, mich in der Kantine an ihren
Tisch zu setzen. Ich hatte, zum Erstaunen der adipösen Walküre an der
Essensausgabe, die Gemüseplatte gewählt, obwohl Currywurst-Tag war. Über die
unverbindlichen Themen Druckerstau, Übergangsjacken und Drohnenkrieg kamen wir
schnell ins Gespräch. Vier Wochen später gingen wir zum ersten Mal zusammen
essen. Wir bestellten uns Quiche und Rotwein und am Ende dieses wundervollen
Abends stand ich in hellen Flammen.
Kurz
und (damals noch) gut: Renate und ich wurden ein Paar. Sie erzählte mir eines
Tages von ihrem großen Traum, eine Karibik-Kreuzfahrt zu machen. Damals habe
ich ihr jeden Wunsch von den Augen abgelesen, aber dafür hatte ich kein Geld. Die
Bank lehnte meinen Kreditantrag ab, also fragte ich einen Freund, wie man an
10.000 Euro herankäme. Er gab mir die Adresse von Don Alfredo di Mare e Monti.
Der
Don war ein steinalter Grandseigneur, der im Hinterzimmer des Hinterzimmers einer
Trattoria namens Tempi Passati residierte. Ich schilderte ihm mein Problem und
er fragte mich, wie lange ich brauchen würde, um den Kredit abzubezahlen. Ich
sagte, ein Jahr würde genügen, vielleicht auch zwei. Er sah mich lange prüfend
an und antwortete, für zwei Jahre meiner Zeit würde er mir das Geld schenken.
Ich begriff nicht, was er eigentlich meinte, willigte jedoch sofort ein.
Die
Kreuzfahrt war wunderbar. Außenkabine mit großem Panoramafenster und Balkon,
Fünf-Gänge-Menüs am Tisch des Kapitäns. Danach zog Renate zu mir in meine
kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in Moabit. Jeden Morgen fuhren wir mit der U-Bahn
zur Arbeit. Es wäre doch schön, ein Auto zu haben, sagte Renate eines Nachts.
Also ging ich wieder zum Don. Für zehn Jahre meiner Lebenszeit bekam ich ein
Porsche-Cabrio, mit dem Renate und ich an Côte d’Azur fuhren.
Renate
wurde schwanger. Wir heirateten und beschlossen, aus der engen Wohnung in ein
Haus am Stadtrand zu ziehen. Also ging ich wieder zum Don. Wie lange ich für
ein Haus arbeiten müsste, fragte er mich. Dreißig Jahre, sagte ich leichthin.
Ich verdiente immer noch nicht viel und Renate würde mit dem Kind zuhause
bleiben. Er nickte und bald darauf zogen wir in ein schönes neues Haus in
Steglitz.
Als
Renate mich am Tag des Einzugs sah, erschrak sie. Sie sah mich fassungslos an
und begann zu weinen. Ich konnte es mir nicht erklären, ging ins Bad und
betrachtete mich im Spiegel. Mein Gesicht war von tiefen Falten zerfurcht und
mein Haar war schlohweiß. Ich war erschöpft und setzte mich auf den Rand der
Badewanne. Es half nichts, der Don musste mir wieder helfen.
Als
ich sein Hinterzimmer betrat, war er völlig verändert. Er hatte volles
schwarzes Haar und federte aus seinem Sessel, als er mich begrüßte. Ich
schätzte ihn auf vierzig Jahre, nicht mehr. Ich fragte ihn, wie ich meine
Jugend zurückbekäme. Er lachte nur. So viele Jahre könnte ich ihm nicht bieten.
Ich ging hinaus, verlor meinen Job und Renate, das Haus wurde ihr nach der
Scheidung zugesprochen und ich lebe seitdem in einem Obdachlosenheim.
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