Montag, 6. Oktober 2014

Im Land der Franken

Zum Glück gibt es das Münchner Oktoberfest als Idiotenmagnet für die Biertrinker dieser Welt. Für die wahren Freunde von Hopfen und Malz gibt es den Kellerberg in Forchheim. Hier gibt es über zwanzig Gasthäuser mit Biergärten, umgeben von herrlichem Wald. Es ist das Disneyland der Trinker. In jedem Lokal gibt es andere Biere, die vor Ort gebraut werden. Kein Bier aus Amerika, China oder Australien, sondern allesamt hervorragende Produkte der Forchheimer Braukunst. Man läuft durch den Wald von Keller zu Keller, wie hier die Braugaststätten genannt werden, wie eine Biene von Blume zu Blume fliegt, um überall ein wenig Nektar zu naschen. Dazu werden regionale Spezialitäten wie Haxen, Braten, Knödel und Brotzeiten, wahlweise aber auch Burger, Pizza und Pommes gereicht. In diesen Wald hat sich noch keine Reisegesellschaft aus Oklahoma oder Yokohama verirrt. Hier sind die Bierfreunde unter sich, der Forchheimer Kellerwald gehört nicht zum Universum der Lonely Planet-Schafherde und dürfte dennoch auf der Welt einmalig sein. Die Preise sind günstig (auf dem Oktoberfest zahlt man mehr als das Doppelte) und man findet immer einen Platz. Wir verbringen hier einen ganzen Nachmittag bei sommerlichen Temperaturen, der gelungene Auftakt zu einer dreitägigen Reise durch Franken.
Am Morgen weckt mich das Geschrei eines fremdartigen Vogels. Nach einer Weile merke ich, dass es ein Hahn ist. Er hört sich ganz anders an als im Fernsehen. So etwas haben wir selbst in Schweppenhausen nicht. Da gibt es nur die Hühnerfarm, in der eine lagermäßige Ruhe herrscht, wenn man vorbei spaziert, und aus der die „frischen Hunsrückeier“ kommen. Vor dem Fenster, an das ich nun verschlafen trete, liegt ein Bauernhof, auf dem unbeaufsichtigte Tiere vor sich hin lärmen dürfen! Nach dem Frühstück fahren wir nach Kronach. Die Stadt ist aufgebaut wie eine dreistöckige Torte. Unten die Gassen des Städtchens, darüber die von einer mächtigen Stadtmauer eingefasste mittelalterliche Stadt mit ihren verwinkelten malerischen Ecken, wo in winzigen Gärten die Wäsche auf der Leine hängt. Und darüber thront eine weitläufige Burganlage, von der man einen grandiosen Blick über die Täler der Umgebung hat. Auch diesen Ort wird man in der Katalogwelt des Massentourismus vergeblich suchen, die Herde besucht stattdessen Rothenburg ob der Tauber. Unmittelbar neben der Burg ist ein sympathisches Gasthaus mit einem putzigen Biergärtchen, wo wir uns bei strahlendem Sonnenschein im T-Shirt ein einheimisches Kaiserhöfer vom Fass genehmigen. Würden in Kronach keine Autos fahren, könnte man den Eindruck gewinnen, das 21. Jahrhundert hätte noch gar nicht stattgefunden.
Kronach
Weiter geht es auf der „Fränkischen Bierstraße“. N. prügelt den Lancer, Baujahr 1999, zu den Klängen von Fischer Z auf zwei Rädern durch die Kurvenorgie, ich sitze wie bei einer Rallye auf dem Copilotensitz und habe das „Gebetbuch“, in diesem Falle einen Brauereiführer, in der Hand. „Nach der Doppel-Links zwei Dunkle“. Profis wie wir müssen nicht viel reden. Im nächsten Städtchen wie aus dem Bilderbuch, Kulmbach wird es genannt, sitzen wir vor dem „Bierhäusla“, einem mit viel Holz gemütlich eingerichtetem Gasthaus. Die „Bierspezialität des Tages“ ist das herrliche Bamberger Fässla, das ich in einer theologischen Debatte als Gottesbeweis gelten lassen würde. Nervtötend an diesem Samstagnachmittag sind nur die Nachwuchsproleten, die mit ihrem 27-PS-VW-Lupo Vollgas über das Kopfsteinpflaster brettern müssen – und selbstverständlich sind alle vier Scheiben unten, damit die Tausend-Watt-Stereoanlage auch im ganzen Landkreis zur Geltung kommen kann. Am Abend kehren wir im Gasthof Fels ein. Der Ort Fels liegt in einer so hemmungslos weltabgewandten Gegend und der Gasthof sieht so filmkulissenmäßig aus, dass es nur noch eines heftigen Gewitters bedarf, um sich hier wie in der Rocky Horror Picture Show zu fühlen, wenn man nach einer Autopanne um Hilfe bitten muss. Selbst die schmale Holzbrücke, die man zu Fuß überquert, fehlt in dieser Einöde nicht. Das servierte Wildgulasch mit Pilzen und Knödeln (in einer Extraschüssel kommen weitere Knödel, die seitens der Bedienung mit dem Begriff „Reserveknödel“ erläutert werden) lässt, unter tätiger Mithilfe des Kulmbacher Fassbiers, die anfängliche Angst vergessen. Wie ein halbgegessener Käsekuchen schwebt der Mond über der Szenerie.
