Ich
fotografiere eine überdachte Treppe, über die man den Provinzbahnhof am
Stadtrand von Berlin erreicht.
Ein
Mann mit Hut, selten geworden in diesen schweren Zeiten, sieht mich fragend an.
„Dieser
Ort ist einfach faszinierend hässlich“, erkläre ich ihm.
„Da
haben Sie recht“, antwortet er.
„Sie
sehen so aus, als würden Sie sich immer noch wundern, was Sie an diesen Ort
verschlagen hat.“
Er
lächelt. „Ich habe vorher in Schöneberg gewohnt. Aber dort bekommt man keine
Wohnung mehr. Zumindest keine, die ich bezahlen könnte.“
Ich
lächele furchtlos zurück. „Sie wissen doch sicher, wo man hier einen korrekten
Kaffee bekommt. Ich lade Sie ein.“
Nur
wenige hundert Meter entfernt ist ein Tschibo-Stehcafé, in dem gerade Kanus und
Kristallschalen verkauft werden. Wir haben zwei Tassen guten alten Bohnenkaffee
vor uns, echte Tassen, keine Pappbecher mit unseren Vornamen, kein Iced
White Choc Pistachio Flavour Oat Shaken Espresso.
Ich
frage ihn, was er beruflich macht.
„Schriftsteller.“
„Was
für ein Zufall. Ich auch.“
Wir
blicken uns erleichtert an. Keiner von uns würde die dämlichen Fragen stellen,
ob man davon leben könne oder wie wir auf unsere Ideen kommen.
Ich
gehe, wie unter Kollegen üblich, zwanglos zum Du über. „An was arbeitest du
gerade?“
„An
einem Sonett über die Stille. Ich sitze schon seit zwei Monaten an diesem
Stück. Nur vierzehn Zeilen, aber ich schweige auf das leere Blatt. Trotzdem
habe ich das Gefühl, dieser letzte Außenposten der Großstadt ist der richtige
Ort für diese Arbeit.“
„Stille
Nacht und Stille Post / Stille West und stille Ost“, dichte ich spontan.
Er
lächelt in seine Tasse. „Nein, es sollte schon etwas ernsthafter sein. Woran
arbeitest du gerade?“
„An
einem Essay über die Leere.“
„Leere
Flasche, leeres Glas / Leerer Kopf und Leberkas“, antwortet er.
Wir
lachen.
„Vielleicht
sollten wir die Themen tauschen.“
Wir
machen mit zwei Flaschen Sekt auf einer Parkbank weiter. Den Rest habe ich
vergessen. Aber wir werden uns wiedersehen.
sentimental journey ?
AntwortenLöschenNein, ich war schon lange nicht mehr am Stadtrand. Bei diesem Wetter schaffe ich es nur noch bis zum Supermarkt um die Ecke. Das hässliche Treppenhaus habe ich im Fernsehen gesehen und schrieb den Anfang. Der Dialog mit Stille und Leere kam dann Tage später dazu, vermutlich hatte ich die Begriffe irgendwo gelesen. Solche Texte plane ich nicht, sie entstehen einfach so nebenbei.
LöschenSekt ist für Mädchen. Hugo und Lambrusco auch. Schriftsteller trinken Calvados, Grappa, Absinth...
AntwortenLöschenSchriftsteller trinken alles. Hauptsache, es brummt ;o)
Löschen@Kiezschreiber
AntwortenLöschenBetr.: Mondbasis
https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/ddr-mondbasis-31-jaehriger-laesst-mithilfe-von-ki-videos-die-ddr-wieder-aufleben-li.2294964
Wer hätte das gedacht? Ein Wessi aus Hannover steckt dahinter, der beim Mauerfall noch gar nicht existiert hat. Mich hat der Osten auch schon in den 80ern fasziniert, obwohl ich vom Rhein komme. 1981 war ich auf Klassenfahrt zum ersten Mal in Ost-Berlin, damals warnte uns der neue US-Präsident Reagan vor dem Reich des Bösen und erreichte das genaue Gegenteil. Es folgten 3 x Prag, Budapest, Moskau, Leningrad und noch 2 x Ost-Berlin. Ich bin froh, dass ich alles noch sehen und erleben konnte, bevor es für immer verschwand.
LöschenMöchte mal wissen, wer beim Kiezschreiber dahinter steckt. Sicher so ein durchtrainierter Asket.
LöschenDreifacher Ironman-Sieger, aber ich hänge sowas nicht an die große Glocke. Morgens ein selbstgemixter Smoothie, drei Stunden Gym, Schönheitsschlaf und abends noch ein Smoothie. Mehr brauche ich nicht.
LöschenEine sehr gute Kurzgeschichte. Thanx.
AntwortenLöschenBitte. Gern geschehen :o)
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