Blogstuff 1217
Wenn
ich an Einsamkeit denke, habe ich ein Bild im Kopf. Es war 1995 und wir waren
sechs Wochen in Brasilien unterwegs. Bei einer Busfahrt im Hinterland, in der
Chapada Diamantina, sehe ich ein kleines Haus, nicht mehr als ein Raum, kein
Keller, kein erster Stock, kleiner als die Häuser, die Kinder in Deutschland
malen. Rundherum, im Umkreis von vielen Kilometern, kein anderes Haus. Davor
sitzen ein Mann, eine Frau und zwei Kinder. Die Kinder winken dem Bus zu. Ich
winke zurück. Kein Strom, also auch kein Kühlschrank, kein Fernseher, keine
Waschmaschine, keine Klimaanlage. Woher bekommen sie in dieser staubtrockenen
Einöde ihr Wasser? Sie sitzen einfach da. Auf der Straße vor uns ist kein
einziges Fahrzeug zu sehen. Das ist Einsamkeit.
Mein
Flehen wurde erhöht. Es gibt Bananeneis. Ben
& Jerry’s „Oh My! Banoffee Pie!”
In den
Achtzigern war ich regelmäßig auf der Frankfurter Buchmesse. Einmal nahm ich
einen Freund und dessen Vater mit, beide hatten keinen Führerschein. Der Vater
war Kulturredakteur beim ZDF und Erfinder des längst vergessenen „Kleinen
Fernsehspiels“. Es war merkwürdig, diesen distinguierten älteren Herrn in
meiner schäbigen Studentenrostlaube sitzen zu haben, der freundlich, aber
bestimmt zu mir sagte, ich solle auf der Fahrt die Musik ausstellen. Er hat
sich wahrscheinlich auf der Messe mit Autoren getroffen, während ich nur
Prospekte und Freiexemplare (es war der letzte Tag, nur für Fachpublikum, zu
dem der Redakteur und seine Entourage gehörten) in meine Plastiktüte stopfte.
Heute würde ich das Geld für Sprit und Eintrittskarte direkt in Bücher
investieren. Gerade habe ich den neuen Roman von Bodo Kirchhoff gelesen, ein
Geburtstagsgeschenk, aktuell lese ich Mick Herrons „Slow Horses“, ein Tipp vom
Kollegen Kurbjuhn.
Es
gibt italienische Städte, von denen wir erwarten, dass sie schön sind. Venedig,
Florenz, Rom. Aber es gibt Städte, deren Namen in Deutschland unbekannt sind
und uns mit ihrer Schönheit überraschen. Die Altstadt von Bergamo auf einem
Felsvorsprung. Mit einer uralten Zahnradbahn fährt man hinunter in die
belanglose Neustadt. Einer meiner Lieblingsautoren, Eckard Henscheid, lässt in
dieser Altstadt einen ganzen Roman spielen: „Dolce Madonna Bionda“. Der
Erzähler verliebt sich in eine fremde Frau und versucht, sie wiederzusehen.
Abends sitzt er im Restaurant „Zum goldenen Lamm“ und hält Ausschau nach ihr.
Oder Mantua. Die Altstadt ist von kleinen Seen umgeben. Über einen Damm fährt
man auf die Stadt zu und hat den Eindruck, die letzten fünfhundert Jahre hätten
gar nicht stattgefunden. Trifft man hier noch die Medici oder Michelangelo auf
der Straße? Ein winziges Nuvolari-Museum. Der vielleicht beste Rennfahrer der
Vorkriegszeit trat mit unterlegenem Material in den 1930ern gegen Mercedes an. Damals
hatte man immer einen Mechaniker auf dem Beifahrersitz. Es heißt, bei einem
Rennen hätte Nuvolaris Beifahrer während des gesamten Rennens vor Angst
geschrien. Nuvolari hat bei seinen halsbrecherischen Fahrten den Tod einfach
ignoriert. Massa Maritima. Keine große Diva, aber eine kleine Perle. Wie eine
Frau, deren Schönheit man erst auf den zweiten oder dritten Blick erkennt.
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