Wir nächtigen an diesem Wochenende in einem kleinen Landgasthof, mein Zimmer liegt direkt unter dem Dach. Nachts höre ich die Mäuse auf dem Dachboden rumkruschbeln (The Andy Bonetti School of New Writing proudly presents „rumkruschbeln“). Im Gastraum verkaufen sie auch Wurstdosen, darunter „Speckfett“. Zweihundert Gramm für 2,50. Was immer Speckfett auch sein mag – das Wort klingt großartig. Als würde man schon beim Lesen des Begriffs zunehmen. Ich genieße die Stille meines Zimmers und schalte den Fernseher erst gar nicht an. Wie immer mache ich auch Urlaub von sämtlichen Medien, von Politikern und Stars, von Zahlen und Sensationen. Das Waschbecken ist an der Wand montiert, die Duschkabine steht in einer Zimmerecke, die Toilette ist in einem winzigen Kämmerchen. Mir fällt der geringe Wasserdruck der Toilettenspülung auf, das Papier schwebt langsam und majestätisch in die Tiefe hinab wie ein Mantarochen. Zum Einschlafen lese ich ein wenig im örtlichen Telefonbuch und extrahiere die Namen für meine nächsten Kurzgeschichten: Monika Hufnagel-Schreckenberger, Alois Breitkopf, Rita Reuschlein, Herbert Schmalzbauer, Horst Brummer, Emil Kesselhemd, Harald Wunderlich, Katharina Knödelbach, Heinz Bratfisch, Magdalena Schumücke, Werner Wachtelgruber und Alfons Schwinghammer.
Als der sadistische Quälgeist am Sonntag zum ersten Mal kräht, ist es noch dunkel. In mir reift der Entschluss, zum Mittagessen ein Hähnchenschnitzel zu essen. Tatsächlich sind es dann Bratwürste, die ich im Biergarten von Held-Bräu in Oberailsfeld verspeise. Rund um dieses winzige Dorf ist eine Karl-May-Kulisse mit Felsen, Wiesen und Wäldern. Das Helle ist anbetungswürdig und ich schaffe vier bauchige Gläser, während ich die freundliche kleine Dorfkatze, die sich neben mir auf der Holzbank niedergelassen hat, mit Wurststückchen füttere. David Bowie hat 1977 übrigens in dieser Gastwirtschaft Station gemacht, sein Hit „Heroes“ ist eine Hommage an Held-Bräu. Eine Warnung an alle Wichtigtuer: In diesem Dorf gibt es keinen Handy-Empfang! Sicherheitshalber packen wir den Kofferraum voller Flaschenbier, denn die Heimreise ist lang.
Ein Postskriptum zum Thema Alkohol am Steuer: In Franken ist die Welt noch in Ordnung. Wie schlaftrunkene Kinder werden wir am Abend von kräftigen Polizisten ans Auto getragen und behutsam hineingesetzt. Alsdann geht es mit einer Eskorte zurück zur Pension „Waldfrieden“.
Hinweis: Wer das Konzept Franken noch nicht hinreichend verinnerlicht hat, dem empfehle ich die Kneipentrilogie von Andy Bonetti: „Schaumkrone und Brezelzepter“, „Schaumgekrönte Häupter“ und „Schaumgekrönt sei mein Lied“.
Fischer Z – Marliese. http://www.youtube.com/watch?v=kMZwrzGpdJw

4 Kommentare:

  1. Vierter Teil der Trilogie heißt dann 'Schaumlos klingen meine Lieder'

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Mit dem vierten Teil einer Trilogie könnte Andy Bonetti auf jeden Fall seine Leser überraschen ;o)

      Löschen
    2. Douglas Adams hat immerhin 5 Bücher in einer Trilogie herausgebracht. Das kann Bonetti sicherlich toppen.
      Arbeitstitel: Schaumkrone auf der Karlskrone

      Löschen
    3. Adams musste es ja auch immer übertreiben. Deswegen ist er im Alter von nur 49 Jahren in einem Fitnessstudio gestorben. Das wird Andy Bonetti sicherlich nicht passieren.

      Löschen