Sonntag, 5. Januar 2025

Holgi, mon amour

 

Holgi ist mein großes Vorbild. Ich frage mich vor jeder Entscheidung immer: Was würde Holgi machen? Im Grunde genommen bin ich ohne Holgi völlig hilflos. Ich stehe vor dem Supermarktregal und frage mich: Milka oder Ritter Sport, Ritter Sport oder Milka? Ich würde ihn am liebsten anrufen, aber er ist ein vielbeschäftigter Top-Manager. Ständig klingelt das Telefon, seine Mitarbeiter wollen etwas von ihm und von hinten ruft einer „Holgi, wir haben schon wieder einen neuen Großauftrag.“ Er ist das letzte Universalgenie der Menschheit. Okay, in der Realität ist es etwas anders. Holgi ist sechzig und hatte im letzten Jahr drei verschiedene Jobs. Im ersten Quartal hat er noch für eine Firma gearbeitet, die ihn im Jahr zuvor vom Festangestellten zum freien Mitarbeiter degradiert hat. Dann hat er – als Mieter und mitten in der größten Krise des Gewerbeimmobilienmarkts seit Gründung der Bundesrepublik – bei einer Firma angeheuert, die auf Gewerbeimmobilien spezialisiert ist. Dort sollte er als Makler für Umsatz sorgen. Natürlich hat er keine einzige Immobilie verkauft. Hätte er wirklich ein Bürohaus für zehn Millionen Euro an den Mann gebracht, würde er es doch jedem hundertmal erzählt haben. Wenn Holgi drei Snickers im Handschuhfach hat, gibt er schon an wie ein Sack Mücken. Er hat die Probezeit (zweites und drittes Quartal) nicht überstanden und hat zum 1. Oktober bei einer Drei-Mann-Klitsche angeheuert, die ihm noch nicht mal ein Büro zur Verfügung stellt. Er hätte sich schon über ein Dixi-Klo auf dem Parkplatz gefreut, wo er mit dem Laptop auf den Knien arbeiten kann. Holgi ist ein wandelndes Unterhaltungsprogramm. Woher nimmt er nach einem Leben auf der Bremsspur dieses unglaubliche Selbstbewusstsein, jedem Menschen, den er trifft, ungefragt gute Ratschläge in privaten, beruflichen, finanziellen und medizinischen Fragen zu geben? Ein Profilneurotiker im Größenwahn. Oder hat er sich in eine Märchen- und Traumwelt zurückgezogen, weil er das eigene Scheitern nicht akzeptieren kann?

Holgi and Holgi only: Seine Tochter läuft jetzt Schlittschuh und will in einen Verein eintreten, Holgi geht mit ihr auf die Eisbahn. Das erste Mal seit einiger Ewigkeit steht er auf Schlittschuhen. Natürlich hat er sich direkt auf die Schnauze gelegt. Am nächsten Tag klagt er über Knieschmerzen. Ich bin abends zu Besuch und bleibe über Nacht. Am Frühstückstisch tut Holgi plötzlich tierisch die Schulter weh. Seiner Meinung nach ist sie gebrochen. Ich sage: Holgi, wenn sie gebrochen ist, würdest du die Kaffeetasse nicht hochheben und aus ihr trinken können. Dann eben alle Bänder gerissen. Ich handle Holgi auf eine Prellung runter. Ob er sich die Sache nicht mal im Badezimmerspiegel angesehen hätte. Nö. Holgi ruft beim Orthopäden an, bekommt einen kurzfristigen Termin und geht eine Stunde später zum Arzt. Als er wieder zurückkommt, frage ich ihn, was los wäre. Er solle sich nicht so anstellen, hätte der Arzt gesagt, er hätte nur ein paar blaue Flecken. Eisbeutel drauf und Ruhe bewahren. Aber so ist Holgi. Wegen eines angeblichen Herzflimmerns hat er sich mal mit einem Krankenwagen in die Notaufnahme bringen lassen. Natürlich hatte er gar nichts und fuhr mit dem Taxi wieder nach Hause. Gott schütze unsere Hypochonder. Nächste Woche: Holgi – Nahtoderfahrung Schnupfen.

Nachtrag: Noch am selben Tag hat er mit seiner Tochter ausgemacht, eine Runde zu bouldern, d.h. ohne Absicherung eine Kletterwand hochzukraxeln. Ich freue mich jetzt schon.

P.S.: Bei meinem letzten Besuch hat er mir den Rat gegeben, mit dem Schreiben und insbesondere mit meinem Blog aufzuhören, weil man „damit nix verdient“. Der ehemalige Hauptschüler ist stolz darauf, in seinem ganzen Leben noch kein einziges Buch gelesen zu haben. Da haa’ck rischté juute Laune.

 

9 Kommentare:

  1. "Holgi" "igloh" — Holi ist Käptn Iglo. — wieder ein Geheimnis gelöst.

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    1. Seit er die Fischstäbchen beim Patentamt angemeldet hat, ist er ein gemachter Mann.

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  2. Viel Selbstvertrauen und keine Ahnung ist besser als viel Ahnung und kein Selbstvertrauen.

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    1. Oder man macht es wie Bonetti: Viel Selbstvertrauen, viel Ahnung, viel essen und viel trinken.

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  3. Man nimmt immer eine Ritter Sport und eine große Tafel Milka. Was gibt's da zu entscheiden?

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    1. Genial. Ab heute folge ich nicht mehr Holgi sondern dir.

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    2. Sehr vernünftig .
      Selbstverständlich wird von der Sorte , die im Angebot ist, mindestens das Doppelte gekauft.

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    3. Vorräte an Süßigkeiten anlegen - das endet bei mir fatal. Hunde legen auch keinen Wurstvorrat an.

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    4. Von Vorräten anlegen war nicht die Rede :)

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