Mittwoch, 29. Oktober 2014

Mein erster Fall

Sie war alt. Ihr Kopf war mit Erinnerungen vollgestopft wie ein Haus, in dem man sich wegen der vielen sperrigen Möbel kaum noch bewegen konnte. In ihrer Jugend hatte man den Kinofilm noch als Lichtspiel bezeichnet. Der Fotograf war ein Lichtkünstler, der in seinem Laboratorium zwischen brodelnden Kolben und zischenden Schläuchen sein Wunderwerk vollbrachte. Auch das Nordic Walking war noch nicht erfunden, am Sonntag lustwandelte man durch den lindenblütendurchdufteten Park und statt dem Smartphone hatte man einen Sonnenschirm dabei. Ihre zarten feingliedrigen Hände hätten einer Pianistin oder einer Taschendiebin gehören können.
Ihr Name war Pauline Kratz und sie war die Witwe eines Sprengmeisters, der trauriger Weise in Ausübung seines Berufes vor vielen Jahren ums Leben gekommen war. Sie lebte in einem winzigen Fachwerkhaus am Rande des Dorfes und ich besuchte sie regelmäßig. Sie hatte allerlei Geschichten zu erzählen und so saßen wir des Abends gelegentlich zusammen in ihrer Wohnstube vor dem prasselnden und knackenden Kaminfeuer, tranken das selbstgebrannte Kirschwasser von Bauer Menke, während ich eifrig in mein ledergebundenes Notizbuch schrieb, um ihren Erzählungen ein neues Haus zu geben, falls sie dereinst einmal nicht mehr unter uns weilen würde.
Eines Tages, es war im Spätherbst, war sie jedoch sehr betrübt. Ich fragte nach der Ursache ihrer Niedergeschlagenheit und mit schwermütiger Stimme klagte sie mir ihr Leid. Seit einigen Tagen habe sie bemerkt, dass ihr Brennholz gestohlen werde. Immer, wenn sie mit ihrem Weidenkorb in den Hof zu den gestapelten Holzscheiten hinausging, die an der Seitenwand einer Scheune feinsäuberlich aufgeschichtet waren, hätte etwas gefehlt. Sie habe sich auch schon an ihrem Küchenfenster auf die Lauer gelegt, aber sie hätte niemanden gesehen. Sie schüttelte den Kopf und sagte, da könne man wohl nichts machen. Das sah ich anders. Meinem im Leichtsinn der Jugend vorgetragenen kühnen Vorschlag, den Fall zu lösen, stimmte sie nach einem verwunderten Kopfschütteln schließlich zu. Ich ließ mir aus dem Nachlass ihres Mannes einige Stangen Dynamit geben und begann mit meiner Arbeit. Ich höhlte einige Holzscheite aus, steckte jeweils eine Stange Dynamit hinein und verschloss den Hohlraum mit einem Holzpfropfen, den ich mit etwas Leim fixierte. Dann trug ich die präparierten Holzscheite hinaus zum Brennholzstapel und legte sie obendrauf.
Am folgenden Abend saß ich mit der alten Dame am Kamin und sie erzählte gerade die Geschichte, wie das erste Automobil rauchend und schnaufend im Dorf erschienen war, wobei ihr Pferd durchgegangen war und erst im Nachbarort wieder zum Halten gebracht werden konnte, da hörten wir eine fürchterliche Explosion. Ich lief hinaus und rannte zur Unglücksstelle. Das Haus von Bauer Schubert brannte lichterloh, mit rußgeschwärztem Gesicht stand er am Rand seines Hofes und starrte fassungslos in die Flammen. Die Freiwillige Feuerwehr war auch schon da und hantierte geschäftig mit ihren Gerätschaften. Hinter dem Feuerwehrauto stand, murmelnd und flüsternd, das halbe Dorf. Ich ging zu Frau Kratz zurück und erstattete ihr Bericht. „Der Schubert also“, sagte sie mit einem zarten Lächeln. „Das hätte ich mir ja denken können … der alte Drecksack.“
Temptations – My Girl (Cover). http://www.youtube.com/watch?v=WCqByREDfyA

2 Kommentare:

  1. Dynamit explodiert nicht durch Hitze !
    Nur durch Schlag bzw. schlagartigen Druck, Druckwelle oder so was.
    Schlecht recherchiert ! Mal von Schätzing lernen !

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    1. Natürlich wären Bleiazid, Quecksilberfulminat, Diazodinitrophenol oder Bleitrinitroresorzinat besser geeignet, aber aufgrund der Leserfreundlichkeit habe ich mich für den allgemein bekannten Ausdruck Dynamit entschieden.

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