Ein
Ziel, das permanent in Bewegung bleibt, ist schwer zu treffen. Also packte ich
an diesem Morgen meine wenigen Habseligkeiten in eine dunkelblaue Sporttasche
und verließ die kleine Pension im fränkischen Ort Waischenfeld. Pensionen auf
dem Land haben den Vorteil, dass niemand einen Ausweis sehen will. Im Gegenzug
verlange ich beim Bezahlen keine Rechnung. Die Betreiber freuen sich, denn für
eine Übernachtung, die nicht in ihren Büchern auftaucht, müssen sie keine
Steuern zahlen.
Mein
wertvollster Besitz war ein Notizbuch, in dem sämtliche illegalen Transaktionen
im Zusammenhang mit Deutschlands größtem Bau- und Korruptionsskandal vermerkt
waren. Ich besaß diese Informationen nur auf dem Papier, um keine Datenspur zu
hinterlassen. Ich spreche natürlich vom BER. Jeder Praktikant einer
Provinzzeitung hätte diesen Skandal gewittert. Der Bau verzögert sich um zehn
Jahre und kostet mehrere Milliarden mehr, ohne dass sich das Bauvolumen
geändert hätte. Es lag nahe, dass Politiker überflüssige Aufträge vergeben und
im Gegenzug Schmiergeld und Parteispenden kassiert hatten. Warum hatte die
deutsche Presse das Thema nicht aufgegriffen? Ganz einfach: In diese Affäre
waren Leute verwickelt, hinter denen mächtige Parteien standen, und Baufirmen
und Beratungsgesellschaften, hinter denen mächtige Investoren standen. Jede
Zeitung, die in diesem Fall investigativ tätig geworden wäre, wäre unter Druck
gesetzt worden. Viele Anzeigen wären nicht mehr aufgegeben worden, die Parteien
hätten niemanden mehr für Interviews zur Verfügung gestellt oder Insider-Wissen
weitergegeben. Über kurz oder lang wäre eine solche Zeitung in den Bankrott
getrieben worden.
Aber
ich arbeite nicht für eine gewöhnliche Zeitung. Ich bin bei den BMFS, den
Bonetti Media Special Forces. Wir arbeiten undercover, ohne Kontakt zum
Mutterschiff, wir werden hinter den feindlichen Linien abgesetzt und operieren
allein. Wenn etwas schief geht, hat uns Bonetti nie gekannt. Ein gefährlicher
Job, aber gut bezahlt. Natürlich braucht Bonetti Media meine Informationen
nicht für eine Veröffentlichung. Die Empörung der Öffentlichkeit wäre nur von
kurzer Dauer und den Umsatz würde die Story nicht nennenswert erhöhen.
Erpressung ist viel lukrativer. Die Unternehmer zahlen und die Politiker
liefern wertvolle Informationen.
Ich
setzte mich an die Bushaltestelle und wartete. Der Bus kam und ich blieb
sitzen. Wäre mir jemand gefolgt, hätte er das Gleiche tun müssen. Aber ich blieb allein. Es ist praktisch unmöglich,
jemanden in einem Dorf zu beschatten, bei jedem Gasthausbesuch, bei jedem
Waldspaziergang. Eine halbe Stunde später stieg ich in den nächsten Bus und
fuhr nach Forchheim. Dort ging ich in einen Copyshop und machte drei Kopien
jeder Seite des Notizbuchs. Dann kaufte ich in einem Schreibwarenladen drei
große Umschläge und brachte sie zur Post. Eine Kopie ging an Bonetti Media,
eine an ein Postfach in Ludwigshafen, das wir für diese Zwecke benutzten, und
eine an meinen Führungsjournalisten. Mein Job war damit erledigt und ich ging
in den Hebendanz-Keller, einen Biergarten im Forchheimer Kellerwald.
Ich
war gerade bei meinem dritten Kellerbier, als sich zwei Männer in schwarzen
Anzügen an meinen Tisch setzten.
„Sie
haben Informationen, die wir benötigen“, begann der Ältere.
Ich
wollte es ihnen nicht zu leicht machen, das wäre verdächtig gewesen.
„Ich
weiß nicht, wovon sie sprechen.“
Ich
hörte, wie unter dem Tisch eine Pistole entsichert wurde.
„Verarschen
kann ich mich allein.“
„Nein,
können Sie nicht.“
Beide
schwiegen.
„Sie
können mich nicht in aller Öffentlichkeit erschießen“, gab ich zu bedenken.
„Wenn
ich es kann, erfährst du als Erster davon.“
„Ich
habe alles in meinem Hotelzimmer.“
„Du
hast hier kein Hotelzimmer. Sonst wären wir schon dort gewesen.“
Ich zögerte.
Dann holte ich das Notizbuch aus meiner Jackentasche und legte es auf den
Tisch.
„Gibt
es davon Kopien?“
„Nein.
Ich bin freier Journalist und wollte es einer Zeitung anbieten.“
„Wenn
du eine Kopie hast und Kontakt zu einer Redaktion aufnimmst, werden wir es
erfahren.“
Dann
nahm der Ältere das Buch und steckte es ein. Sie gingen, ohne sich zu
verabschieden. Ich bestellte mir ein Schäufele mit Kloß.
Dolle Räuberpistole.
AntwortenLöschenErinnert ein bißchen an Nick Knatterton. :)
Als Kind war ich ein großer Knatterton-Fan. Ich finde es nach wie vor unglaublich, dass sich niemand für diesen Bauskandal interessiert. Zumal in Stuttgart ja nach demselben Prinzip Steuergelder in Milliardenhöhe abgezockt werden.
LöschenStatt Showdown ein Schäufele mit Kloß. Genial!
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